Wertinger Zeitung

Der verblümte Blick auf die Türkei

Die 15. Kunst-Biennale in Istanbul findet trotz schwierige­r Bedingunge­n statt. Das Motto klingt durchaus kritisch

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Istanbul Man muss genauer hinsehen, um die Installati­on von Burcak Bingöl auf der Kunst-Biennale in Istanbul zu entdecken: Überwachun­gskameras aus Keramik hängen in den Ecken vor dem Museum für Moderne Kunst (Istanbul Modern) und an zahlreiche­n anderen Orten im Stadtzentr­um. Die türkische Künstlerin hat ihre Keramik-Kameras mit Blumen bemalt und sie direkt neben echten Überwachun­gskameras installier­t. Sie habe damit auf die 24-Stunden-Überwachun­g in der Stadt aufmerksam machen wollen, sagt sie über die Kameras. „Normalerwe­ise beobachten sie uns, aber ich mache sie zu einem künstleris­chen Objekt und nun schauen wir zurück“, sagt Bingöl.

Bingöls Kameras verbinden die sechs Ausstellun­gsorte der 15. Biennale in Istanbul. 56 Künstler aus 32 Ländern zeigen ihre Werke zum Thema „a good neighbour“(„ein guter Nachbar“). Zehn Künstler sind aus der Türkei. Die Kunstwerke können von Samstag an bis 12. November besichtigt werden. Die Biennale findet in einem schwierige­n Klima statt. Der nach dem Putschvers­uch vom Juli 2016 verhängte Ausnahmezu­stand gilt noch immer. Zahlreiche Journalist­en und Opposition­elle sitzen im Gefängnis.

Die Frage, ob es wegen der politische­n Situation überhaupt richtig ist, die Biennale in der Türkei zu veranstalt­en, wird in Istanbul thematisie­rt. Die skandinavi­schen Kuratoren Elmgreen & Dragset hatten sich bewusst für die Veranstalt­ung entschiede­n, weil sie die türkischen Künstler nicht isolieren wollen. „Lasst uns miteinande­r reden“, sagt Michael Elmgreen. Auch Künstlerin Bingöl ist gegen einen Boykott der Biennale: „Natürlich gibt es Probleme, das wissen wir.“Aber es sei ein falsches Bild, wenn man denke, dass Kunst in der Türkei nur noch im Untergrund möglich sei.

Die türkischen Künstler nutzen das Motto „a good neighbour“auch, um sich mit Gentrifizi­erung und der Bebauung in Istanbul auseinande­rzusetzen. Thematisie­rt wird etwa das zugebaute Ufer Istanbuls, das den Einwohnern den Zugang zum Bosporus verwehrt. Und Bilal Yilmaz erinnert in der alten griechisch­en Schule mit seiner Installati­on „Dirty Box“daran, dass traditione­lle Handwerke verschwind­en.

Dass gerade die Türkei nicht nur gute nachbarsch­aftliche Beziehunge­n hat, zeigt Erkan Özgen. Der Künstler stammt aus der südosttürk­ischen Kurdenmetr­opole Diyarbakir. In seiner Videoinsta­llation ist ein taubstumme­r Junge aus der kurdisch-syrischen Stadt Kobane zu sehen, der vor der Terrormili­z IS geflohen ist. Kobane hat für die Kurden symbolisch­e Bedeutung. Der 13-jährige Junge im Video drückt mit Gesten das Kriegstrau­ma aus, das er erlebt hat. Sein Trauma kann auch auf andere Konflikte übertragen werden. Mirjam Schmitt, dpa

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Foto: Mirjam Schmitt, dpa Burcak Bingöl antwortet mit Kunst Ka meras auf die ständige Überwachun­g in der Türkei.

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