Der Kahlschlag im Siemens Imperium
Massiver Stellenabbau und Werksschließungen: Der Konzern reagiert mit drastischen Schritten auf die Probleme in seiner Kraftwerks- und Antriebssparte
München Der deutschen IndustrieIkone Siemens steht der wohl härteste Konflikt über Einsparungen seit vielen Jahren ins Haus. „Ein Stellenabbau in dieser Größenordnung ist angesichts der hervorragenden Gesamtsituation des Unternehmens völlig inakzeptabel“, empört sich IG-Metall-Vorstand und Siemens-Aufsichtsrat Jürgen Kerner nach der Bekanntgabe der Abbaupläne für 6900 Jobs weltweit in der Kraftwerks- und der Antriebssparte. Erst in der Vorwoche hat Konzernchef Joe Kaeser die Jahresbilanz des Dax-Riesen vorgelegt, die noch einmal besser ausfiel als das schon historisch gute Vorjahr, wie der Siemens-Chef selbst anmerkte. Aber gleichzeitig stimmte er auf „schmerzhafte Einschnitte“im Kraftwerksgeschäft ein.
Von deren Ausmaß zeigt sich auch Siemens-Gesamtbetriebsratschefin Birgit Steinborn betroffen: „Die Abbaupläne sind ein Tiefschlag für die Mitarbeiter“, erklärt sie. „Angesichts der erneuten Rekordgewinne, die unsere Kolleginnen und Kollegen erarbeitet haben, ist dies auch schwer nachvollziehbar.“Vor allem, dass Siemens betriebsbedingte Kündigungen zwar möglichst vermeiden will, aber nicht ausschließt, erzürnt die Arbeitnehmervertreter. Sie sehen darin einen Bruch des Pakts zur Standort- und Beschäftigungssicherung. Ihre Befürchtung ist: Damit könnte sich die Siemens-Führung über kurz oder lang auch den Weg für künftige Abbaumaßnahmen ebnen.
Klar ist aber auch: Die gerade erst begonnene Tarifrunde in der Metallund Elektroindustrie und die anstehenden Betriebsratswahlen in vielen Unternehmen dürften den Streit um Jobs und Werke bei Siemens zusätzlich anheizen. Eine erste Kampflinie hat IG-Metaller Kerner bereits abgesteckt: Im Falle von Entlassungen erwäge man auch „kreative Wege des Widerstands“wie die Verweigerung von Mehrarbeit und Sonderschichten.
Mit den Streichplänen stutzt Kaeser derweil zwei Sparten zurecht, die bis heute den industriellen Kern des Elektrokonzerns bilden. Schon zu Zeiten des Firmengründers Werner von Siemens gehörte die Elektrifizierung zu den wichtigsten Ge-
Ende September stand der Siemens-Chef noch als Held da. Joe Kaeser war es gelungen, die Franzosen zu einer Bahn-Ehe von TGV und ICE zu überreden – und das auch mit leichter deutscher Dominanz. Spätestens seit gestern hat er sich aber den Ruf als massenhafter Job-Abbauer erworben, der selbst nicht davor zurückschreckt, in einer strukturschwachen Region wie dem sächsischen Görlitz eine Fabrik zu schließen. Angesichts von Milliardengewinnen und einem auch am Donnerstag steigenden Aktienkurs liefert Kaeser seinen Kritikern reichlich Munition frei Haus. Kaum einer will jetzt mehr wissen, dass Siemens in Deutschland die Zahl der Stellen zuletzt um 2000 auf 115 000 gesteigert schäftsfeldern. Seither durchlief das Unternehmen eine stetige Transformation mit Zu- und Verkäufen, Börsengängen und Gründungen von Joint Ventures. In Kaesers Amtszeit hat sich dieser Wandel eher noch beschleunigt. Er gab zum Beispiel den Siemens-Anteil am Hausgerätehersteller BSH an den Partner Bosch ab, kaufte den US-Kompressorenhersteller Dresser-Rand und den Industriesoftware-Spezialisten Mentor Graphics und hat für das Zuggeschäft den französischen Konkurrenten Alstom als Partner gefunden. Als Nächstes soll das bereits verselbstständigte Medizintechnik-Geschäft von Siemens an die Börse. Christine Schultze, dpa
Die betroffenen Sparten
Siemens will 6900 Stellen streichen – die Hälfte davon in Deutschland. Betroffen sind zwei Sparten:
Kraftwerke Die Kraftwerkssparte „Power and Gas“gehört zu den umsatzträchtigsten Geschäftsfeldern von Siemens. 6100 Jobs sollen wegfallen. Im Schlussquartal des ab gelaufenen Geschäftsjahres steu erte die Sparte 3,65 Milliarden Euro zum Konzernumsatz von 22,3 Mil liarden Euro bei. Weltweit arbeiteten dort Ende September 46 800 Be schäftigte, in Deutschland 16 100. Die Zahlen an deutschen Standor ten mit über 200 Mitarbeitern (ge rundet): Mülheim 4500, Berlin 3700, Erlangen 2800, Duisburg 1800, Görlitz 700, Offenbach 700, Erfurt 600, Leipzig 200.
Prozessindustrie/Antriebe Sparte beinhaltet die Fertigung großer Elektromotoren und genera toren für den Bergbau. Hier be schäftigte Siemens zum Stichtag Ende September weltweit 44 800 Leute, davon 15 400 in Deutschland. Dieses Geschäft schwächelt. Mit 2,39 Milliarden Euro war der Umsatz im Schlussquartal zwei Prozent geringer als im Vorjahreszeitraum. Die Beschäftigungszahlen an deutschen Standorten mit über 200 Mitarbeitern gerundet: Nürnberg 3400, Karlsruhe 2600, Erlangen 1700, Bocholt 1500, Voerde 1400, Ruhstorf 1000, Berlin 800, Penig 600. (dpa) Die