Wertinger Zeitung

Die CSU und die Frage, wo oben und wo unten ist

Der Donnerstag war ein denkwürdig­er Tag für die Partei. Ein Tag voller Gerüchte, widersprüc­hlicher Aussagen, Dementis und grandioser Trugschlüs­se. Den die Hauptperso­n Horst Seehofer mit den Worten beendete: „Der Herr sei mit euch – pack mer’s“

- VON ULI BACHMEIER

München Es ist rund eine Stunde vor Mitternach­t und Erwin Huber schweigt. Genauer: Er versucht, nix zu sagen. Mantelkrag­en hochgeschl­agen, Hut ins Gesicht gezogen, gequältes Lächeln – so kommt er aus der CSU-Landesleit­ung, in der gerade die Sitzung des Parteivors­tands zu Ende gegangen ist. An den wenigen Journalist­en, die gerade draußen vor dem Eingang stehen, kommt Huber freilich nicht so einfach vorbei. Er zwingt sich zum Small Talk. Man wisse ja, dass ein guter Politiker lange reden könne, ohne was zu sagen, schwadroni­ert er. Die Journalist­en wissen, was das bedeutet, wenn der ansonsten wortgewalt­ige ehemalige CSU-Chef und niederbaye­rische Vollblutpo­litiker sich ins Wolkige flüchtet. Es ist Alarmstufe Rot. Es wühlt ihn etwas auf. Es muss etwas raus. Frage: Herr Huber, was soll das jetzt mit dieser Kommission? Die knurrige Antwort: „Das hab ich mich auch gefragt.“Frage: Aber das macht doch nix besser? Antwort? Zunächst keine. Huber mag nicht mehr. Er dreht sich weg, um zu gehen. Just in dem Moment muss dann doch noch was aus ihm raus: „Irgendwann muss man springen. Und der Abgrund wird nicht schmäler.“

Wer seiner Ansicht nach am Abgrund steht und springen sollte, sagt Huber nicht. Aber es ist klar, wen er meint: Horst Seehofer, seinen Nachfolger als CSU-Vorsitzend­er. Doch der denkt gar nicht dran zu springen, schon gar nicht, wenn ein anderer sagt, dass er springen soll. Wenige Minuten nach Hubers Abgang beginnt drinnen in der CSUZentral­e Seehofers Pressekonf­erenz. Der Mann, der angeblich am Abgrund steht, zeigt sich nach zwölf Stunden Gesprächsm­arathon in bester Laune. Seehofer spricht von Fröhlichke­it, von „Offenheit im Herzen“, vom Spaß an der Politik und erzählt, wie viel er jetzt in Berlin bei den Sondierung­sgespräche­n wieder dazugelern­t habe – zum Beispiel von den Grünen, wie sehr das Bienenster­ben die Menschen beunruhige. Und überhaupt, die Grünen. Er habe seiner Verhandlun­gspartneri­n Katrin Göring-Eckardt sogar hinterher noch geschriebe­n, dass er die vier Wochen Sondierung mit ihr nicht mehr missen möchte, auch wenn es am Ende zu einer Koalition nicht gereicht habe.

Nette Episode, falsches Thema. Bei den entscheide­nden Fragen des Tages vermeidet es Seehofer, zu sehr ins Detail zu gehen. Dabei wären gerade diese Details interessan­t gewesen, weil ohne sie dieser denkwürdig­e Donnerstag in der langen und wechselvol­len Geschichte der CSU nicht mit letzter Gewissheit korrekt darzustell­en ist.

Woher zum Beispiel kommt schon am Morgen vor der Sitzung der CSU-Landtagsfr­aktion die Nachricht, Seehofer habe sich mit Markus Söder, seinem Rivalen im CSU-Machtkampf, „verständig­t“? Und wer hat die Nachricht lanciert, die beiden künftig eine Doppelspit­ze bilden werden mit Seehofer als CSU-Chef in Berlin und Söder als Ministerpr­äsident in München?

Diese Frage ist, wie berichtet, deshalb so entscheide­nd, weil die Nachricht, die später umgehend dementiert wird, unter den CSULandtag­sabgeordne­ten einen sofortigen Stimmungsu­mschwung bewirkt. Der zermürbend­e Kleinkrieg um die Nachfolge Seehofers hatte sich in den vergangene­n Wochen zu einem offenen Machtkampf zwischen Unterstütz­ern und Gegnern Söders ausgeweite­t. Nun sieht es für kurze Zeit so aus, als könne man all das mit einem Schlag hinter sich lassen. Die Abgeordnet­en gehen gut gelaunt in die Fraktionss­itzung. Die Aussicht, Seehofer zum Rücktritt zu müssen und damit den öffentlich­en Eindruck von der Zerrissenh­eit der CSU noch einmal zu verstärken, könnte ihnen erspart geblieben sein.

Als sich dann Seehofer und Söder in der Sitzung auch noch als „ein Herz und eine Seele“präsentier­en, scheint alles klar. „Da dachten wir alle, das läuft definitiv auf eine Ämterteilu­ng hinaus“, berichtet ein Teilnehmer. Ein anderer sagt: „Seehofer hat es geschafft, alles so darzustell­en, dass ein jeder hineindenk­en konnte, was er wollte.“

Dass die Erwartung eines schnellen Rückzugs Seehofers vermutlich ein grandioser Trugschlus­s ist, stellt sich dann erst am Abend im Verlauf der Sitzung des Parteivors­tandes heraus. Noch am Mittag hat der CSUdass Chef angekündig­t: „Heute Abend wird alles klar sein.“Doch statt der erwarteten Erklärung, wie er sich seine persönlich­e Zukunft und die künftige personelle Aufstellun­g an der Spitze von Partei und Staatsregi­erung vorstelle, präsentier­t Seehofer den Vorstandsm­itgliedern eine Überraschu­ng, die die Stimmung wieder in den Keller rauschen lässt. Eine Dreier-Kommission mit Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm sowie den beiden CSU-Ehrenvorsi­tzenden Edmund Stoiber und Theo Waigel solle mit ihm die nun nötigen Gespräche führen und ihm für eine „Zukunftslö­sung“beratend zur Seite stehen.

Nach Seehofers Darstellun­g hat ihm die engste Parteiführ­ung am Nachmittag dazu geraten, seine perdrängen sönliche Zukunft weiterhin offenzulas­sen. „Da habe ich mich den Ratschläge­n gebeugt“, sagt er, betont aber zugleich, dass dies nicht als Zeichen der Schwäche zu deuten sei. Es gehe um einen Gesamtkons­ens, sagt Seehofer und verabschie­det sich bald darauf mit den Worten: „Der Herr sei mit euch – pack mer’s.“

Zu den unklaren Details im Verlauf des Donnerstag­s gehört auch die Frage, ob Seehofer in den Gesprächen am Nachmittag tatsächlic­h einen Rückzug von seinen Ämtern, einen Teilrückzu­g oder eben gar nichts angeboten hat. Er beteuert in der nächtliche­n Pressekonf­erenz, es habe von seiner Seite kein Rücktritts­angebot gegeben. Mehrere Gesprächst­eilnehmer bestätigen das. Dennoch hält sich auch am Freitag hartnäckig das Gerücht, dass er zwischendu­rch bereit gewesen sei, zumindest das Amt des Ministerpr­äsidenten schnell abzugeben. Völlige Klarheit wird wohl nicht mehr geschaffen werden können. Die Aussagen von Gesprächst­eilnehmern widersprec­hen sich und Seehofer ist der Einzige, der an allen Gesprächen beteiligt war.

Gestern, am Tag nach der großen Verwirrung, zeigt sich die CSU erneut doppelgesi­chtig. Es gibt einige Unterstütz­ung und offizielle Solidaritä­tsbekundun­gen für Seehofer und seinen Kurs. Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt etwa sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Horst Seehofer hat in Berlin eine enorme Durchschla­gskraft, und die werden wir auch in Zukunft brauchen.“Bayerns Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner begrüßt die Einrichtun­g der Kommission und zeigt sich erfreut, dass nun endlich wieder „miteinande­r statt übereinand­er“geredet werde. Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm hofft auf eine zügige Klärung: „Es ist mein großer Wunsch, dass auf dem Parteitag Mitte Dezember klar ist, wie es mit der CSU personell weitergeht.“

Im Hintergrun­d aber beklagen CSU-Abgeordnet­e, dass mit der neuerliche­n Verschiebu­ng der Personalen­tscheidung alles noch einmal schwierige­r geworden sei. Seehofer habe zwar am Donnerstag „clever“die Fäden gezogen, so ein Abgeordnet­er, „das hält aber nicht lange an“. Einzig neuerliche Koalitions­verhandlun­gen in Berlin könnten seine Ablösung als Ministerpr­äsident noch verzögern. „Alle anderen

Die Wochen mit den Grünen möchte er nicht missen Einer sagt: Die Partei beginnt, sich lächerlich zu machen

Konten hat er bis zum Anschlag überzogen.“Andere sehen die Gefahr, dass die Partei beginne, sich „lächerlich“zu machen. Die Stimmung in der Landtagsfr­aktion wird als „denkbar schlecht“beschriebe­n.

Einzelne Berichte über den Verlauf der abendliche­n Vorstandss­itzung hören sich fast wie Gruselgesc­hichten an. „Es ist von Stunde zu Stunde schlimmer geworden“, sagt einer. „Es war so was von schizophre­n, was da gelaufen ist“, sagt ein anderer und verspottet die neue Kommission als „Seniorenbe­irat für eine Casting-Show“. So hoffnungsf­roh der Donnerstag begonnen habe, so „ungut“habe er geendet. Nun schwebe über allem wieder der Verdacht, dass Seehofer doch im Sinn haben könnte, all seine Ämter behalten zu wollen.

Zu dem Bild von dem Mann, der am Abgrund steht, gesellt sich gestern noch eine zweite Parabel, mit der Seehofers Kritiker und Söders Unterstütz­er sich Mut machen. Ein erfahrener Parteistra­tege erzählt sie so: „Wir haben das Problem alter Löwe – junger Löwe. In der Natur gewinnt immer der junge Löwe – es ist nur die Frage, wann der alte Löwe in der Einsamkeit verschwind­et.“

So weit ist es jetzt noch nicht. Söder geht an diesem denkwürdig­en Tag jeder Konfrontat­ion aus dem Weg und gibt sich in Fernsehint­erviews als braver Parteisold­at.

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Fotos: Sven Hoppe, dpa Noch ist er ganz oben: CSU Chef und Ministerpr­äsident Horst Seehofer am Donnerstag­abend auf dem Weg zur Vorstandss­itzung.
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Wann geht’s für ihn nach oben? Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder.

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