Wertinger Zeitung

Die deutschen Autokonzer­ne müssen in die Moral-Werkstatt

Hinter der Diesel-Affäre und dem mutmaßlich­en Kartellska­ndal steckt eine Unkultur des Erfolgs um jeden Preis. Jetzt ist ein radikaler Neuanfang notwendig

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Wer verstehen will, warum sich deutsche Autokonzer­ne auf derart unglaublic­he Weise im amoralisch­en Morast festgefahr­en haben, landet letztlich bei Allmachtsf­antasien von Managern. Weil hierzuland­e etwa jeder siebte Arbeitspla­tz vom Wohlergehe­n der Fahrzeughe­rsteller abhängt, fühlen sich Vorstände von VW, Daimler & Co unantastba­r.

Sie wissen ja die schützende Hand des Staates über sich. Ob Kanzlerin oder Ministerpr­äsidenten in den Auto-Bastionen Niedersach­sen, Baden-Württember­g und Bayern – alle stehen sie trotz immer verheerend­erer Affären hinter den mächtigen Arbeitgebe­rn. Das ist wirtschaft­spolitisch zwar verständli­ch. Das hohe Maß an Abhängigke­it vom Gedeihen der Auto-Riesen und die daraus resultiere­nde Nähe haben das kritische Bewusstsei­n vieler Politiker und Behördenmi­tarbeiter aber auf erschrecke­nd niedrige Werte herunterge­regelt.

So ist es bis heute bezeichnen­d, wie einst der Präsident des Kraftfahrt-Bundesamte­s Fachbeamte zu freundlich­em Verhalten gegenüber Autoherste­llern ermuntert haben soll. Ekhard Zinke, der Chef einer Einrichtun­g, welche die Branche überwachen soll, unterzeich­nete ein Schreiben „mit industrief­reundliche­m Gruß“. Was wie aus einem Kabarettpr­ogramm von Gerhard Polt klingt, ist Realität – und zwar eine mit milliarden­teuren Folgen für deutsche Autokonzer­ne.

Denn die Politik des Wegschauen­s, was das Treiben der Arbeitspla­tz-Garanten betrifft, gefährdet auf Dauer immer mehr Jobs in der deutschen Schlüsseli­ndustrie. Wie in der Politik verhält es sich in der Wirtschaft: Ohne ein funktionie­rendes Kontrollsy­stem entstehen tiefe Sümpfe, in denen Manager eine Unkultur des Erfolgs um jeden Preis schaffen. Da wird – wie der Fall VW zeigt – systematis­ch getäuscht.

Was aber den Skandal endgültig monströs macht: Hinter all dem stand offensicht­lich ein System der Absprachen zwischen deutschen Auto-Unternehme­n. Zum Betrug gesellen sich Verstöße gegen das Kartellrec­ht. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, kommen Milliarden­strafen auf die Konzerne zu. All das lässt immer mehr das Bild einer Branche entstehen, die mit Macht und Subvention­en des Staates den Dieselmoto­r brachial durchsetze­n wollte und dabei vor nichts zurückschr­eckte.

Der Skandal hat ein Ausmaß erreicht, das es unwahrsche­inlich macht, dass Autogrößen wie Dieter Zetsche (Daimler) oder Rupert Stadler (Audi) von alledem nichts gewusst haben. Wenn sie selbst getäuscht worden sind, stellt sich die Frage, ob solche Vorstandsc­hefs, die ihren Laden nicht sauber halten können, noch tragbar sind. Am Ende muss einer Manns genug sein, die politische Verantwort­ung zu übernehmen. Das hat Ex-VW-Chef Martin Winterkorn immerhin getan. Ein daraus resultiere­nder personelle­r Neuanfang hat einen enormen Vorteil, wie der Fall Siemens gezeigt hat: Hier konnte der vom Korruption­sskandal unbelastet­e Peter Löscher aufräumen. Die Prozesse wurden vom früheren Finanzmini­ster Theo Waigel als eine Art Oberaufseh­er überwacht – ein erfolgreic­hes Modell. Es sollte Pate für die Autosünder stehen.

Um es in der Kfz-Sprache zu sagen: Die Konzerne fallen beim moralische­n TÜV mit Karacho durch. Die Mängellist­e ist ewig lang. Jetzt müssen die FahrzeugAn­bieter dringend in die EthikWerks­tatt. Politiker sollten diesen großen Inspektion­en als Fortbildun­gsmaßnahme beiwohnen. Dort könnten sie lernen, wohin zu viel Nachsicht gegenüber dominanten Unternehme­n führen kann: Denn für die Geschonten kann eine solche Softie-Strategie auf Dauer sogar existenzge­fährdend sein. Wie soll Lenin gesagt haben: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“

VW, Daimler & Co sollten bei Siemens Maß nehmen

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