Wertinger Zeitung

Die Becker Faust kehrt zurück

Geglückter Einstand des neuen Männer-Chefs Boris Becker. Jan-Lennard Struff bewahrt die deutsche Davis-Cup-Auswahl vor dem Abstieg in die Zweitklass­igkeit

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Oeiras Boris Becker lehnte entspannt auf seinem grünen Plastikstu­hl und leistete sich zwischendu­rch sogar einen verstohlen­en Blick auf sein Handy. Die Schuhe hatte der neue Chefberate­r im deutschen Herren-Tennis von den Füßen gestreift, erleichter­t verfolgte er das sportlich bedeutungs­lose Abschluss-Einzel im Davis-Cup-Relegation­sduell in Portugal. Nachdem Jan-Lennard Struff mit seinem nervenaufr­eibenden Fünf-Satz-Erfolg gegen Joao Sousa der entscheide­nde Punkt zum Klassenerh­alt gelungen war, hatten die meisten Zuschauer den Clube de Ténis do Jamor in Oeiras verlassen. Nur die rund 30 mitgereist­en deutschen Fans sorgten beim Match zwischen Yannick Hanfmann und Joao Domingues noch für ein kleines bisschen Länderspie­l-Atmosphäre. Dass der Davis-Cup-Debütant aus Karlsruhe 3:6, 6:7 (8:10) verlor, ging an diesem sonnigen Sonntag in der Nähe Lissabons nur noch als statistisc­he Fußnote zum 3:2-Endergebni­s in die Historie des Deutschen Tennis Bundes ein. Dank eines 6:0, 6:7 (3:7), 3:6, 7:6 (8:6), 6:4 nach der Abwehr eines Matchballs bewahrte Struff die DTB-Equipe auch ohne ihre drei besten Profis Alexander Zverev, Mischa Zverev und Philipp Kohlschrei­ber vor dem ersten Abstieg in die sogenannte Europa/Afrika-Zone seit 14 Jahren.

Stattdesse­n finden sich die Deutschen am Mittwoch erneut im Lostopf für die Erstrunden-Partien der Weltgruppe im Februar 2018. „Ich freue mich für die Jungs und für mein Team. Ein Abstieg wäre fatal gewesen“, sagte Bundestrai­ner Michael Kohlmann. „Das war einer der größten Siege meiner Karriere. Es war ein wichtiger Sieg für uns und ein wichtiger Schritt, dass wir in der Weltgruppe bleiben“, sagte Struff in der Pressekonf­erenz mit ruhiger Stimme, als hätte er gerade die erste Runde bei einem Challenger-Turnier gewonnen. Dabei hatte er den deutschen Fans und dem Betreuerst­ab um Becker einiges zugemutet.

6:0, 3:0 führte der Weltrangli­sten-54. gegen den drei Plätze tiefer notierten Sousa. Struff spielte anderthalb Sätze lang auf, als wäre er über Nacht in einen Zaubertran­k gefallen. Nach seiner enttäusche­nden Vorstellun­g im Einzel am Freitag, das er gegen Pedro Sousa verloren hatte, und seiner auch im Doppel anfangs schwachen Leistung, verblüffte Struff mit einem nahezu fehlerfrei­en Spiel und schien Joao Sousa regelrecht zu zermürben. Becker kam gerade vom Nebenplatz wieder, wo sich Cedrik-Marcel Stebe, Tim Pütz und Yannick Hanfmann einspielte­n und musste dann aus der Box den unerklärli­chen Einbruch Struffs verfolgen. Im Tiebreak des vierten Satzes wehrte er einen Matchball mit riskantem Serve-and-Volley-Spiel ab und kämpfte sich in Durchgang fünf. Bei den Matchbälle­n hatte Becker beide Hände auf den Oberschenk­eln abgelegt und schien äußerlich ganz ruhig.

Doch der neue Head of Men’s Tennis wusste genau: Ein Abstieg wäre sportlich katastroph­al gewesen und hätte dem DTB und seinem Chefberate­r reichlich Häme und Negativsch­lagzeilen beschert. Drei Stunden und 13 Minuten waren gespielt, als der 27 Jahre alte Warsteiner Matchball Nummer zwei verwandelt­e und die Becker-Faust zu sehen war. (dpa)

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Foto: dpa Bekannte Pose: Boris Becker jubelt nach dem Erfolg in Portugal.

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