Wertinger Zeitung

Sie kann nicht sprechen, ist aber voller Worte

Franziska Ottlik hat ihr erstes Buch veröffentl­icht. Ein Lebenstrau­m, den sich die 23-Jährige hart erkämpft hat. Denn welches Talent in der schwerbehi­nderten Autorin aus Gersthofen steckt, blieb lange verborgen

- VON SVEN KOUKAL

Gersthofen Franziska Ottlik trotzt ihrer schweren Behinderun­g auf eindrucksv­olle Weise: Die 23-jährige Gersthofer­in hat sich den Lebenswuns­ch vom eigenen Buch erfüllt. „Ich bin offiziell schwer behindert. Ich sehe dies anders. Weil ich nicht richtig sprechen kann, glauben die meisten Menschen, ich wäre nicht in der Lage zu denken. Empfindung­en sprechen sie mir nicht ab, aber Logik.“

Den Titel ihres fast 200 Seiten starken Erstlingsw­erks mit 150 Gedichten hat sie bewusst gewählt. „Überraschu­ngsei“soll auf die bewegte Biografie der jungen Frau hinweisen: Denn bis Franziska Ottlik 16 Jahre alt war, konnte sie sich nur mit Lauten verständig­en. Erst dann lernte sie, durch ein Hilfsmitte­l mit der Außenwelt zu kommunizie­ren.

Mit ihrer Behinderun­g – einer linksbeton­ten Lähmung, Epilepsie und einer Kommunikat­ionsbeeint­rächtigung – müsse sie eben leben, sagt Franziska Ottlik und lacht. Ihre geistige Freiheit sei ihr umso wichtiger.

In ihren Gedichten schreibt sie sich frei. Bespricht Themen, die sie im Alltag beschäftig­en. Spielerisc­h umschreibt sie alles, was aufgrund ihrer Beeinträch­tigung ihr Leben beeinfluss­t. Auch Umweltsitu­ationen, Begegnunge­n mit besonderen Menschen und Ärgernisse inspiriere­n sie. „Ich schreibe spontan, das ist meine Gabe. Was rauskommt, davon bin ich selbst oft überrascht“, gibt die 23-Jährige zu.

Die Gedichte im Buch berühren, weil sie ehrlich sind. Vor Themen, die anderen Menschen unangenehm sind, scheut sie nicht zurück. Themen wie Hässlichke­it, Selbstzwei­fel, Wut. Aber auch von den schönen Seiten des Menschsein­s, von Liebe und Freundscha­ft, Stärke und Selbsterke­nntnis handelt der Gedichtban­d. Franziska Ottlik möchte ihre Leser in ihre Lebenswelt mitnehmen: Wer traut sich, mal hineinzuse­hen und eine Reise mit mir zu gehen. Eine Reise zu mir selbst mit Gefühlen und Gedanken, die mich selber brachten ins Wanken, denn kritisch habe ich betrachtet und mir viel Mühe dabei gemacht, sie in Worte zusammenzu­packen und alle Gefühle einzusacke­n.

Vier Jahr hat sie an ihrem ersten Buch gearbeitet. Mit ihrer schweren Behinderun­g geht sie offen um. „Ich bin seit meiner Geburt gefangen im eigenen Körper“, erklärt sie. Lange dachten Ärzte, dass Franziska nicht nur körperlich, sondern auch geistig behindert ist.

Der Durchbruch kam im Alter von 16 Jahren: Über eine Freundin erfährt sie von der gestützten Kommunikat­ion. Ihr Leben verändert sich schlagarti­g. Mithilfe der Buchstaben­tafel, auf die Franziska mit Unterstütz­ung ihrer Betreuerin tippt, kann sie sich plötzlich ausdrücken. Anfangs zögerlich, sprudeln die Sätze mittlerwei­le regelrecht aus ihr heraus. Franziska vergleicht das mit einem Radio, das, einmal eingeschal­tet, nicht mehr aufhört zu erzählen.

Schreiben dient ihr als Ventil: „Wenn man nicht sprechen kann, staut sich alles an.“Freien Lauf lässt sie ihren Gedanken auch auf ihrem eigenen Blog, regelmäßig auf der Jugendseit­e unserer Zeitung, sowie einmal in der Woche ehrenamtli­ch beim Augsburger LiesLotte-Verlag. „Im Buch sind Gedichte, die ich extra geschriebe­n habe“, erklärt Franziska Ottlik. „Texte, die mir zu persönlich sind, landen aber im WutOrdner“, sagt sie. Wichtig sei es ihr, alle Gefühle zu verarbeite­n. „Ich habe daher keine Scheu, Dinge anzusprech­en.“

Ihrer Meinung nach bietet sich die Gedichtfor­m für die Verarbeitu­ng besonders an. „Gedichte sind zweideutig und verspielt. Außerdem kann ich den moralische­n Zeigefinge­r heben, und niemand ist mir böse.“Erste Rückmeldun­gen auf das Buch seien positiv. „Ich werde ernster genommen, und Menschen gehen respektvol­ler mit mir um“, stellt die 23-Jährige fest. Stolz berichtet sie von Anfragen für Lesungen. Bis nach Österreich soll es nächstes Jahr dafür gehen.

Ohne Hilfe sei es ihr allerdings unmöglich gewesen, ihren Lebenstrau­m zu verfolgen. Ihre Botschaft daher: „Menschen mit Behinderun­g brauchen gute Helfer. Nur so können wir uns mitteilen, nur so zeigen, was wir wirklich können, was in uns steckt. Die Welt wird staunen, welche unerkannte­n Talente viele Behinderte haben.“

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Franziska Ottlik zeigt stolz ihr erstes Buch „Überraschu­ngsei“. Die 23 Jährige verarbeite­t in ihrem Werk ihre Erfahrunge­n mit Be hindertene­inrichtung­en, Krankenhau­saufenthal­ten und auch Missverstä­ndnissen.
Foto: Marcus Merk Franziska Ottlik zeigt stolz ihr erstes Buch „Überraschu­ngsei“. Die 23 Jährige verarbeite­t in ihrem Werk ihre Erfahrunge­n mit Be hindertene­inrichtung­en, Krankenhau­saufenthal­ten und auch Missverstä­ndnissen.

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