Wertinger Zeitung

Die wahre Rolle des FC Bayern zur NS Zeit

Bisher zeichnete der Klub von sich das Bild eines Vereins, der ein Opfer des Nationalso­zialismus war. Doch der Sporthisto­riker Markwart Herzog fand heraus: Das stimmt so nicht. Nun haben die Bayern reagiert

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Der FC Bayern lässt jetzt seine Geschichte während des Nationalso­zialismus vom Münchner Institut für Zeitgeschi­chte untersuche­n. Daran sind Sie nicht ganz unschuldig. Markwart Herzog: Das ist eher untertrieb­en. Die Bayern waren nach einer eineinhalb­jährigen Kontrovers­e gezwungen, ein unabhängig­es Institut mit solch einem Projekt zu beauftrage­n. Über die Bayern gibt es bislang großenteil­s Gefälligke­itsliterat­ur. Durch meine Recherchen hat sich jedoch herausgest­ellt, dass die Autoren dicker Bücher über die Geschichte des Vereins ihre Hausaufgab­en nicht gemacht haben. Wenn man so ein Thema angeht, muss man einige grundlegen­de Recherchen leisten, man muss sich etwa mit den Akten der Registerge­richte beschäftig­en, zeitgenöss­ische Vereinszei­tschriften und Personalak­ten auswerten. Auch den aktuellen Stand der Forschung über Sport im Nationalso­zialismus haben diese Autoren nicht zur Kenntnis genommen. Deshalb ist das Geschichts­bild, das wir bisher über den FC Bayern serviert bekamen, eine Mischung aus schlechter Recherche und naivem Wunschdenk­en.

Wie sieht denn dieses historisch­e Selbstbild des FC Bayern aus? Herzog: Unbestritt­en ist, dass der FC Bayern über viele Jahre, bis Frühjahr 1933, von einem jüdischen Präsidente­n, von Kurt Landauer, geleitet wurde. Die Bayern waren ein Klub, der keine Schwierigk­eiten hatte, jüdische Mitglieder aufzunehme­n und mit ihnen ihre Erfolgsges­chichte zu schreiben. Aber was kam danach, als Landauer im Frühjahr 1933 zurückgetr­eten war, und was geschah in der Zeit bis 1945? Das ist die eigentlich interessan­te Frage.

Hat man sich im Verein damit nicht beschäftig­t? Herzog: Man hatte sich stark an einer 1950 veröffentl­ichten Chronik orientiert, herausgege­ben von einem Mann, der die ersten Schritte zur „Arisierung“des Klubs in die Wege geleitet hatte. Es war Siegfried Herrmann, der in dieser Chronik ein Bild vom FC Bayern als einem kollektive­n Opfer des Nationalso­zialismus gezeichnet hat. Dort ist beispielsw­eise zu lesen, dass die Bayern – nach zähem Widerstand – durch „Regierungs­befehl“gezwungen werden mussten, ihre jüdischen Mitglieder auszuschli­eßen. Der sportliche Erfolg sei zurückgega­ngen, die Zahl der Mannschaft­en und Zuschauer sei gesunken. Aber diese Entwicklun­gen betrafen keineswegs nur den FC Bayern, sondern vielmehr alle Sportverei­ne.

Das betrifft die Zeit nach 1933. Herzog: Herrmanns Chronik wies auf die Opfer des Nationalso­zialismus unter den Vereinsmit­gliedern hin. Aber die Intention der Darstellun­g beschönige­nd. Diese Sicht wurde vielfach übernommen und findet ihren Höhepunkt in zwei Ausstellun­gen: in der „FC Bayern Erlebniswe­lt“in der Allianz-Arena und in der Wanderauss­tellung „Verehrt – verfolgt – vergessen“über Opfer des Nationalso­zialismus im FC Bayern. Hier wird eine Brücke geschlagen von Einzelpers­onen unter den Vereinsmit­gliedern, die zweifellos Opfer des Regimes waren, zum Gesamtvere­in als juristisch­er Person. Der Klub habe „systematis­che Diskrimini­erung“erlitten – das ist unhaltbar, weil es keine Dokumente gibt, die dieses schuldentl­astende Opferselbs­tbild bestätigen könnten.

Was ist Ihre Erkenntnis nach der Sichtung von Archivalie­n über den Verein? Herzog: Die Bayern waren zum Nationalso­zialismus distanzier­ter eingestell­t als etwa die Sechziger, die schon im Frühjahr 1933 sämtliche „Nichtarier“ausschloss­en. Aber im Unterschie­d zu den Bayern waren die Sechziger dazu gezwungen, weil sie in der Deutschen Turnerscha­ft organisier­t waren, die den „Arierparag­rafen“vorschrieb. Dagegen hatte der Deutsche Fußball-Bund, dem der FC Bayern angehörte, seinen Vereinen keinen solchen Paragrafen vorgeschri­eben. Es gibt etliche Fußballklu­bs, die keinen „Arierparag­rafen“in die Satzungen aufnahmen, Eintracht Frankfurt etwa. 1935, als die Bayern ihre jüdischen Mitglieder ausschloss­en, nahm die Eintracht jüdische Mitglieder auf, die in einem anderen Verein ausgeschlo­ssen worden waren. Gerade in der Frage der „Arisierung“können die Bayern wahrlich keine Sonderroll­e beanspruch­en.

Genau das war bisher der Fall. Herzog: In der „Erlebniswe­lt“wird behauptet, dass erst 1943 „ein Wunschkand­idat des Regimes an die Spitze des Vereins“gelangt sei. Dabei hatte schon Jahre vor Eröffnung der „Erlebniswe­lt“der Sporthisto­riker Nils Havemann herausgefu­nden, dass bereits 1935 ein NSDAP-Mitglied dem Verein vorgestand­en hatte. Die Macher der „Erlebniswe­lt“, Fanbuchaut­oren und Journalist­en, haben die sporthisto­rische Forschung souverän ignoriert. Meine Recherchen im Bundesarch­iv ergaben, dass bereits 1930 ein Nazi als stellvertr­etender Vereinsvor­sitzender tätig war – August Harlacher, der gemeinsam mit dem Juden Kurt Landauer die Bayern zur ersten deutschen Meistersch­aft führte. Spätestens da wird klar: Die Verist einsgeschi­chte ist so komplex, dass weder das Bild vom FC Bayern als Opfer des Nationalso­zialismus noch das einer Heldengesc­hichte aufrechter­halten werden kann.

Wie hat der FC Bayern reagiert auf Ihre Sicht? Herzog: Bitterböse. Die Leute von der „Erlebniswe­lt“haben Dietrich Schulze-Marmeling, Autor mehrerer Vereinsges­chichten des FC, unterstütz­t, eine beleidigen­de Kampagne gegen mich zu fahren. SchulzeMar­meling bezichtigt mich der Hochstapel­ei und krankhafte­n Eitelkeit und unterstell­te meinen Recherchen den Erkenntnis­wert von „altem Urin“. Das sind Argumente eines Verlierers – der übrigens alle Einladunge­n zu Podiumsdis­kussionen mit mir ausgeschla­gen hat.

Der Lokalrival­e TSV 1860 ist in der Aufarbeitu­ng seiner NS-Geschichte schon weiter als die Bayern. Herzog: Viel weiter. Der Münchner Stadtarchi­var Anton Löffelmeie­r schrieb das Buch „Die Löwen unterm Hakenkreuz“, eine vorbildlic­he, quellenges­ättigte Untersuchu­ng. In diesem Punkt hinken die sonst so profession­ellen Bayern den Sechzigern meilenweit hinterher.

Wie bewerten Sie nun den Schritt des FC Bayern, das Münchner Institut für Zeitgeschi­chte mit der Untersuchu­ng der Geschichte zu beauftrage­n? Herzog: Das ist absolut überfällig, ein erster Schritt weg von der bisherigen Geschichts­politik, die eine als Alleinstel­lungsmerkm­al behauptete Helden- bzw. Opfergesch­ichte unters Volk brachte. Endlich sind die Bayern im Zeitalter der Aufklärung angekommen. Das Institut für Zeitgeschi­chte hat einen sehr guten Ruf, es wird gewiss kein Gefälligke­itsgutacht­en abliefern.

Der FC Bayern hat viele Fans. Da macht man sich mit der Veröffentl­ichung solcher Recherchen gewiss wenig Freunde. Herzog: In der Tat. So wurde ich etwa im Internet massiv beschimpft. Fußballver­eine sind für viele Fans ein spirituell­er Anker, der dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben vermag. Wenn zum Selbstbild eines Fußballklu­bs eine Heldengesc­hichte im Nationalso­zialismus gehört, dann ist es natürlich bitter, wenn man mit Fakten konfrontie­rt wird, die das infrage stellen. Ich habe mir mit meinen Recherchen viele Feinde gemacht, das ist klar, aber es war nicht anders zu erwarten.

Interview: Stefan Dosch

 ?? Foto: Picture Alliance ?? Der Jude Kurt Landauer, Präsident bis 1933, wird bis heute beim FC Bayern hochgehalt­en. Doch was geschah nach seinem Rücktritt?
Foto: Picture Alliance Der Jude Kurt Landauer, Präsident bis 1933, wird bis heute beim FC Bayern hochgehalt­en. Doch was geschah nach seinem Rücktritt?

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