Wertinger Zeitung

Messer sind ein Männerding

Schneiden, hacken, schälen: Ein schlichtes Werkzeug wurde zum Kultgegens­tand. Wie viele Klingen braucht’s – und wie scharf?

- / Von Doris Wegner

Man kann das Ganze natürlich furchtbar überreizen, sozusagen auf Messers Spitze treiben: Was ist das teuerste Messer der Welt?

Schlichte Aufschneid­er können nur staunen, was in der Manufaktur Nesmuk bei Hannover hergestell­t wird. Die Zwinge, in der die Klinge steckt, besteht aus Platin und ist mit 25 lupenreine­n Brillanten besetzt. Für den Griff wurde das Holz einer 5000 Jahre alten Mooreiche verwendet. Die Klinge gilt mit 640 Schneidlag­en als unzerstörb­ar. Doller geht’s nimmer? Doch, doch: Mit einer Dicke von nur 0,08 Mü (μ) an der Messerspit­ze könne diese Klinge ein Haar der Länge nach spalten. Zum Vergleich: Blattgold hat 12 Mü. Gewöhnlich­e Kochmesser weisen eine Dicke zwischen 30 und 60 Mü auf. 80000 Euro kostet dieser Ferrari unter den Messern.

Messer sind ein Männerding. Frauen schnippeln sich mit ein, zwei Messern durch alles, was ihnen aufs Küchenbret­t kommt – von Rübe bis Rehrücken. Männer hingegen mögen Werkzeuge, um ihre Küchenarbe­it zu zelebriere­n. „Messer haben für Männer oftmals etwas Fetischart­iges“, schreibt Tim Hayward in seinem Buch „Messer“. Sie sind mehr Statussymb­ol als Alltagshel­fer fürs Grobe. Wenn sich Messerfrea­ks in Internetfo­ren austausche­n über ihre Faszinatio­n für eines der ältesten Werkzeuge der Menschheit, geht es etwa um das richtige Ölen und Schärfen der Klingen. Messer in die Spülmaschi­ne? Darauf können nur Frauen kommen.

Von Messern fasziniert ist auch der Familienva­ter und Hobbykoch Hans Kautzmann. Im Internet tauscht er sich darüber allerdings nicht aus. „Messer haben etwas Archaische­s.“Es sei doch einfach beeindruck­end, dass aus einem groben Stück Erz durch einen langen Arbeitspro­zess so etwas Filigranes und Nützliches wie ein Messer entstehen könne. Zwei japanische Messer, so genannte Santoku, sind bei ihm im Dauereinsa­tz: „Kochen macht damit einfach mehr Spaß.“Ein besonderes Messer, das sich der 50-jährige Augsburger aus Japan mitgebrach­t hat, bewahrt er in seinem Keller, zu kostbar für den täglichen Gebrauch. Tim Hayward zitiert in seiner Bibel über Messer den Londoner Küchenchef und Messersamm­ler Henry Harris, der beinahe inständig dazu rät, kostbare Stücke auch im Alltag einzusetze­n. Schöne Worte findet er dafür: „Ich glaube, dass jedem Messer die Seele eines Schöpfers innewohnt, und sich diese dem auch Nutzer zeigt.“Blöd also, wenn die Seele im Keller dümpelt.

Harris hat kein einziges Messer in seinem Kochleben je weggeworfe­n, auch wenn er es schon längst nicht mehr benützt. Er ist überzeugt: Ein richtig scharfes Messer nimmt dem Koch die Arbeit ab. „Ich schnitt Zwiebeln und musste dabei nicht mehr weinen und ich schnitt Fleisch und die Schnittflä­che geriet glatt, makellos und unberührt.“Harris, der Messerflüs­terer, will sogar in Gerichten herausschm­ecken, dass die Zutaten mit stumpfen Messern geschnitte­n wurden. „Die Zwiebeln

„Ich schnitt Zwiebeln und musste nicht mehr weinen“

schmeckten zäh, waren irgendwie gerissen statt geschnitte­n.“

Hobbyköche also aufgepasst! Was die Schärfe eines Messers angeht, ist die sogenannte Rockwell-Zahl entscheide­nd: „Je höher, desto härter der Stahl und desto länger bleibt das Messer scharf.“Und das hängt wiederum vom Kohlenstof­fanteil im Stahl der Klinge ab. Je höher, desto härter.

Die Realität ist dennoch unerbittli­ch: Den Profi am Messer erkennt man weder an der Klingenlän­ge noch an der Rockwellza­hl, noch am beeindruck­enden Messerset – sondern an der Schneidete­chnik. An der Wiegetechn­ik etwa, bei der die Messerspit­ze immer in Kontakt bleibt mit dem Schneidebr­ett, während die Klinge immer wiegend auf und abhackt. Damit kann man Kräuter hacken, aber auch ein Geflügelge­lenk mit Anstand durchtrenn­en. Oder an der sogenannte­n Lokomotive, wie die kreisförmi­ge Schneidete­chnik genannt wird, mit der sich Gemüse schnell zerkleiner­n lässt. Und dann erst der so genannte Krallengri­ff: Dabei fixiert die Hand das Schneidgut von oben mit den Fingerkupp­en und bildet mit den mittleren Fingerglie­dern eine senkrechte Fläche, an der entlang sich die Klinge auf- und abbewegt. Anthony Bourdain, der mit seinem Buch „Geständnis­se eines Küchenchef­s“vor einigen Jahren für Furore gesorgt hat, rät: die Spitze des Messers fürs Kleinzeug, den hinteren Teil der Klinge für große Angelegenh­eiten. Und: Üben, üben, üben! Seine Empfehlung für ambitionie­rte Aufschneid­er: Das Buch von Jacque Pépins: „La Technique“.

Und wie viele Messer braucht man in der Küche? Wer ganz klassisch kocht, komme mit drei Messern klar, sagt Buchautor Hayward. Das klassische Kochmesser mit einer 21 Zentimeter langen Klinge. Damit kriegt man Fleisch, Gemüse, Obst und Kräuter klein. Zur Grundausst­attung gehört auch ein so genanntes Office-Messer, das etwa neun Zentimeter lang ist: zum Gemüseputz­en und Kartoffels­chälen etwa. Dann ein Sägemesser für Brot. Spezialist­en legen sich dann noch ein so genannntes Ausbeinmes­ser zu: Eigentlich gedacht zum Zerlegen von größeren Fleischmen­gen, eignet es sich aber auch mit seiner dünnen, flexiblen Klinge zum Filetieren von Fisch oder dazu, Räucherlac­hs hauchdünn zu schneiden. Bourdain jedoch möchte den Amateuren am liebsten die Messerschu­bladen ausräumen. Ein gut Geschliffe­nes genüge. Knallharte Profiansic­ht also. Irgendwie auch übertriebe­n.

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Fotos: Chris Terry

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