Die Kunst, den Körper darzustellen
Über Aktzeichnungen gibt es falsche Annahmen. Warum das Modell Petra Hegele so gefragt ist
Wertingen Das Internet macht‘s möglich: Durch einen Artikel in unserer Zeitung über die Eröffnung der aktuellen Kunstausstellung in Wertingen – „Wenn das Aktmodell zur Vernissage kommt“– ist Helmut Lorscheid hellhörig geworden. Der in Bonn lebende Journalist lässt sich alle Berichte, in denen das Stichwort Aktmodell vorkommt, über eine Suchmaschine automatisch liefern. Deshalb wusste er bereits am Tag der Vernissage über die Kunstausstellung mit dem Titel „Vor dem Motiv“Bescheid. Sein Interesse galt vor allem dem Aktmodell Petra Hegele. „Ich bin selbst in diesem Metier nebenberuflich tätig“, erzählt er am Telefon. Dass Aktmodelle öffentlich agieren, sei eine Seltenheit. Das habe sein Interesse geweckt.
Petra Hegele fand man in der Wertinger Ausstellung gleich mehrmals, als „Petra I“, „Petra II“, „Petras Rücken“, „Kopfstudien Petra“oder einfach nur als „Petra“. 15 Jahre arbeitet die junge Frau schon als Aktmodell, und es macht ihr immer noch Spaß. Scheu, sich nackt darzustellen, habe sie keine mehr.
Von Oskar Dietrich, einem der vier ausstellenden Künstler, stammen die Werke um „Petra“, in Aquarelltechnik, mit Grafit auf Papier oder in Tusche. Die Spannweite seiner Arbeiten ist gekennzeichnet durch zarte Linien bis hin zu wuchtigen Flächen und Farben. Er malt nicht, was er vor sich sieht, sondern was er in sich sieht. So sind die Bilder kein Abklatsch der Realität, sondern zeigen das Wesentliche in wenigen Pinsel- und Bleistiftstrichen.
Mit „Petra“könnte sich der Bonner Helmut Lorscheid eine Zusammenarbeit vorstellen, zum Beispiel als Paar nebeneinander Akt zu sitzen. Aktzeichnen habe nichts mit Erotik oder Sex zu tun, räumt Lorscheid Missverständnisse aus. Dass Aktmodelle „weitergereicht“werden, sei gängige Praxis, bestätigt Georg Kleber, der aus Reling stammende Künstler und Aussteller. „Man ruft Kollegen an, wenn Modelle gebraucht werden.“Die bildnerische Darstellung des nackten Körpers gehört zu den Grundlagen des Handwerks eines jeden Malers. Kleber vergleicht den Aktzeichner mit einem Rennfahrer: „Sie müssen hohes Risiko eingehen und in kürzester Zeit hoch konzentriert arbeiten.“Die Zeichnung sei nicht nur ein Protokoll des Sehens, sondern ein Seismograph des Moments.
Wer die Menschendarstellungen von Wilhelm Eger sieht, der blickt den Männern und Frauen direkt in die Seele. Der freischaffende Maler und Zeichner widmete sich in der Wertinger Ausstellung vorwiegend der Gattung Akt. Seine Bilder sind kraftvoll und unerbittlich. Er wählt kräftige Farben und breite schwungvolle Pinselstriche, die die feinen Konturenlinien überlagern.
Um derartige Körperstudien durchzuführen, braucht es Aktmodelle. Die Arbeit an lebenden Modellen ist eine schwierige künstlerische Aufgabe. Es entstehen Augenblicksdarstellungen. Die Zeichner haben nur etwa 15 bis 20 Minuten Zeit, um liegende, stehende oder sitzende Akte künstlerisch umzusetzen. Dabei lernen sie die Proportionen und die Anatomie der menschlichen Gestalt kennen. So wie einst Leonardo da Vinci. Sein „Vitruvianischer Mensch“mit ausgestreckten Armen ist weltberühmt.
Im Kulturzentrum Hardtberg in Bonn fand parallel zu Wertingen ebenfalls eine Ausstellung mit Aktzeichnungen statt. Helmut Lorscheid ist auf zehn der ausgestellten Bilder zu sehen, mal mehr, mal weniger naturgetreu.
Der freie Journalist wurde schon von der Fachhochschule Köln, der Alanus Hochschule, der Mainzer Uni sowie in Essen und Berlin engagiert. Ob ein Treffen mit Petra Hegele und Helmut Lorscheid vor Künstlern stattfinden wird, ist bislang nicht bekannt.