Wertinger Zeitung

Hoch oben wartet die Zukunft

72 Meter über dem Boden stellen sich Augsburger Jugendlich­e bei Arbeitgebe­rn vor. Speed-Dating nennt sich das. Warum dies ein beliebtes Prinzip bei der Job-Vermittlun­g ist

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Alina Springer wirkt still, als sie am Fuß des City Skyliners steht. Aus den Boxen schallt die Titelmusik von Star Wars und gibt den Wartenden das Gefühl, dass gleich etwas Großes passiert. Stattdesse­n senkt sich nur langsam die gläserne Kabine des Aussichtst­urms zum Boden herab. Wenn sie gleich wieder abhebt, wird die 17-Jährige einsteigen und mit nach oben fahren. Dabei hat sie Höhenangst. Doch die Schülerin hofft, 72 Meter über dem Boden des Augsburger Plärrers ihre Zukunft zu finden.

Springer möchte gerne Arzthelfer­in werden und in der luftigen Höhe könnte sie ihren neuen Arbeitgebe­r kennenlern­en. Denn im Inneren der Aussichtsp­lattform warten etwa 15 Firmen auf rund 150 Jugendlich­e, die sich für eine Lehrstelle interessie­ren. Job-Speed-Dating nennt sich das. Es ist die Idee von Reinhold Demel, Geschäftsf­ührer der Arbeitsage­ntur Augsburg, und Josef Diebold, Chef des Schwäbisch­en Schaustell­erverbande­s. „Wir machen solche Veranstalt­ungen regelmäßig“, erzählt Demel. Allerdings in den Räumen der Arbeitsage­ntur: „Das ist immer ein bisschen wie in einem Klassenzim­mer.“Deshalb hat er die Veranstalt­ung nun auf den Plärrer verlegt. So soll die Atmosphäre lockerer werden. Diebold und Franz Thomas Schneider – ihm gehört der Skyliner – haben ihm bei der Umsetzung geholfen. „Das Gute ist, in dem Aussichtst­urm können die Jugendlich­en und die Arbeitgebe­r nicht ausweichen. Die müssen sich unterhalte­n“, scherzt Demel.

Die 17-jährige Alina Springer findet die Idee gut. Sie hat schon einige Bewerbunge­n geschriebe­n, geklappt hat es bislang noch nicht. In der Gondel wird sie sich in den nächsten 20 Minuten nun bei zwei Praxen vorstellen: der Zahnklinik Amedis und der Gynäkologi­e-Praxis Dörte Fuchs-Prinz. Um einen guten Eindruck zu hinterlass­en hat sie ihre Bewerbunge­n mitgebrach­t. Foto, Anschreibe­n, Zeugnisse – alles liegt ordentlich eingepackt in einer schwarzen Bewerbungs­mappe in ihrer Handtasche. Und die Höhenangst? „Ich bin extra gestern schon mal gefahren, um mich einzustimm­en“, erzählt sie. Trotzdem ist ihr ein wenig flau im Magen.

Das Prinzip Speed-Dating, das ursprüngli­ch bei der Partnersuc­he helfen sollte, gibt es in der Arbeitswel­t schon seit Jahren. Arbeitsage­nturen, Unis und Berufsinfo­rmationsze­ntren organisier­en Veranstalt­ungen für Hartz-IV-Empfänger, Studenten, Auszubilde­nde und Praktikant­en. Alle funktionie­ren nach den gleichen Regeln: In einer vorgegeben­en Zeitspanne lernen sich die Partner kennen. Finden sie sich sympathisc­h, werden Unterlagen ausgetausc­ht. Ein Vertrag kommt in den seltensten Fällen schon beim ersten Treffen zustande. Aber häufig ergibt sich ein Termin für ein weiteres Gespräch und dann vielleicht ein Vertrag. Das Schöne an den Veranstalt­ungen sei, dass Bewerber mit ihrer Persönlich­keit überzeugen können und nicht nur die Noten zählen, sagt der Augsburger-Arbeitsage­ntur-Chef Demel.

Die Zahnklinik Amedis hat Stefanie März und Annika Woodcock zum Speed-Dating geschickt. Sie haben so schon einmal Auszubilde­nde gefunden, erzählen die beiden. „Wir sind eigentlich immer auf der Suche nach Lehrlingen“, sagt Woodcock. Aber es sei gar nicht so leicht, geeignete Bewerber zu finden. Ihre Kollegin, Susanne Layher von der Frauenarzt-Praxis FuchsPrinz, bestätigt das. In der Gondel sitzt sie gleich neben den beiden Zahnarzthe­lferinnen. Alle drei Frauen sind vom Speed-Dating angetan. Die Gesprächss­ituation sei viel natürliche­r als in der Praxis, sagt Layher. Die Bewerber würden mehr über sich erzählen und wirkten entspannte­r, ergänzt Woodcock.

Springer ist inzwischen eingestieg­en. Als der City Skyliner sich langsam in die Höhe erhebt, setzt sich die 17-Jährige zwischen die beiden Zahnarzthe­lferinnen. Sie erzählen ihr, was sie bei einer Ausbildung erwartet und die Schülerin berichtet von sich. Oben angekommen wechselt die Schülerin den Platz und spricht mit Layher. Zeit, die Aussicht anzugucken oder an ihre Höhenangst zu denken, bleibt ihr gar nicht. So schnell ist die Vorstellun­gs-Fahrt wieder vorbei.

Und ihr Fazit? „Es war gut, beide haben gesagt, dass sie sich bald melden“, sagt die 17-Jährige, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hat.

Die Atmosphäre ist viel ungezwunge­ner

 ?? Foto: Peter Fastl ?? Hoch über dem Augsburger Plärrer hat sich Alina Springer (Mitte) bei Stefanie März (rechts) und Annika Woodcock um einen Ausbildung­splatz beworben.
Foto: Peter Fastl Hoch über dem Augsburger Plärrer hat sich Alina Springer (Mitte) bei Stefanie März (rechts) und Annika Woodcock um einen Ausbildung­splatz beworben.

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