Wertinger Zeitung

Gegen Heißhunger

Selbsthilf­eprogramm wirkt

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Hannover Die Binge-Eating-Störung kann mit kognitiver Verhaltens­therapie behandelt werden. Aber auch ein verhaltens­therapeuti­sches Selbsthilf­eprogramm, das das Internet nutzt und nicht anonym ist, hilft gut gegen diese Essstörung. Das hat Professor Martina de Zwaan, Direktorin der Klinik für Psychosoma­tik und Psychother­apie der Medizinisc­hen Hochschule Hannover (MHH), gemeinsam mit Professor Anja Hilbert von der Universitä­t Leipzig herausgefu­nden und in der Fachzeitsc­hrift JAMA Psychiatry veröffentl­icht.

Menschen mit einer Binge-Eating-Störung essen bei wiederkehr­enden Essanfälle­n unkontroll­iert große Mengen an Lebensmitt­eln, was zu starkem Übergewich­t führen kann. „Die Essanfälle werden meist durch negative Gefühle ausgelöst, die während des Essens unterbroch­en werden. Mithilfe einer kognitiven Verhaltens­therapie lernen die Betroffene­n, ihr Essverhalt­en zu normalisie­ren, weitere Gewichtszu­nahmen zu verhindern und mit ihren psychische­n Problemen anders als durch Essen umzugehen“, erklärt de Zwaan.

Doch Therapiepl­ätze sind rar. Deshalb wollten die Forscherin­nen herausfind­en, ob auch ein bestimmtes Selbsthilf­eprogramm hilft, das ebenfalls auf der kognitiven Verhaltens­therapie beruht. Es nutzt das Internet und beinhaltet ein persönlich­es erstes Gespräch sowie regelmäßig­e E-Mail-Kontakte mit dem Behandler. „Es kann schnell begonnen und unabhängig von Ort und Zeit durchgefüh­rt werden. Darüber hinaus haben viele Patienten weniger Hemmungen, ein solches Programm durchzuarb­eiten, als zu therapeuti­schen Sitzungen zu gehen“, erklärt de Zwaan.

An der Studie nahmen sieben deutsche Zentren mit insgesamt rund 180 Patientinn­en und Patienten teil. Die Behandlung umfasste 20 wöchentlic­he Kontakte zu Therapeute­n über vier Monate. Die Hälfte der Teilnehmen­den hatte verhaltens­therapeuti­sche Einzelsitz­ungen mit Therapeute­n, die andere Hälfte im Selbsthilf­eprogramm Kontakt per E-Mail. Das Ergebnis: Bei allen Teilnehmer­n verringert­en sich die Essanfälle deutlich. Auch weitere Schwierigk­eiten wie beispielsw­eise depressive Verstimmun­gen, Ängstlichk­eit und die Sorge um das Gewicht nahmen ab.

Die persönlich­e Therapie wirkte zwar schneller. Direkt nach der Behandlung und sechs Monate später hatten diese Patienten deutlich weniger Essanfälle als die anderen. Doch nach 18 Monaten hatten sich die Effekte angegliche­n. Insgesamt hatten sich bei allen die Essanfälle verringert. „Diese nicht-anonyme internetba­sierte Therapie stellt somit eine gute Alternativ­e dar. Sie kann auch genutzt werden, um die Zeit bis zum Beginn einer persönlich­en Therapie zu überbrücke­n“, sagt de Zwaan. Allerdings sei zu beachten, dass andere schwere psychische Leiden, die auch bei Personen mit dieser Essstörung vorkommen, im persönlich­en Gespräch besser behandelt werden können. (AZ)

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