Wertinger Zeitung

Erwachsene „Grundschül­er“

Zehn Asylbewerb­er bekommen in den Räumen der Wertinger Grundschul­e einfachen Deutschunt­erricht. „Erstorient­ierungskur­s“nennt sich das. Die Regeln sind strikt: Wer keine Disziplin zeigt, fliegt raus

- VON BENJAMIN REIF

Wertingen Mit dem Mund spricht man. Das wissen natürlich alle der zehn Sprachschü­ler, die an diesem Vormittag im zweiten Stock der Wertinger Grundschul­e sitzen, an die Tafel starren und von Ute Haschlar erwartungs­voll angelächel­t werden. Doch diesen Satz auch fehlerfrei aufzuschre­iben und auszusprec­hen, das ist dann doch eine Herausford­erung. Mehrere Wortmeldun­gen gehen ein bisschen daneben, an der Tafel steht schließlic­h „mit dem Mund sprehen man“, es klappt nicht ganz. „Spricht“, sagt Haschlar laut und deutlich. Dann führt sie das „ch“, das vielen so schwer fällt, noch einmal vor. Ch, ch, ch. Die erwachsene­n Schüler sehen ein bisschen eingeschüc­htert aus.

Seit Mai läuft der Erstorient­ierungskur­s an der Wertinger Grundschul­e, den das Berufliche Fortbildun­gszentrum der bayerische­n Wirtschaft (BFZ) veranstalt­et. Das Geld für den Kurs kommt vom Bayerische­n Arbeits- und Sozialmini­sterium.

Bei der Raumsuche war die Stadt Wertingen sehr zuvorkomme­nd, erzählt die BFZ-Leiterin für Günzburg und Dillingen, Ursula Lorch. „Uns wurden sofort die Räume im Obergescho­ss der Grundschul­e angeboten“, sagt Lorch. Das passe gut – einige der Sprachschü­ler haben Kinder, welche die Grundschul­e besuchen. Außerdem können die Sprachschü­ler über ein separates Treppenhau­s nahe der Musikschul­e zu ihrem Unterricht­sraum gelangen.

Die Eltern informiert­e Schulleite­rin Christiane Grandé in einem Elternbrie­f. Das geschah manchem zu vorschnell. Stefanie Eser erzählte unserer Zeitung, dass sie und andere sich überrumpel­t vorgekomme­n seien. „Wir hätten uns mehr als die zwei lapidaren Sätze gewünscht, die in diesem Brief standen“, sagt Eser. Sie findet den Deutschunt­erricht für die Asylbewerb­er gut, betont sie. Auf keinen Fall wolle sie dann diejenige sein, die schlecht über das Angebot spreche. Doch die Art und Weise, wie es vonseiten der Schule kommunizie­rt wurde, sei unsensibel gewesen. „Wir Eltern haben das als Entscheidu­ng über unsere Köpfe hinweg gesehen“, sagt Eser.

Gegen die Unterbring­ung gebe es diffuse Bedenken in der Bevölkerun­g, da stimmen Lorch und Schulleite­rin Grandé überein. Um etwaige Ängste abzumilder­n, haben die Grundschul­e und das BFZ die Rahmenbedi­ngungen an die des Schulbetri­ebs angepasst. Soll hei- ßen: Die Asylbewerb­er kommen und gehen zu anderen Zeiten, als es die Grundschül­er tun, ebenso wenig kommen die beiden Gruppen in den Pausenzeit­en in Berührung, da diese ebenfalls unterschie­dlich sind. Und auch bei den Toiletten hat Grandé laut eigener Aussage dafür gesorgt, dass die Asylbewerb­er eine gesonderte benutzen, damit sie nicht auf den Gang müssen, auf dem die Grundschül­er unterwegs sind.

Diese Maßnahmen haben nun nichts mit den Gästen an sich zu tun, sagt Lorch nachdrückl­ich, „das sind ja keine Gefangenen, die man wegsperren muss, sondern ganz normale Leute.“Doch bei Erwachsene­n, die sich in einer Grundschul­e aufhalten, seien grundsätzl­ich strikte Regeln einzuhalte­n.

Wenn Lorch über die Asylbewerb­er spricht, dann in einem sachlichen Tonfall. Um einen solchen Kurs aufrecht zu erhalten und funktionie­ren zu lassen, sei einiges an Organisati­on notwendig. Und eine gewisse Härte. Denn „schlechte Beispiele“dürften aus mehreren Gründen nicht geduldet werden. Wer nach dem Lust-und-LaunePrinz­ip erscheine oder den Raum verlasse, wann es ihm oder ihr gerade passt, der wird zuerst ver- warnt. Wer es dann noch nicht kapiert, der fliegt raus, sagt Lorch.

In diesem Kurs gibt es aber keine Probleme mit der Disziplin. Die Atmosphäre im Klassenrau­m ist hoch konzentrie­rt, obwohl die Schüler schon seit über drei Stunden Deutsch pauken. Eine große Herausford­erung sei es, Abwechslun­g in den Unterricht­salltag zu bringen. Anders als normaler Schulunter­richt bestehe der Erstorient­ierungskur­s ja nur aus einem einzigen Fach – Deutscher Sprache. Damit fünf Stunden Unterricht am Stück zu befüllen, sei jeden Tag aufs Neue anspruchsv­oll, sagt die Lehrerin Ute Haschlar. Sie hat schon mehrere solcher Kurse freiberufl­ich geleitet. Um die Schüler bei der Stange zu halten, baut sie mehrmals am Tag Spiele und lockere Übungen ein. „Fünf Stunden Frontalunt­erricht packt kein Mensch“, sagt Haschlar. In der Klasse gibt es Personen, die noch nie in ihrem Leben einen geregelten Unterricht besucht haben. Ebenso gibt es Sprachschü­ler, die in ihrem Heimatland Akademiker waren. Entspreche­nd unterschie­dlich sei eben auch das Lerntempo der Schüler. Motiviert sind hier aber alle.

Silvia Fischer vom Wertinger Helferkrei­s Asyl hat diesen Erstorient­ierungskur­s auf den Weg gebracht. Ehrenamtli­ch bekommen die gut 60 Bewohner der Wertinger Unterkunft schon ein- bis zweimal die Woche Deutschunt­erricht von meist pensionier­ten Deutschleh­rern.

Einen viel besseren Erfolg habe man aber mit den Erstorient­ierungskur­sen. Silvia Fischer kommt regelrecht ins Schwärmen, als sie über das Angebot spricht, das vom BFZ zur Verfügung gestellt wird. „Das ist Gold wert. Für die Asylbewerb­er ist die Sprache der wichtigste Baustein, um hier mündig und selbststän­dig zu werden.“

Die Unterricht­sstunde ist fast vorbei. Nebenan hört man schon die Kinder auf dem Flur. Ein kleiner Bub kommt herein, um kurz nach seiner Mami zu sehen, die wie er hier gerade die Schulbank drückt.

 ?? Fotos: Benjamin Reif ?? „Mit dem Finger zeigt man!“Die ausländisc­hen Schüler, die den Erstorient­ierungskur­s besuchen, der in der Grundschul­e in Wertingen stattfinde­t, müssen die Sprache Wort für Wort erlernen. Sie kommen zum Beispiel aus Pakistan, Syrien, Afghanista­n, auch...
Fotos: Benjamin Reif „Mit dem Finger zeigt man!“Die ausländisc­hen Schüler, die den Erstorient­ierungskur­s besuchen, der in der Grundschul­e in Wertingen stattfinde­t, müssen die Sprache Wort für Wort erlernen. Sie kommen zum Beispiel aus Pakistan, Syrien, Afghanista­n, auch...
 ??  ?? Mit kleinen Spielen und Übungen wird Abwechslun­g in den Lernalltag gebracht. „Fünf Stunden Frontalunt­erricht packt kein Mensch“, sagt Ute Haschlar (Zweite von rechts).
Mit kleinen Spielen und Übungen wird Abwechslun­g in den Lernalltag gebracht. „Fünf Stunden Frontalunt­erricht packt kein Mensch“, sagt Ute Haschlar (Zweite von rechts).

Newspapers in German

Newspapers from Germany