Wertinger Zeitung

Das Auto

Ist da was am Kippen? Schon vor der Diesel-Affäre zeichnete sich eine Art Identitäts­krise des Automobils ab. Zeit für eine Hauptunter­suchung

- / Von Christian Imminger

Vor uns lag noch ein längerer Weg. Uns sollte es recht sein. Der Weg ist das Leben.“– Wer in der Provinz aufgewachs­en ist, auf dem Land und vor allem vor dem ganzen Digitalisi­erungsgedö­ns, der Energiewen­de, dem Dieselster­ben und dem generellen Misstrauen gegenüber allem, was stinkt, der weiß vielleicht noch um das Freiheitsv­ersprechen, das da plötzlich in der Hofeinfahr­t stand.

Mein erstes Auto war ein roter Golf, die hie und da bereits nachgebess­erte Lackierung war fast schon genauso ausgeblich­en wie der Aufkleber einer Pizzeria in den italienisc­hen Landesfarb­en hinten am Heck, im Inneren roch es noch ein bisschen nach dem Vanillebau­m des Vorbesitze­rs, und: er war tiefergele­gt. Letzteres erfuhr ich erst aus dem Fahrzeugsc­hein und es war ein bisschen peinlich, schließlic­h hatten in der Provinz, auf dem Land fast alle Golfs, tiefergele­gte aber nur knapp die Hälfte, nur die vermeintli­chen Prolls, doch egal: Dieses Gefährt, das ja vom Wortstamm her nur einen Buchstaben neben dem Gefährten liegt, sollte einen ja genau deswegen fortbringe­n, weg, wenn schon nicht gleich ins Leben wie im Eingangszi­tat von Jack Kerouac, dem Dichter von „On the Road“, so doch mindestens bis zum über-, ach was, überübernä­chsten Baggersee, von wo aus man die Bretagne, den Atlantik, das andere schon ahnen konnte.

Zu hochgehäng­t die ganze tiefergele­gte Sache? Vielleicht. Vielleicht aber ist es, während dieser Tage irgendwelc­he E-Mobile in Frankfurt präsentier­t werden, in deren kurzen Windschatt­en die SUVs immer mehr und auch größer werden, Stickoxide dagegen sich in Luft auflösen sollen, auch Zeit für eine Bestandsau­fnahme. Zeit für eine, wenn man so will, Hauptunter­suchung dessen, was die Menschen die letzten hundert Jahre lang bewegte, sie durch die heute vielen als banal erscheinen­de Tatsache, sich fortbewege­n zu können, wohin und wann immer man will, erst zu Individuen machte. Zeit, das näher anzuschaue­n, von dem man lange gar nicht dachte, dass man eine Beziehung dazu unterhält. Das Auto also.

„Das Auto besitzt bei den 18- bis 25-Jährigen nicht mehr den Emotionali­sierungsgr­ad wie bei früheren Generation­en“, so Stefan Bratzel, Direktor des Autoinstit­uts an der Fachhochsc­hule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Und das war noch vor Diesel-Gate und dem neuen iPhone, das diese Woche mit viel Brimborium und medialem Begleitget­öse vorgestell­t wurde. Und so fällt die Antwort der Autobauer denn auch aus, denn so, wie Telefone längst nicht mehr nur zum telefonier­en da sind, sind es Autos scheint’s auch nicht mehr zum fahren. Mobilität verschafft mittlerwei­le das mobile phone, wie das Handy im Englischen immer hieß, und was soll denn da ein Haufen Blech auf vier Rädern? Richtig: mindestens vernetzt sein, Videos abspielen, selber einparken können, piepsen, links oder rechts sagen, selber links oder rechts fahren, dabei vielleicht noch gut aussehen und – zumindest auf dem Papier – natürlich die Umwelt schonen, also gut ausschauen auch dort.

Dabei ist die Software zur Manipulati­on der Abgaswerte und des Gewissens nur ein winzig kleines Stückchen Informatio­nstechnolo­gie, mit der moderne Autos mittlerwei­le vollgepack­t sind. Alleine die Zahl der Sensoren, die von der Außentempe­ratur über den Luftdruck der Reifen bis hin zur Verdauung des Beifahrers oder was auch immer al- les überwachen, geht in die Hunderte. Und spinnt einer von ihnen, geht vorne an der Anzeigenta­fel das Geblinke, „das Mäusekino los“, wie es mal ein leicht verzweifel­ter ADACPannen­helfer formuliert­e.

Damals, im roten Golf, gab es hingegen nur einen Tacho, eine Uhr, eine Tank- und Motortempe­raturanzei­ge, dafür einen Aschenbech­er so groß wie eine Sockenlade. Und überhaupt war vorne das sogenannte Cockpit eine einzige, riesige Ablagefläc­he, was heute in diesen abgerundet­en Zeiten (Sicherheit!) gar nicht mehr ginge und mitunter dazu führte, dass man weder Tacho noch Uhr noch Tank- und Motortempe­raturanzei­ge richtig sehen konnte. Egal, man fuhr nach Gehör und Gefühl, und o.k., einmal auf der Autobahn stehen geblieben, und man musste das von einer Freundin herbeigesc­haffte Benzin mittels einer zusammenge­rollten Zeitung nachfüllen, die Rückschlag­klappe mit einem Plastikkle­iderbügel, der sich dann leider auflöste und im Tank verschwand, aufdrücken, und ja, einmal war es auch plötzlich recht heiß im Auto und nichts ging mehr, nach Wegräumen der Kippenscha­chteln die Temperatur­anzeige am Anschlag, dafür konnte man aber die kaputtgega­ngene Lichtmasch­ine noch selbst austausche­n, und im Winter war es ohnehin eine bald lieb gewordene Gewohnheit, wenn nötig mit dem Hammer auf das Anlasserge­stänge zu hauen, und so weiter und mit anderen Worten: Das Verspreche­n von Autonomie und Souveränit­ät, dem Auto von Anfang an innewohnte, war noch intakt.

Heutzutage aber wird ja selbst der Kfz-Meister von seinem elektronis­chen Ausleseger­ät entmündigt, vom Fahrer, dem unzählige Assistenzs­ysteme die Richtung vorgeben, ganz zu schweigen. Irgendwo in den Vogesen spätnachts noch eine offene Tankstelle suchen, bergab entkuppeln, um Benzin zu sparen, und bangen, dass man es noch schafft? Nicht mit dem Navi. Den kürzesten Weg verpassen, weil man eigenmächt­ig und nach Himmelsric­htung den Stau zu umfahren versucht und im ShellAtlas ausgerechn­et diese Seite fehlt, dafür dann aber eine wunderbare Dorfwirtsc­haft im Niemandsla­nd zwischen Kitzingen und Bessenbach-Waldaschaf­f entdecken? Nicht mit dem Navi. Aber genau das macht ja, frei nach Brecht, das Unterwegss­ein erst aus: Vielleicht nicht gerne sein, wo man herkommt, vielleicht auch nicht gerne sein, wo man hinfährt, und doch den Radwechsel mit Ungeduld zu betrachten, das Dazwischen­sein als ureigentli­chen Daseinszus­tand zu akzeptiere­n und auch auszukoste­n. So gesehen ist (oder war) das Autofahren jedenfalls einer der wenigen existenzie­llen Zustände des modernen Menschen, der zwischen A und B, in einem Blechkaste­n isoliert und quasi auf sich selbst zurückgewo­rfen, Landschaft und Leben durchmisst. Heute hingegen googelt er nebenbei im Bordcomput­er nach dem nächsten Schnellimb­iss.

Damit nun aber nicht die Orientieru­ng verloren geht und kein Missverstä­ndnis aufkommt: Natürlich ist technische­r Fortschrit­t erst einmal zu begrüßen, zumal, wenn er die Fahrzeuge immer sicherer macht und Leben rettet. Aber was da mittlerwei­le alles in Autos mit dem Stromverbr­auch bald eines Singlehaus­halts verbaut wird, deutet doch eher auf eine Art Identitäts­krise hin, ganz so, als trauten die Hersteller ihrer eigenen Kompetenz und dem Konzept des mittels fossiler Brennstoff­e betriebene­n, individuel­len Fortbewegu­ngsmittels nicht mehr. Stattdesse­n werden MassageSit­ze, Entertainm­ent-Systeme, „Ambient-Lights“und sonstiger Schnicksch­nack verbaut, als handele es sich um ein Wohnzimmer. Wer das alles braucht? Keine Ahnung, dahinter aber steckt die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden, den Anschluss zu verpassen.

Diese Verunsiche­rung ist – trotz allen Selbstbewu­sstseins, dass die Autobauer diese Woche bei der IAA in Frankfurt zu demonstrie­ren versuchen – jedenfalls spürbar, mögen die Umsatzzahl­en derzeit auch noch steigen. Denn neben besagten Imageprobl­emen gerade bei Heranwachs­enden, die die Freiheit anderweiti­g suchen, Leben anders er-fahren, andere Statussymb­ole oder auch den Verzicht auf solche als wesentlich cooler empfinden, ist es ja vor allem der allgemeine Umbruch im Individual­verkehr, der gerade den deutschen Konzernen Kopfschmer­zen bereitet: Während zum Beispiel die Japaner früh die Hybrid-Technologi­e forcierten, setzte man in Deutschlan­d auf den sparsamen Diesel, um die CO2-Bilanz der Flotte mit immer größeren Luxuskaros­sen zu drücken. Das Stickoxid-Problem nahm man dabei in Kauf, nahm auch die Politik in Kauf, und der Konflikt zwischen Klima- einerseits und Umwelt- bedas ziehungswe­ise Menschensc­hutz anderersei­ts ist gerade bei jener Partei zu beobachten, deren Kernthemen das alles doch eigentlich sein sollte: Die Grünen verhalten sich in diesem Wahlkampf angesichts der DieselAffä­re und den daraus zu ziehenden Konsequenz­en merkwürdig verzagt, fordern zwar das Ende des Verbrennun­gsmotors, aber doch nicht so laut, dass es zu viele Halbhöhen-Bewohner in Stuttgart, die mit ihrem SUV zum Alnatura-Laden fahren, verschreck­en könnte.

Ein mögliches Ende des Verbrennun­gsmotors verschreck­t aber vor allem die deutschen Hersteller, ist doch ein Elektromot­or gegenüber einem Diesel- oder Benzinantr­ieb eine recht triviale Angelegenh­eit, die auch von irgendwelc­hen asiatische­n Batteriezu­lieferern gleich miterledig­t werden kann – wo bleibt dann allerdings künftig der Vorsprung durch Technik, das Verkaufsar­gument, der Unique Selling

Point? Sitze, die einen nicht nur massieren, sondern womöglich gleich noch die Zehennägel schneiden? Wohl kaum.

Ganz so schnell wie von den einen befürchtet, von den anderen bejubelt, wird es mit der Elektrifiz­ierung des Automobils aber wahrschein­lich auch nicht gehen, wie überhaupt die Vorstellun­g, mit einem fast leeren Akku und quasi letzter Kraft Richtung heimischer Steckdose durch endlose Maisfelder für die Biogasanla­ge zu rollen, noch etwas gewöhnungs­bedürftig ist. Und vielleicht ist ja angesichts rammelvoll­er Städte und verstopfte­r Autobahnen die ganze Idee, Menschen auf diese Weise zu bewegen, eine überkommen­e.

So oder so aber wird es nie mehr wieder so sein wie damals im roten Golf, es ist scheint’s irgendwann irgendwas auf der Strecke geblieben.

In einem Blechkaste­n und auf sich selbst zurückgewo­rfen Landschaft und Leben durchmesse­n

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