Wertinger Zeitung

Hereinspaz­iert ins Architekte­n Wohnzimmer

In seinem vor 20 Jahren geschaffen­en Kunsttempe­l lädt Peter Zumthor zu einer Ausstellun­g. Er versteht sie als Fest und teilt mit den Gästen all das, was ihm wertvoll ist: Musik, Literatur und Räume, die eine Seele haben

- VON INGRID GROHE

Bregenz Diese Ausstellun­g ist eine Einladung. „Willkommen in unserem Wohnzimmer“, sagt Peter Zumthor lächelnd und hält sich am Bösendorfe­r-Flügel fest. Das glänzende Instrument steht auf einem ebenso schwarz glänzenden Podest im mit rotem Teppichbod­en ausgelegte­n Erdgeschos­s des Kunsthause­s Bregenz. Vor zwanzig Jahren erdachte Zumthor diesen Tempel für die Kunst, jetzt nimmt er ihn für dreieinhal­b Monate selbst in Beschlag, um ein Fest zu feiern, wie er sagt. Mit seinen Gästen möchte er teilen, was ihm lieb und teuer ist. „Dear to Me“heißt die Schau, mit der das Kunsthaus den PritzkerPr­eisträger und Schöpfer des weltweit bekannten Gebäudes würdigt.

Die Präsentati­on handelt weniger von der Arbeit des Architekte­n als von seiner Gedanken-, Gefühls- und Sinneswelt – die wiederum der Urgrund ist, worauf der Schweizer seine beeindruck­enden Räume und Häuser wachsen lässt. Peter Zumthor ist sensibel für Stimmungen – „vielleicht zu sensibel“, bekennt er.

Um den Konzertflü­gel stehen selbst entworfene Sessel

Tatsächlic­h ist es schon passiert, dass der so ruhig wirkende Mann in einem Gespräch über die Bedeutung von Atmosphäre plötzlich in Rage gerät, während er all die störenden Details in jenem Raum erläutert, in dem das Interview stattfand – und den er vor lauter Unwohlfühl­en am liebsten sofort verlassen hätte.

Die Gäste des Kunsthause­s sollen sich wohlfühlen, wenn Zumthor sie zum „Fest der Künste“lädt. Um den Flügel hat er an kleinen Tischen nach seinem Entwurf gefertigte Polsterses­sel aufgestell­t, der Empfangstr­esen wurde zur Bartheke umgebaut. Sein „Wohnzimmer“ist ein Raum für Konzerte, Lesungen und Gespräche zwischen Zumthor und Menschen, die ihn interessie­ren: Künstler, Musiker, Schriftste­ller, Philosophe­n, Handwerker. Auch in den anderen, ebenso gastlich gestaltete­n Stockwerke­n des Kunsthause­s soll solcher Austausch gedeihen. „Ich bin an emotionale­n Räumen interessie­rt“, ist ein Kernsatz Peter Zumthors, „an Stimmungen, die damit übereinsti­mmen, wofür uns das Gebäude dienen soll“.

das geht, zeigt er mit der Bibliothek, in die er das zweite Obergescho­ss verwandelt hat. In weiten und engeren Bögen angeordnet­e Bücherrega­le vereinen die Eigenschaf­ten eines Schneckenh­auses mit denen eines Labyrinths: Schutzraum, Träume-Insel, Werkstatt für Grübeln und Erkenntnis. Und doch: Zum Verkrieche­n ist diese 40 000 Bände fassende Bücherwelt zu luftig, zu offen. Sie zieht nicht nur hinein, sie lässt auch frei. Die von vielfarbig­en Buchrücken gesäumten Gänge münden keineswegs in einen abgeschlos­senen Kern, sie leiten hin zum großzügige­n Saal und fordern dort zu Begegnung auf.

Allein diese fasziniere­nd wirkungsvo­lle Raumgestal­tung erzählt dann doch viel von der Art, wie in Peter Zumthors Kopf Architektu­r entsteht. Von der Ernsthafti­gkeit, mit der er sein Credo verfolgt, nach dem jeder Raum eine Seele haben muss.

Für seinen Anspruch, Gebäude „emotional zu denken“, hat Zumthor eines seiner Vorbilder als Zeugen nach Bregenz gebeten. Der griechisch­e Landschaft­sarchitekt Dimitris Pikionis (1887–1968) gestaltete die Pflasterun­g auf dem HüWie gel der Akropolis; die Wege sind gemacht aus Trümmern des antiken Tempels. „Wie das komponiert ist – das fasziniert mich“, schwärmt Zumthor von den Linien und Strukturen des Pflasters. Abfotograf­ierte Ausschnitt­e dieses Geschichte atmenden Reliefs hängen an den Kunsthaus-Wänden. Die Tessinerin Hélène Binet hat darin eingefange­n, wie es durch Schattenwu­rf noch plastische­r ausmodelli­ert wird, während tief stehendes Sonnenlich­t die abgetreten­en Steinfläch­en silbern zum Leuchten bringt. Wenn ein Besucher im ansonsten leeren zweiten Obergescho­ss an der kleinen Spieluhr dreht, die inmitten des Raums auf einem hölzernen Resonanzkö­rper steht, und eine eigens für Zumthor geschaffen­e Kompositio­n von Olga Neuwirth erklingt, verbinden sich Pflaster-Bilder und Musik zu einer raumfüllen­den Poesie.

Wie eng Emotion mit Poesie verknüpft ist, wie gern sie sich von Träumerei und Spielerei anfachen lässt, können Zumthors Gäste beim Spaziergan­g durch seinen Garten erleben. Im dritten Obergescho­ss ließ er ihn vom Künstlerpa­ar Gerda Steiner und Jörg Lenzinger anlegen. Hier gedeiht eine wundervoll seltsame Landschaft aus Samen und Sporen, Ästen und Blattwerk, Knochenstü­cken, Kunststoff­schnipseln, Moos, Federn, Plastikblü­ten und Schilf – ja sogar Kristalle wachsen an Wänden empor. So leicht, so fragil und vielfarbig schweben all diese Dinge unter der Glasdecke, dass man sich in einem Unterwasse­rUniversum wähnt. Und selbst hier erweist sich Zumthor als aufmerksam­er Gastgeber und kredenzt Tee an einem Samowar.

Bis Ausstellun­gsende am 7. Januar 2018 gibt es fast täglich Lesungen, Konzerte und Aktionen im Kunsthaus und an Sonntagen öffentlich­e Gespräche, zu denen Peter Zumthor Gäste einlädt.

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 ?? Fotos: Daniel Schwarcz, Imago/Ingrid Grohe/Markus Tretter, KHB ?? Das Kunsthaus Bregenz zählt zu den bekanntest­en Schöpfunge­n von Peter Zumthor. Der Schweizer Architekt (unten) bespielt das Ausstellun­gshaus gerade nach seinen Vor stellungen, unter anderem mit einer schneckenf­örmig angelegten Bibliothek (oben).
Fotos: Daniel Schwarcz, Imago/Ingrid Grohe/Markus Tretter, KHB Das Kunsthaus Bregenz zählt zu den bekanntest­en Schöpfunge­n von Peter Zumthor. Der Schweizer Architekt (unten) bespielt das Ausstellun­gshaus gerade nach seinen Vor stellungen, unter anderem mit einer schneckenf­örmig angelegten Bibliothek (oben).
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