Seniorengemeinschaften – ein Zukunftsmodell
Die Menschen werden immer älter, und Familienstrukturen ändern sich. Deshalb gibt es immer mehr Selbsthilfeorganisationen. Welche Rolle die SG Wertingen dabei spielt
Eine Glühbirne ist defekt und muss ausgewechselt werden. Wer kann helfen? Eine Fachfirma kann damit nicht beauftragt werden. Die benötigte Hilfeleistung ist viel zu geringfügig. – Seniorengemeinschaften gewinnen unter anderem deshalb in der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. „Seniorengemeinschaften sind ein Modell für die Zukunft“, betonte denn auch Dr. Doris Rosenkranz von der Technischen Universität Nürnberg bei einem Vortragsabend in Gottmannshofen. Der Seniorengemeinschaft Wertingen bescheinigte die Professorin eine Vorreiterrolle. Sie ist eine von 17 Seniorengemeinschaften, die vom Land Bayern gefördert werden, und wurde 2015 mit dem bayerischen Sozialpreis ausgezeichnet.
Dr. Rosenkranz war als Referentin Gast der Seniorengemeinschaft und informierte in der öffentlichen Mitgliederversammlung über die Ergebnisse ihrer Forschungsanalyse unter dem Thema „Seniorengemeinschaften – Chancen und Grenzen selbst organisierter Solidarität“. Im Landgasthof Stark interessierten sich neben vielen Mitgliedern auch der Zweite Bürgermeister und Seniorenbeauftragte der Gemeinde Buttenwiesen, Christian Knapp, und die Seniorenbeauftragte Isolde Demharter vom Landratsamt Dillingen für die Studienergebnisse.
In einer Art Betrachtung aus der Vogelperspektive beleuchtete Dr. Rosenkranz Erfahrungen aus der Praxis wissenschaftlich. Ein „Wegweiser – wie gründe ich eine Seniorengemeinschaft“wurde mit Unterstützung des Bayerischen Sozialministeriums erarbeitet und vorgestellt. Die Erfahrung der bereits bestehenden Gemeinschaften sei Bestandteil der wissenschaftlichen Analyse, so Rosenkranz.
Die Seniorengemeinschaft Wertingen habe beispielhaft Zeichen gesetzt. „So ein Wegweiser hätte uns vor 15 Jahren bei der Gründung sehr geholfen“, meinte Hans-Josef Berchtold, Vorsitzender der Seniorengemeinschaft Wertingen. Der Vergleich sei wichtig: „Wie machen es andere, wie kann man von deren Erfahrung profitieren.“Derzeit gibt es bundesweit mindestens 220 Seniorengenossenschaften mit rund 75000 Mitgliedern. Davon sind 65 Prozent aller Initiativen bisher in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zu finden. Der demografische Wandel erfordere neue Lebensmodelle für das Alter, erklärte Rosenkranz. Während im Jahre 2014 Männer eine durchschnittliche Lebenserwartung von 78 Jahren erreichten, wurden Männer vor mehr als hundert Jahren durchschnittlich nur 38 Jahre alt. Medizinischer Fortschritt und eine gesündere Lebensweise gehören zu den Ursachen.
Seniorengemeinschaften reagieren auf die veränderten Lebensbedingungen. Während die Menschen zunehmend älter werden, kommen gleichzeitig Generationenverträge in das „Rutschen“. Im Gegensatz zu früher könne heute die ältere Generation weit weniger auf Hilfe aus dem familiären Netzwerk bauen, berichtete Dr. Rosenkranz. Mobilität am Arbeitsmarkt und veränderte Familienstrukturen wirken sich auch auf die ältere Generation aus. Wer heutzutage auf dem Arbeitsmarkt mithalten wolle, müsse beruflich mobil bleiben. In Anbetracht dessen bleibe der jüngeren Generation nicht viel Zeit für familiäre Verpflichtungen übrig. Die generationenübergreifende Hilfe bleibe angesichts dieser Asymmetrie letztendlich auf der Strecke.
Die Vielfalt von Lebensläufen, steigende Kinderlosigkeit und ökonomische Ungleichheiten charakterisieren heute das private Leben. „Wahlverwandschaften“und lokale Netzwerke helfen mit verbindlichen Hilfeleistungen über kleinere Hürden des Alltags hinweg. Neue Ideen für die Alltagsbewältigung im Alter seien deshalb gefragt. Senioren ergreifen zunehmend Eigeninitiative und organisieren sich selbst. Der bilaterale Austausch von Leistungen findet Anerkennung in Mischformen wie Zeitkonten, Geldleistungen oder Punktekonten. Das Interesse an Selbstverantwortung und Selbstorganisation nimmt bundesweit zu, berichtete Rosenkranz.