Das Auto
Ist da was am Kippen? Schon vor der Diesel-Affäre zeichnete sich eine Art Identitätskrise des Automobils ab. Zeit für eine Hauptuntersuchung
Vor uns lag noch ein längerer Weg. Uns sollte es recht sein. Der Weg ist das Leben.“– Wer in der Provinz aufgewachsen ist, auf dem Land und vor allem vor dem ganzen Digitalisierungsgedöns, der Energiewende, dem Dieselsterben und dem generellen Misstrauen gegenüber allem, was stinkt, der weiß vielleicht noch um das Freiheitsversprechen, das da plötzlich in der Hofeinfahrt stand.
Mein erstes Auto war ein roter Golf, die hie und da bereits nachgebesserte Lackierung war fast schon genauso ausgeblichen wie der Aufkleber einer Pizzeria in den italienischen Landesfarben hinten am Heck, im Inneren roch es noch ein bisschen nach dem Vanillebaum des Vorbesitzers, und: er war tiefergelegt. Letzteres erfuhr ich erst aus dem Fahrzeugschein und es war ein bisschen peinlich, schließlich hatten in der Provinz, auf dem Land fast alle Golfs, tiefergelegte aber nur knapp die Hälfte, nur die vermeintlichen Prolls, doch egal: Dieses Gefährt, das ja vom Wortstamm her nur einen Buchstaben neben dem Gefährten liegt, sollte einen ja genau deswegen fortbringen, weg, wenn schon nicht gleich ins Leben wie im Eingangszitat von Jack Kerouac, dem Dichter von „On the Road“, so doch mindestens bis zum über-, ach was, überübernächsten Baggersee, von wo aus man die Bretagne, den Atlantik, das andere schon ahnen konnte.
Zu hochgehängt die ganze tiefergelegte Sache? Vielleicht. Vielleicht aber ist es, während dieser Tage irgendwelche E-Mobile in Frankfurt präsentiert werden, in deren kurzen Windschatten die SUVs immer mehr und auch größer werden, Stickoxide dagegen sich in Luft auflösen sollen, auch Zeit für eine Bestandsaufnahme. Zeit für eine, wenn man so will, Hauptuntersuchung dessen, was die Menschen die letzten hundert Jahre lang bewegte, sie durch die heute vielen als banal erscheinende Tatsache, sich fortbewegen zu können, wohin und wann immer man will, erst zu Individuen machte. Zeit, das näher anzuschauen, von dem man lange gar nicht dachte, dass man eine Beziehung dazu unterhält. Das Auto also.
„Das Auto besitzt bei den 18- bis 25-Jährigen nicht mehr den Emotionalisierungsgrad wie bei früheren Generationen“, so Stefan Bratzel, Direktor des Autoinstituts an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Und das war noch vor Diesel-Gate und dem neuen iPhone, das diese Woche mit viel Brimborium und medialem Begleitgetöse vorgestellt wurde. Und so fällt die Antwort der Autobauer denn auch aus, denn so, wie Telefone längst nicht mehr nur zum telefonieren da sind, sind es Autos scheint’s auch nicht mehr zum fahren. Mobilität verschafft mittlerweile das mobile phone, wie das Handy im Englischen immer hieß, und was soll denn da ein Haufen Blech auf vier Rädern? Richtig: mindestens vernetzt sein, Videos abspielen, selber einparken können, piepsen, links oder rechts sagen, selber links oder rechts fahren, dabei vielleicht noch gut aussehen und – zumindest auf dem Papier – natürlich die Umwelt schonen, also gut ausschauen auch dort.
Dabei ist die Software zur Manipulation der Abgaswerte und des Gewissens nur ein winzig kleines Stückchen Informationstechnologie, mit der moderne Autos mittlerweile vollgepackt sind. Alleine die Zahl der Sensoren, die von der Außentemperatur über den Luftdruck der Reifen bis hin zur Verdauung des Beifahrers oder was auch immer al- les überwachen, geht in die Hunderte. Und spinnt einer von ihnen, geht vorne an der Anzeigentafel das Geblinke, „das Mäusekino los“, wie es mal ein leicht verzweifelter ADACPannenhelfer formulierte.
Damals, im roten Golf, gab es hingegen nur einen Tacho, eine Uhr, eine Tank- und Motortemperaturanzeige, dafür einen Aschenbecher so groß wie eine Sockenlade. Und überhaupt war vorne das sogenannte Cockpit eine einzige, riesige Ablagefläche, was heute in diesen abgerundeten Zeiten (Sicherheit!) gar nicht mehr ginge und mitunter dazu führte, dass man weder Tacho noch Uhr noch Tank- und Motortemperaturanzeige richtig sehen konnte. Egal, man fuhr nach Gehör und Gefühl, und o.k., einmal auf der Autobahn stehen geblieben, und man musste das von einer Freundin herbeigeschaffte Benzin mittels einer zusammengerollten Zeitung nachfüllen, die Rückschlagklappe mit einem Plastikkleiderbügel, der sich dann leider auflöste und im Tank verschwand, aufdrücken, und ja, einmal war es auch plötzlich recht heiß im Auto und nichts ging mehr, nach Wegräumen der Kippenschachteln die Temperaturanzeige am Anschlag, dafür konnte man aber die kaputtgegangene Lichtmaschine noch selbst austauschen, und im Winter war es ohnehin eine bald lieb gewordene Gewohnheit, wenn nötig mit dem Hammer auf das Anlassergestänge zu hauen, und so weiter und mit anderen Worten: Das Versprechen von Autonomie und Souveränität, dem Auto von Anfang an innewohnte, war noch intakt.
Heutzutage aber wird ja selbst der Kfz-Meister von seinem elektronischen Auslesegerät entmündigt, vom Fahrer, dem unzählige Assistenzsysteme die Richtung vorgeben, ganz zu schweigen. Irgendwo in den Vogesen spätnachts noch eine offene Tankstelle suchen, bergab entkuppeln, um Benzin zu sparen, und bangen, dass man es noch schafft? Nicht mit dem Navi. Den kürzesten Weg verpassen, weil man eigenmächtig und nach Himmelsrichtung den Stau zu umfahren versucht und im ShellAtlas ausgerechnet diese Seite fehlt, dafür dann aber eine wunderbare Dorfwirtschaft im Niemandsland zwischen Kitzingen und Bessenbach-Waldaschaff entdecken? Nicht mit dem Navi. Aber genau das macht ja, frei nach Brecht, das Unterwegssein erst aus: Vielleicht nicht gerne sein, wo man herkommt, vielleicht auch nicht gerne sein, wo man hinfährt, und doch den Radwechsel mit Ungeduld zu betrachten, das Dazwischensein als ureigentlichen Daseinszustand zu akzeptieren und auch auszukosten. So gesehen ist (oder war) das Autofahren jedenfalls einer der wenigen existenziellen Zustände des modernen Menschen, der zwischen A und B, in einem Blechkasten isoliert und quasi auf sich selbst zurückgeworfen, Landschaft und Leben durchmisst. Heute hingegen googelt er nebenbei im Bordcomputer nach dem nächsten Schnellimbiss.
Damit nun aber nicht die Orientierung verloren geht und kein Missverständnis aufkommt: Natürlich ist technischer Fortschritt erst einmal zu begrüßen, zumal, wenn er die Fahrzeuge immer sicherer macht und Leben rettet. Aber was da mittlerweile alles in Autos mit dem Stromverbrauch bald eines Singlehaushalts verbaut wird, deutet doch eher auf eine Art Identitätskrise hin, ganz so, als trauten die Hersteller ihrer eigenen Kompetenz und dem Konzept des mittels fossiler Brennstoffe betriebenen, individuellen Fortbewegungsmittels nicht mehr. Stattdessen werden MassageSitze, Entertainment-Systeme, „Ambient-Lights“und sonstiger Schnickschnack verbaut, als handele es sich um ein Wohnzimmer. Wer das alles braucht? Keine Ahnung, dahinter aber steckt die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden, den Anschluss zu verpassen.
Diese Verunsicherung ist – trotz allen Selbstbewusstseins, dass die Autobauer diese Woche bei der IAA in Frankfurt zu demonstrieren versuchen – jedenfalls spürbar, mögen die Umsatzzahlen derzeit auch noch steigen. Denn neben besagten Imageproblemen gerade bei Heranwachsenden, die die Freiheit anderweitig suchen, Leben anders er-fahren, andere Statussymbole oder auch den Verzicht auf solche als wesentlich cooler empfinden, ist es ja vor allem der allgemeine Umbruch im Individualverkehr, der gerade den deutschen Konzernen Kopfschmerzen bereitet: Während zum Beispiel die Japaner früh die Hybrid-Technologie forcierten, setzte man in Deutschland auf den sparsamen Diesel, um die CO2-Bilanz der Flotte mit immer größeren Luxuskarossen zu drücken. Das Stickoxid-Problem nahm man dabei in Kauf, nahm auch die Politik in Kauf, und der Konflikt zwischen Klima- einerseits und Umwelt- bedas ziehungsweise Menschenschutz andererseits ist gerade bei jener Partei zu beobachten, deren Kernthemen das alles doch eigentlich sein sollte: Die Grünen verhalten sich in diesem Wahlkampf angesichts der DieselAffäre und den daraus zu ziehenden Konsequenzen merkwürdig verzagt, fordern zwar das Ende des Verbrennungsmotors, aber doch nicht so laut, dass es zu viele Halbhöhen-Bewohner in Stuttgart, die mit ihrem SUV zum Alnatura-Laden fahren, verschrecken könnte.
Ein mögliches Ende des Verbrennungsmotors verschreckt aber vor allem die deutschen Hersteller, ist doch ein Elektromotor gegenüber einem Diesel- oder Benzinantrieb eine recht triviale Angelegenheit, die auch von irgendwelchen asiatischen Batteriezulieferern gleich miterledigt werden kann – wo bleibt dann allerdings künftig der Vorsprung durch Technik, das Verkaufsargument, der Unique Selling
Point? Sitze, die einen nicht nur massieren, sondern womöglich gleich noch die Zehennägel schneiden? Wohl kaum.
Ganz so schnell wie von den einen befürchtet, von den anderen bejubelt, wird es mit der Elektrifizierung des Automobils aber wahrscheinlich auch nicht gehen, wie überhaupt die Vorstellung, mit einem fast leeren Akku und quasi letzter Kraft Richtung heimischer Steckdose durch endlose Maisfelder für die Biogasanlage zu rollen, noch etwas gewöhnungsbedürftig ist. Und vielleicht ist ja angesichts rammelvoller Städte und verstopfter Autobahnen die ganze Idee, Menschen auf diese Weise zu bewegen, eine überkommene.
So oder so aber wird es nie mehr wieder so sein wie damals im roten Golf, es ist scheint’s irgendwann irgendwas auf der Strecke geblieben.
In einem Blechkasten und auf sich selbst zurückgeworfen Landschaft und Leben durchmessen