Erwachsene „Grundschüler“
Zehn Asylbewerber bekommen in den Räumen der Wertinger Grundschule einfachen Deutschunterricht. „Erstorientierungskurs“nennt sich das. Die Regeln sind strikt: Wer keine Disziplin zeigt, fliegt raus
Wertingen Mit dem Mund spricht man. Das wissen natürlich alle der zehn Sprachschüler, die an diesem Vormittag im zweiten Stock der Wertinger Grundschule sitzen, an die Tafel starren und von Ute Haschlar erwartungsvoll angelächelt werden. Doch diesen Satz auch fehlerfrei aufzuschreiben und auszusprechen, das ist dann doch eine Herausforderung. Mehrere Wortmeldungen gehen ein bisschen daneben, an der Tafel steht schließlich „mit dem Mund sprehen man“, es klappt nicht ganz. „Spricht“, sagt Haschlar laut und deutlich. Dann führt sie das „ch“, das vielen so schwer fällt, noch einmal vor. Ch, ch, ch. Die erwachsenen Schüler sehen ein bisschen eingeschüchtert aus.
Seit Mai läuft der Erstorientierungskurs an der Wertinger Grundschule, den das Berufliche Fortbildungszentrum der bayerischen Wirtschaft (BFZ) veranstaltet. Das Geld für den Kurs kommt vom Bayerischen Arbeits- und Sozialministerium.
Bei der Raumsuche war die Stadt Wertingen sehr zuvorkommend, erzählt die BFZ-Leiterin für Günzburg und Dillingen, Ursula Lorch. „Uns wurden sofort die Räume im Obergeschoss der Grundschule angeboten“, sagt Lorch. Das passe gut – einige der Sprachschüler haben Kinder, welche die Grundschule besuchen. Außerdem können die Sprachschüler über ein separates Treppenhaus nahe der Musikschule zu ihrem Unterrichtsraum gelangen.
Die Eltern informierte Schulleiterin Christiane Grandé in einem Elternbrief. Das geschah manchem zu vorschnell. Stefanie Eser erzählte unserer Zeitung, dass sie und andere sich überrumpelt vorgekommen seien. „Wir hätten uns mehr als die zwei lapidaren Sätze gewünscht, die in diesem Brief standen“, sagt Eser. Sie findet den Deutschunterricht für die Asylbewerber gut, betont sie. Auf keinen Fall wolle sie dann diejenige sein, die schlecht über das Angebot spreche. Doch die Art und Weise, wie es vonseiten der Schule kommuniziert wurde, sei unsensibel gewesen. „Wir Eltern haben das als Entscheidung über unsere Köpfe hinweg gesehen“, sagt Eser.
Gegen die Unterbringung gebe es diffuse Bedenken in der Bevölkerung, da stimmen Lorch und Schulleiterin Grandé überein. Um etwaige Ängste abzumildern, haben die Grundschule und das BFZ die Rahmenbedingungen an die des Schulbetriebs angepasst. Soll hei- ßen: Die Asylbewerber kommen und gehen zu anderen Zeiten, als es die Grundschüler tun, ebenso wenig kommen die beiden Gruppen in den Pausenzeiten in Berührung, da diese ebenfalls unterschiedlich sind. Und auch bei den Toiletten hat Grandé laut eigener Aussage dafür gesorgt, dass die Asylbewerber eine gesonderte benutzen, damit sie nicht auf den Gang müssen, auf dem die Grundschüler unterwegs sind.
Diese Maßnahmen haben nun nichts mit den Gästen an sich zu tun, sagt Lorch nachdrücklich, „das sind ja keine Gefangenen, die man wegsperren muss, sondern ganz normale Leute.“Doch bei Erwachsenen, die sich in einer Grundschule aufhalten, seien grundsätzlich strikte Regeln einzuhalten.
Wenn Lorch über die Asylbewerber spricht, dann in einem sachlichen Tonfall. Um einen solchen Kurs aufrecht zu erhalten und funktionieren zu lassen, sei einiges an Organisation notwendig. Und eine gewisse Härte. Denn „schlechte Beispiele“dürften aus mehreren Gründen nicht geduldet werden. Wer nach dem Lust-und-LaunePrinzip erscheine oder den Raum verlasse, wann es ihm oder ihr gerade passt, der wird zuerst ver- warnt. Wer es dann noch nicht kapiert, der fliegt raus, sagt Lorch.
In diesem Kurs gibt es aber keine Probleme mit der Disziplin. Die Atmosphäre im Klassenraum ist hoch konzentriert, obwohl die Schüler schon seit über drei Stunden Deutsch pauken. Eine große Herausforderung sei es, Abwechslung in den Unterrichtsalltag zu bringen. Anders als normaler Schulunterricht bestehe der Erstorientierungskurs ja nur aus einem einzigen Fach – Deutscher Sprache. Damit fünf Stunden Unterricht am Stück zu befüllen, sei jeden Tag aufs Neue anspruchsvoll, sagt die Lehrerin Ute Haschlar. Sie hat schon mehrere solcher Kurse freiberuflich geleitet. Um die Schüler bei der Stange zu halten, baut sie mehrmals am Tag Spiele und lockere Übungen ein. „Fünf Stunden Frontalunterricht packt kein Mensch“, sagt Haschlar. In der Klasse gibt es Personen, die noch nie in ihrem Leben einen geregelten Unterricht besucht haben. Ebenso gibt es Sprachschüler, die in ihrem Heimatland Akademiker waren. Entsprechend unterschiedlich sei eben auch das Lerntempo der Schüler. Motiviert sind hier aber alle.
Silvia Fischer vom Wertinger Helferkreis Asyl hat diesen Erstorientierungskurs auf den Weg gebracht. Ehrenamtlich bekommen die gut 60 Bewohner der Wertinger Unterkunft schon ein- bis zweimal die Woche Deutschunterricht von meist pensionierten Deutschlehrern.
Einen viel besseren Erfolg habe man aber mit den Erstorientierungskursen. Silvia Fischer kommt regelrecht ins Schwärmen, als sie über das Angebot spricht, das vom BFZ zur Verfügung gestellt wird. „Das ist Gold wert. Für die Asylbewerber ist die Sprache der wichtigste Baustein, um hier mündig und selbstständig zu werden.“
Die Unterrichtsstunde ist fast vorbei. Nebenan hört man schon die Kinder auf dem Flur. Ein kleiner Bub kommt herein, um kurz nach seiner Mami zu sehen, die wie er hier gerade die Schulbank drückt.