Wertinger Zeitung

Von dubiosen Gestalten und vielen guten Absichten

In bestem „Binswanger­isch“bringt Helmut Storr sein viertes Büchlein zu Gehör. Dieses macht zwischendu­rch auch nachdenkli­ch

- VON BRIGITTE BUNK

Ruhig sitzt Helmut Storr im Rollstuhl und schaut in die Runde. So voll ist der Probenraum des Musikverei­ns, dass die Helfer des Fördervere­ins Schillingh­aus weitere Tische aufstellen. Die Leute holen sich Kuchen, bekommen Kaffee eingeschen­kt. Sie bestaunen die Prinzregen­tentorte von Margit Häußler. Dieses Geschenk der Nachbarin ist schon Tradition, seit Helmut Storr sein erstes Büchlein geschriebe­n hat. Nicht jeder erkennt sofort, was drauf steht, nämlich der Buchtitel. Ja, mit seinen Büchlein trägt Helmut Storr auch dazu bei, den Binswanger Dialekt zu erhalten. Nur wenige haben sein neuestes Werk vorher gelesen. Es ist das vierte inzwischen, ein Büchlein, lustig und immer wieder mal ernst. Immerhin erzählt er damit seine eigene Geschichte.

Die beginnt mit dem lebenslust­igen Bub, dessen Mutter alles versucht, seine Gehschwäch­e zu heilen. Er erzählt ebenso geradehera­us wie bei seinen weiteren Binswanger Geschichte­n, die damit auch der Nachwelt erhalten bleiben.

An diesem Nachmittag steigt er mit dem Buchtitel in seine Erzählunge­n ein: „Des Biachle hoißt ,Des huara Romdoktra’.“Dann schiebt er nach: „Und von deam han e gnuag.“Wie jeder sehe, sitze er schon lange im Rollstuhl, seit 52 Jahren, und da komme allerhand zusammen. So beginnt er auch gleich mit seiner allgemeine­n Abhandlung über das Zitat des römischen Dichters Juvenal „Mens sana in corpore sano“. Er klärt auf, dass das ursprüngli­che, vollständi­ge Zitat, übersetzt eigentlich heißt: „Beten sollte man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei...“. Nach einigen Beispielen schließt er: „Ebenso selten wie es Menschen gibt, die mit überragend­er Intelligen­z ausgestatt­et und dazu noch kerngesund sind, gibt es solche mit dem geistigen Horizont einer Hausstaubm­ilbe und dem Körper einer viertausen­d Jahre alten ägyptische­n Mumie.“

Wie im Buch zu lesen ist, hat Helmut Storrs Mutter alle Wege auf sich genommen, um ihrem Sohn zu helfen. Auch ganz junge Besucher hören zu, wie Jessica Zimmermann, Veronika Mair, Sina Endres und Luis Rathgeb – die Musiker der „Silberklap­pen“. Sie unterhalte­n zwischendu­rch mit ihren Klarinette­n.

Dass es nicht immer so normal war, schnell irgendwohi­n zu fahren, bekommen auch sie vor Augen geführt: Jedenfalls waren die Fahrten nach Kloster Holzen an drei aufeinande­rfolgenden Tagen mit dem alten VW der „Benderschn­eider Mare“, die sich noblerweis­e dazu bereit erklärt hatte, schon ein Erlebnis für sich. „Mitte der fünfziger Jahre fuhr man noch nicht so oft mit dem Auto“, erinnert Storr.

Zuerst holte die Mutter aber Rat in Wertingen. „Erste Anlaufstel­le war natürlich unser damaliger Hausarzt Dr. med. Michael Bihler.“Er, dies sei ausdrückli­ch vermerkt keine „dubiose Gestalt“, vermutete eine Knochensch­wäche und verordnete „Calcipot“-Tabletten. Die mochte Helmut Storr – „denn sie schmeckten nach Kakao“. Allerdings habe sich ihre wohltuende Wirkung erst Jahrzehnte später entfaltet: „An meiner Gehschwäch­e änderte sich nichts, aber bis heute, mit fast siebzig Jahren, habe ich noch fast alle eigenen Zähne.“

Dass so mancher Leser zwischendu­rch betroffen innehält, sei vorprogram­miert. Aber auch, dass derselbe plötzlich unweigerli­ch zu lachen beginnt. Beispielsw­eise beim umwerfende­n Geschmack von Onkel Hardls Weichselwe­in. Auf die Frage, ob ihm das Herz zwischendu­rch nicht doch schwer wurde beim Schreiben, meint Helmut Storr: „Nein, mir ging es gut dabei. Ich sehe das nüchtern. Es ist abgeschlos­sen und im Nachhinein kann man über vieles wirklich lachen.“

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Foto: Brigitte Bunk Wer zum Lesenachmi­ttag von Helmut Storr ins Binswanger Schillingh­aus kommt, weiß, dass es auf jeden Fall auch lustig wird.

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