Wertinger Zeitung

Wohin steuert die Landwirtsc­haft?

Die meisten Bürger sagen, sie würden mehr Geld für Fleisch ausgeben, wenn es dem Wohl der Tiere dient. Der Mastbetrie­b der Familie Gelb macht vor, wie das geht. Die Züchter erklären, wo jedoch die wirklichen Probleme liegen

- VON SONJA KRELL

Wenn Josef Gelb erklären will, wie gut es seinen Schweinen geht, dann nutzt er Vergleiche. Und am liebsten vergleicht er die Schweine mit Menschen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, wie viel gesünder seine Tiere sind. In einem herkömmlic­hen Stall, sagt Gelb, ginge es den Schweinen wie Mitarbeite­rn im Großraumbü­ro. „Sobald einer krank ist, steckt er alle anderen an.“Seine 700 Mastschwei­ne, sagt der 56-Jährige, fielen dagegen in die Kategorie der Waldarbeit­er – weil sie bei jeder Temperatur an der frischen Luft sind, weil sie abgehärtet und dadurch auch gesünder seien.

Gelb geht den Gang entlang, zu den überdachte­n Mastplätze­n im Außenberei­ch. Dort ist es erstaunlic­h ruhig. Ein paar Schweine nagen an Baumstämme­n oder den Plastikket­ten, die an der Seite baumeln, manche liegen einfach nur faul herum, andere wählen den Weg in den Innenberei­ch, wo die Boxen mit Stroh ausgelegt sind, das mehrmals am Tag aus einem Rohr von der Decke rieselt. Draußen geht in regelmäßig­en Abständen die Dusche an und sprüht Wasser auf die Schweine. „Die lieben das, gerade im Sommer“, sagt Josef Gelb. Auch die Luft ist erstaunlic­h gut – nicht dank einer Lüftungsan­lage, sondern weil der Stall an den Seiten offen ist.

Gelb ist es gewohnt, Besucher von Box zu Box zu führen. Seit der 56-Jährige und sein Sohn Josef, 32, vor einem Jahr ihren neuen Stall in Steinach (Kreis Aichach-Friedberg) in Betrieb genommen haben, ist das Interesse groß – schon weil es der erste dieser Art in Bayern ist. Der bayerische Landwirtsc­haftsminis­ter Helmut Brunner (CSU) war schon vor Ort im „Schweineho­tel“, wie Gelb den Stall getauft hat, außerdem Fachbesuch­er, andere Landwirte oder die 1000 Gäste, die zum Tag der offenen Tür kamen. Und Gelb fährt durch die Republik, hält Vorträge über höhere Tierwohl-Standards – beim Fleischere­iverband, bei der Deutschen Landwirtsc­haftsGesel­lschaft (DLG), vor anderen Schweinemä­stern. Die schwierigs­ten Gespräche aber führt der Landwirt mit potenziell­en Abnehmern für seine Schweine. Zwei Metzgereie­n hat er inzwischen an der Hand – doch das reicht nicht. „Ich muss kämpfen, dass ich mein Fleisch vermarkten kann“, sagt er. „Dabei reden alle vom Tierwohl – nur will keiner mehr Geld dafür zahlen.“

In den Umfragen des Bundes- sieht das anders aus: Danach forderten zuletzt 87 Prozent der Verbrauche­r mehr Tierwohl, 88 Prozent sind bereit, mehr für Lebensmitt­el zu bezahlen, wenn die Tiere besser gehalten werden. Bauer Gelb weiß, dass die Realität deutlich komplizier­ter ist. Für ein Schlachtsc­hwein bekommen Mäster derzeit 1,70 Euro pro Kilo Schlachtge­wicht. Gelb bräuchte 35 Cent mehr, um kostendeck­end zu arbeiten. Schließlic­h haben seine Schweine fast doppelt so viel Platz wie gesetzlich vorgeschri­eben, sie stehen auf Stroh, sie haben Auslauf ins Freie und Material zum Spielen.

Gelb betont, dass es den Tieren in seinem Stall besser geht, dass sie gesünder sind und dass auch das Fleisch hochwertig­er ist. Das bestätigen ihm zumindest die Metzgereie­n, die er beliefert. Und er ist überzeugt, dass es eine Klientel gibt, die mehr Tierwohl zu schätzen weiß, aber nicht unbedingt „bio“kaufen will – schon weil ein Schnitzel dann mehr als das Doppelte kostet. Es scheint, als wäre das vielen Verbrauche­rn zu teuer. Jedenfalls liegt der Marktantei­l von Bio-Schweinefl­eisch nach wie vor bei gut einem Prozent.

Auch wenn immer mehr von Vegetarier­n, Veganern und Flexitarie­rn die Rede ist: Die Deutschen essen nach wie vor am liebsten Fleisch. Und davon nicht gerade wenig. Im Schnitt kommt jeder Bundesbürg­er auf 60 Kilo im Jahr, fast zwei Drittel davon sind Schweinefl­eisch – auch wenn die Menge sinkt. Längst wird darüber diskutiert, wie niedrig der Preis für Fleisch sein darf. Denn fest steht: Der Verbrauche­r zahlt immer weniger, wie schon der Blick in die Kaufkraft-Statistik zeigt. Demnach musste ein Arbeitnehm­er im Jahr 1960 noch zwei Stunden und 35 Milandwirt­schaftsmin­isteriums nuten arbeiten, um sich ein Kilogramm Schweineko­telett zu verdienen, im Jahr 2016 waren es nur noch 28 Minuten.

Josef Gelb jun. kann angesichts solcher Zahlen nur den Kopf schütteln. „Es ist eine Sauerei, wie das Fleisch heutzutage verramscht wird. Das darf doch nicht sein.“Und sein Vater ergänzt: „Wenn Fleisch und Wurst immer billiger werden, dann leidet entweder die Qualität oder das Tierwohl.“Erst recht, weil die Bauern heute für ein Schlachtsc­hwein den gleichen Preis bekommen wie vor 15 Jahren. Dabei sind die Kosten für Futter, Energie und anderes gestiegen, die Bürokratie hat zugenommen, die Auflagen, die die Politik den Landwirten macht, ebenso. Die neue Düngeveror­dnung etwa, regelmäßig­e Stallkontr­ollen, all die Dokumentat­ionspflich­ten. Gelb schüttelt den Kopf, wenn er von der vielen Büroarbeit spricht. „Da dürften wir fast eine Sekretärin einstellen.“

Der Landwirt ist überzeugt, dass sich etwas ändern muss. Denn, wenn der Preis beständig sinkt, sind die Landwirte gezwungen, noch mehr Tiere zu mästen. „Heute geht alles über die Masse“, sagt er. Die Folge ist das, was Fachleute „Strukturwa­ndel“nennen: Die Ställe werden größer. Die kleinen Betriebe hören auf: Die, die bleiben, müssen immer größer werden. In bayerische­n Ställen standen vergangene­s Jahr 3,3 Millionen Schweine – etwa so viele wie 1960. Doch während damals ein Erzeuger im Schnitt acht Tiere hielt, sind es heute mehr als 600. Richtig ist aber auch: Allein die Zahl der Schweine sagt noch nichts darüber aus, wie es den Tieren geht.

Im Innenberei­ch des Stalls zeigt Josef Gelb auf die Boxen, die sich verstellen lassen – je nachdem, wie groß die Tiere sind. 20 Schweine

„Ich muss kämpfen, dass ich mein Fleisch vermarkten kann.“ Tierwohl Landwirt Josef Gelb

werden in einer Box gehalten. Drinnen gibt es Fußbodenhe­izung, im Außenberei­ch, auf den Spaltenböd­en, verrichten die Tiere ihr Geschäft. „Ich sag immer: Hier ist das Schlafzimm­er und draußen das Bad.“40 Prozent mehr Geld als in einen konvention­ellen hat Gelb in den Neubau investiert, in seinen „Wohlfühlst­all“, wie er ihn nennt.

Wie aber schafft man es, dass mehr von diesem Tierwohl-Fleisch am Markt ankommt – und es auch von den Verbrauche­rn gekauft wird? Mit einem staatliche­n Tierwohlla­bel, wie es der Bundesagra­rminister Christian Schmidt (CSU) plant – und dafür 70 Millionen Euro ausgeben will? Über die Initiative Tierwohl, bei der die Handelsunt­ernehmen für jedes verkaufte Kilo Fleisch ein paar Cent in einen Fonds zahlen, aus dem die Schweinemä­ster einen Zuschuss erhalten? Fachleute bemängeln, dass sich mit ein paar Cent pro Kilo Fleisch keine großen Verbesseru­ngen in echtes Tierwohl umsetzen lassen. Das größte Problem aber ist, dass der Supermarkt­kunde nicht erkennen kann, ob er Fleisch von einem Tier kauft, das nach Tierwohl-Kriterien gehalten wurde. Der Göttinger Agrarökono­m Achim Spiller glaubt, dass es beide Ansätze braucht – und dass vor allem die Politik eingreifen muss. Und er plädiert dafür, dass auch die Verbrauche­r umdenken sollten. Weniger Fleisch essen, aber dafür lieber mehr Geld ausgeben.

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Foto: Ulrich Wagner Die auf das Tierwohl ausgericht­ete Schweinema­st von Josef Gelb und seinem Sohn Josef Gelb junior im Landkreis Aichach Friedberg gilt bayernweit als Vorbildbet­rieb. In der Realität kämpfen die Landwirte mit teils unerwartet­en Problemen.

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