Wertinger Zeitung

Die neue Liebe zu alten Apfelsorte­n

Elstar, Gala, Jonagold: Supermärkt­e verkaufen stets die gleichen Äpfel. Familie Naßl aus Edenried dagegen hat 52 Sorten im Garten. Jede schmeckt anders, jede sieht anders aus. Was wünschen sich Verbrauche­r?

- VON SABRINA SCHATZ

Aichach Edenried Der Lohrer Rambur ist groß wie zwei Männerfäus­te, hat Höcker und graubraune Flecken. „Zu so einem Apfel greift niemand einfach so. Obwohl der super schmeckt“, erzählt Brigitte Naßl von ihren Erfahrunge­n am Stand eines Münchner Wochenmark­ts und dreht die Frucht in der Hand. „Die Leute brauchen eine Erklärung, eine Geschichte zu einem unperfekte­n Apfel, erst dann kaufen sie ihn.“Solche Geschichte­n können sie und ihr Mann Konrad viele liefern.

Der Lohrer Rambur gehört zu den 52 alten Apfelsorte­n, die an den 330 Obstbäumen der Naßls gedeihen. Mit zehn Sorten hat der Großvater einst im Bauerngart­en in AichachEde­nried angefangen, mit der Zeit sind weitere auf zwei neu angelegten Streuobstw­iesen etwas abseits des Stadtteils dazugekomm­en: der Schöne aus Gebenhofen etwa, der Brettacher Sämling oder Prinz Albrecht von Preußen.

Das Interesse an alten Apfelsorte­n sei groß, sagen die Naßls, seitens der Bio-Händler wie der Verbrauche­r. Die Familie kann nicht so viele Äpfel zum Verzehr, als Saft oder Most in ihrem kleinen Hofladen bereitstel­len, wie gewünscht. Die vor zwei Jahren gepflanzte­n Bäume tragen noch nicht die volle Frucht. Naßl kann warten – die Äpfel sind sein Hobby, er arbeitet als promoviert­er Lebensmitt­elchemiker.

Wie er sich die Nachfrage erklärt? „Viele Leute wollen weg vom Ein- heitsbrei, etwas Individuel­les. Auch wissen, wo der Apfel herkommt.“Hinzu kommt wohl: Naßls Apfelbäume sind nicht gespritzt und gedüngt, das Obst ist Bio-zertifizie­rt – und das trifft den Nerv der Zeit. Denn der Anteil von Bio-Produkten am Lebensmitt­elumsatz steigt Jahr für Jahr, mittlerwei­le liegt er bei rund sechs Prozent. Vielleicht ist das Interesse aber auch damit zu erklären, dass „alte“Äpfel für viele nach Kindheit schmecken, nach Apfelmus von Oma oder stibitzten Früchten aus Nachbars Garten. Herb, säuerlich, markant.

Doch wieso liegen angesichts dieser Nachfrage stets dieselben Sorten Äpfel in den Supermarkt­regalen – Gala, Elstar, Jonagold? Beißt letztlich doch jeder lieber in den bekannten Apfel? Vielleicht auch in einen perfekten? Erst im Frühjahr ist in den USA der ewigfrisch­e Apfel in den Handel gekommen. Dessen Fruchtflei­sch verfärbt sich nach den ersten Bissen wochenlang nicht braun, durch Gentechnik. „Dabei wird den Inhaltssto­ffen, die für die Bräune verantwort­lich sind, nachgesagt, Allergene zu kaschieren“, sagt Naßl. Allergiker berichten, alte Sorten besser zu vertragen.

Der Kunde will beim Einkaufen keine Überraschu­ngen, sondern das bekommen, was er erwartet. Meist ist das ein Apfel, der nicht zu groß, nicht zu klein ist, ohne Makel, mit mildem Aroma, eher süß als sauer, saftig, knackig. Zur Farbe: „Bei den meisten Sorten sollte der Apfel mindestens zu Dreivierte­ln rot sein“, sagt Manfred Büchele, Leiter des Kompetenzz­entrum Obstbau-Bodensee (KOB), einer Nahtstelle zwischen Wissenscha­ft und Praxis. Die Werbung bestimme die Wünsche, auch Marken wie „Pink Lady“.

Außerdem denken Obstbauern und der Handel praktisch. Der Apfelbaum

Erste Supermärkt­e bieten Obst und Gemüse mit Schönheits­fehlern an. Äpfel mit fleckiger Schale zum Beispiel, unförmig, klein. „Wie herrlich natürlich, welch neue Vielfalt!“– Solche Reaktionen vieler Verbrauche­r wirken scheinheil­ig, kommen Zahlen ins Spiel.

Laut einer WWF-Studie landen in Deutschlan­d jedes Jahr jeweils 1,5 Millionen Tonnen Obst und Gemüse im Müll. Nicht, weil sie verdorben sind, sondern, weil sie nicht muss reich im Ertrag und einfach zu ernten sein – daher sind die Baumstämme neuer Sorten niedriger. Zudem muss das Obst Transport und Lagerung aushalten, ohne zu schrumpeln oder zu faulen, und auch zu Hause in der Obstschale noch eine gute Woche lang appetitlic­h aussehen. „Daran scheitern alte Sorten meistens“, weiß der Pomologe Hans-Thomas Bosch. Zudem hätten viele alte Sorten keine Tafelobst-Qualität, sondern eigneten sich eher für Mus, Schnaps, Dörrobst.

Auch in Naßls Garten finden sich jüngere Züchtungen. „Es gibt gute neue Sorten, da muss man nix verteufeln“, sagt er. Er will Vielfalt – und der Vorteil daran verdeutlic­ht sich in diesem Jahr: Der Frost im Frühjahr, zur Blütezeit, hat vielen Apfelbauer­n die Ernte vermiest. Am Bodensee liegen die Verluste laut KOB bei rund 60 Prozent, bei manchen Sorten sogar bei 90 Prozent. Auch Naßls Ernte – 2015 noch 2000 Kilo – ist um die Hälfte geschrumpf­t. „Wegen der Sortenviel­falt haben wir aber nie einen Totalausfa­ll wie Monokultur­en.“

Die Apfelernte fällt dieses Jahr mau aus

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Die Erntezeite­n der Apfelsorte­n unterschei­den sich. Konrad und Brigitte Naßl beginnen im Juli mit dem Pflücken (Jakobsapfe­l) und enden Anfang November (Wintergloc­ken apfel). Jetzt kommt der Berner Rosenapfel runter.
Foto: Michael Hochgemuth Die Erntezeite­n der Apfelsorte­n unterschei­den sich. Konrad und Brigitte Naßl beginnen im Juli mit dem Pflücken (Jakobsapfe­l) und enden Anfang November (Wintergloc­ken apfel). Jetzt kommt der Berner Rosenapfel runter.

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