Spurensuche zwischen Turnschuhen
Nach einem Wohnungseinbruch ist es Andreas Desseckers Aufgabe, zuerst möglichst viele Hinweise und letztendlich den Täter zu finden. Manchmal stellt der Ermittler Fragen, die den Geschädigten blöd vorkommen
Dillingen Es kann seltsam wirken, wie Andreas Dessecker vorgeht. In der Nacht wurde eingebrochen, und er fragt die Hausbewohner: „Rauchen Sie?“Danach sieht er sich auf der Toilette um. „Manche denken: Jetzt schaut der, wie gut ich die Toilette geputzt habe“, erzählt der 54-jährige Ermittlungsbeamte. Und: „Man stellt den Geschädigten oft Fragen, wo die sich denken: Was will der jetzt?“Der Dillinger Polizist hat seine Gründe. Hat er Zigarettenkippen in der Nähe gefunden, könnten diese von Bewohnern stammen. Oder vom Täter. Dann enthalten sie wichtige DNA-Spuren. DNA könnte ein Einbrecher auch auf der Toilette hinterlassen, wenn er sie benutzt.
Um zu wissen, wo man Spuren suchen muss, braucht es Erfahrung. Wenn Dessecker einen Tatort untersucht, beginnt er mit dem Außenbereich. Wie ist der Täter ins Haus gelangt? Musste er sich irgendwo aufstützen? Musste er den Arm durch einen Fensterspalt zwängen, sodass Fasern seiner Kleidung zurückblieben? Auch innen versucht Dessecker den Weg der Eindringlinge nachzuvollziehen. Meist steigen sie durchs Fenster ein, gehen ins Bad, wo sie Schmuck vermuten, ins Schlafzimmer und ins Wohnzimmer. Andere Räume sind weniger interessant. „Ein Einbrecher hat mal 8000 Euro in einem Weck-Glas in der Speis übersehen.“Dort hatte er nichts Wertvolles vermutet. Die Spuren, die Dessecker findet, nimmt er mit in die Inspektion. Dort kann alles genau untersucht werden. In seinem Büro hat der Ermittler ein Sammelsurium aus Beweisstücken und Instrumenten zur Spurensicherung.
Ein Paar schwarzer Turnschuhe stehen auf seinem Aktenschrank. Daneben liegen Plastikhandschuhe und eine flache Dose, gefüllt mit silbrigem Pulver. Dann ein schwarzer Koffer, darin weitere Dosen, Tüten, Folien, und noch mehr Handschuhe. Plastiküberzüge für die Schuhe, Werkzeug und Maßbänder. Auf einem Kühlschrank liegt ein Hammer in einer Plastiktü- te. Im Kühlschrank lagern immer wieder Blutproben. Aktuell aber nicht. „Da liegt meine Wurstsemmel drin“, sagt Dessecker.
Die Turnschuhe auf dem Aktenschrank stammen wohl von einem Einbrecher. „Die hab ich ihm abgenommen“, sagt der Polizist. „Das Schuhprofil stimmt mit dem überein, das wir am Tatort gesichert haben.“Den Mann mit den passenden Schuhen haben Kollegen kurz nach dem Einbruch in der Nähe entdeckt. Natürlich nur ein Indiz. Schließlich würden die Schuhe zu Tausenden hergestellt, erklärt Dessecker, bequem in seinem Schreibtischstuhl zurückgelehnt. Aber viele Indizien reichen eben auch irgendwann.
Das silbrige Pulver ermöglicht es, Fingerabdrücke zu sichern. Wie das geht, demonstriert der Ermittler an einem Glas, auf dem er einen Abdruck hinterlässt. „Das ist Magnetpulver, und dieser Stab ist ein Magnet.“Er taucht den Stab in das Pulver, das daran hängen bleibt. Es sieht fast aus wie die Borsten eines Vorsichtig streicht er es über das Glas. Kleine Partikel bleiben an der glatten Oberfläche kleben, der Fingerabdruck wird sichtbar. Der Polizist nimmt ein viereckiges Stück Folie aus dem Koffer. Er zieht die Schutzfolie von der Klebefläche und pappt das beschichtete Papier auf das Glas. Eine der Ecken schneidet er ab. „Ich mache das immer rechts oben“, erklärt er. So kann er später nachvollziehen, wie rum ein Abdruck auf einem Gegenstand war. Dann zieht er die Folie ab – das Magnetpulver haftet an der Klebefläche. Er konserviert das Beweisstück mit der Schutzfolie. Nun kann der Fingerabdruck mit Abdrücken in der Kartei verglichen werden. Das ist Aufgabe des Labors. Und nicht so leicht wie in ActionCrime-Serien. Computer treffen die Vorauswahl, dann braucht es einen Menschen. An zwölf Punkten muss der Abdruck übereinstimmen, dann gilt er vor Gericht als Beweis. „Wenn man bloß ein Fragment hat, tut man sich schwer.“Dass er am Tatort verwertbare Fingerabdrücke findet, ist aber ohnehin selten. Ein Rauschgiftsüchtiger, der schnell Bargeld braucht, passe deutlich weniger auf, hinterlasse deshalb mehr Spuren. Für etwas professioneller geplante Einbrüche gilt: „Selbst die Dümmsten tragen mittlerweile Handschuhe.“Häufiger seien deshalb DNA-Spuren entscheidend.
Dessecker ist Polizist durch und durch. 1979, mit 16 Jahren, hat er ein erstes Vorpraktikum absolviert. Ausgebildet wurde er in Königsbrunn und München. Über die Stationen Günzburg und Neu-Ulm kam er schließlich nach Dillingen. Nach 27 Jahren Schichtdienst, „da ist es dann auch mal gut“, sagt er. Das ist ein Vorteil der Ermittlungsbeamten: Zwar müssen auch sie sonn- und feiertags arbeiten. Aber nachts haben sie für gewöhnlich Ruhe. Das ist natürlich nicht der einzige Grund, warum Dessecker an dieser Stelle gelandet ist. Ein Blick für die Zusammenhänge, die Analyse eines Tatortes und besondere FäPinsels. higkeiten im Bereich des logischen Denkens seien schon nötig. „Das kann nicht jeder“, sagt Dessecker. Das gelte aber für jeden Bereich bei der Polizei, fügt er hinzu.
Bei Dessecker und seinen sechs Ermittlerkollegen landen all die Fälle, die so aufwendig sind, dass sie die Polizisten in der Schicht nicht bearbeiten können. Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag übernimmt die Kriminalpolizei, aber zum Beispiel bei Betrugsfällen, häuslicher Gewalt oder Einbrüchen nehmen Dillinger Ermittler die Spur auf. Dessecker ist neben Einbruch auch für das Ausländerrecht zuständig. Deshalb hängt eine Weltkarte im Büro. Will jemand, der kein Deutsch spricht, seine Hilfe, kann er auf sein Heimatland deuten. Dann organisiert der Polizist einen Dolmetscher. Er ist auch für Bereiche zuständig, die seltener gefragt sind: Luftunfälle etwa. Wenn ein Segelflieger über dem Landkreis abstürzt oder ein Privatflieger in gesperrten Luftraum fliegt, ist er gefragt.
Logisches Denken und ein Blick für Zusammenhänge