Davongefahrenwerden
Es ist fast ein eigenes Genre der Pressefotografie. Politiker, Mächtiger, Prominenter, Präsident (bzw., ja: Politikerin, Mächtige, Prominente, Präsidentin) im Fond einer dunklen Limousine, erwischt hinter der Scheibe, unscharf, verwischt, mit Regentropfen, Lichtschlieren oder irgendwelchen Spiegelungen vorm Gesicht. Meistens fotografiert bei der Abfahrt, dem wortlosen Davonfahren, besser: Davongefahrenwerden. Im Auto fort nach einer dramatischen Sitzung, nach einem Scheitern, einem Rücktritt, einer Blamage, einer Niederlage, umringt von Fotografen, die draufhalten, reinhalten.
Sie sind für uns zur Stelle, die Paparazzi der Aktualität und die Dokumentaristen von Kippmomenten, von Einschnitten, Wendepunkten. Es sind Bilder von hoher Authentizität, gerade weil sie nicht makellos sind, weil sie ein Eindringen in einen geschlossenen Raum, in eine Privatsphäre sind, in der die professionelle Maske schon abgelegt ist. Diese Durch-die-Scheibe-Fotos entstehen an der Schnittstelle zwischen Transparenz und Verschwinden – in Augenblicken der Verletzlichkeit. Wer da im Dienstwagen sitzt, immer hinten, wirkt verloren. Isoliert, wie ausgeliefert dem Gang der Ereignisse, in einer Art gläsernen Zelle. Wenig lässt einen Mächtigen, eine Mächtige hilfloser, schutzloser und einsamer erscheinen als dieses Festsitzen hinter der Autoscheibe. Blick ins Leere. Es ist, wenn man so will, eine Situation öffentlicher Intimität – die Limousine wird zum Schaufenster, die (schusssichere) Scheibe zeigt wie hinter einem Brennglas die angeschlagene Hauptfigur – nicht mehr handelnd, sondern gefangen im Echo eines Ereignisses. Sind also all jene, die diese Fotos machen, drucken, betrachten Gaffer? Kaum: Sie teilen einen Moment der Stille, in dem Einsamkeit, Sprachlosigkeit, Zweifel und Traurigkeit der Macht auf uns alle übergreifen. (mls)