Wenn das Päckchen zum Problem wird
Immer mehr Menschen bestellen ihre Geschenke im Internet. Zusteller ächzen deshalb unter der Paket-Last wie nie zuvor. Die ersten Unternehmen ziehen jetzt die Konsequenzen
Augsburg Vielleicht hatten die deutschen Paketdienste noch die Nachrichten im Kopf, die Ende des vergangenen Jahres aus den USA kamen. Zahllose Päckchen erreichten damals ihre Empfänger nicht, viele Amerikaner saßen ohne die bestellten Geschenke unter dem Christbaum. Die Flut der Pakete, die noch kurz vor Weihnachten quer durchs Land transportiert werden sollten, war einfach zu groß. Die Zusteller kamen nicht mehr hinterher.
Erstmals scheinen einige Paketdienste auch hierzulande ein ähnliches Szenario zu befürchten. Der zum Otto-Konzern gehörende Dienstleister Hermes hat als erster Logistiker mit Online-Händlern fest vereinbart, wie viele Pakete er transportieren wird. Hermes will nur noch so viele Sendungen zum Kunden bringen, wie nach realistischer Einschätzung auch wirklich befördert werden können. Alles, was darüber hinaus bestellt wird, bleibt entweder im Lager oder muss von den Paketboten eines anderen Unternehmens transportiert werden. Für den Kunden bedeutet das zum allerersten Mal, dass sein rechtzeitig bestelltes Paket vielleicht nicht rechtzeitig ankommt.
Für die Logistik-Unternehmen wird die Päckchen-Flut vor Weihnachten zum echten Problem. Es gibt zu wenig Zusteller, zu wenig Fahrzeuge, zu wenig Platz, um die Sendungen zwischenzulagern. Gleichzeitig klettert die Zahl der Pakete immer weiter nach oben. Jeder zehnte Euro wird mittlerweile im Internet umgesetzt, Tendenz steigend. Der Bundesverband Paket & Express Logistik geht davon aus, dass in diesem Jahr zehn Prozent mehr Pakete als im vergangenen Jahr verschickt werden. Trifft die Prognose zu, transportieren Paketdienste allein in den letzten zwei Monaten des Jahres 290 Millionen Sendungen zu den Kunden. An besonders stressigen Tagen werden bis zu 15 Millionen Pakete befördert.
Dirk Rahn, Geschäftsführer Operations bei Hermes, spricht von einem „historischen Mengenhoch“. Das Weihnachtsgeschäft sei eine „Kraftprobe für die gesamte deut- Logistikbranche“. Die Paketdienste rüsten dementsprechend auf. Hermes hat im November zwei neue Logistikcenter eröffnet, die jeweils bis zu 25000 Sendungen pro Stunde verarbeiten können. Daneben hat das Unternehmen den Fuhrpark um 3500 Fahrzeuge erweitert und 6000 neue Mitarbeiter angestellt. Auch die Deutsche Post hat nach eigenen Angaben Personal und Flotte kräftig aufgestockt. Der Konzern beschäftigt 10000 zusätzliche Aushilfen, daneben sind mehr als 12000 weitere Fahrzeuge in Betrieb genommen worden. Die Kapazitäten seien allerdings endlich, betont Hermes-Manager Rahn. „Der Ar- beitsmarkt für Zusteller ist hierzulande de facto leer.“
Das Problem ist in der Weihnachtszeit besonders akut, die Zunahme der Online-Bestellungen beschäftigt die Paketdienste aber das ganze Jahr über. Beim Bundesverband Paket & Express Logistik schätzt man, dass die Zahl der transportierten Päckchen bis 2021 um fast eine Milliarde anwachsen wird, auf dann 4,1 Milliarden Sendungen. Neben Schuhen, Textilien oder Technik-Zubehör werden künftig auch vermehrt Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände wie Windeln im Internet gekauft, sagt Verbandssprecherin Elena Marcus-Engelsche hardt. „Da kommt noch einiges auf uns zu.“
Um die Paketströme besser zu steuern, denken einige Logistiker bereits über Alternativen zur bequemen Zustellung an der Haustür nach. Wie die Wirtschaftswoche berichtet, erwägen Paketdienste wie Hermes oder DPD, die Lieferung bis an die Türschwelle zu einer Extra-Leistung zu machen. „In der Zukunft könnte es so kommen, dass die Paketdienste standardmäßig an den Paketshop liefern und die Lieferung zur Haustür dann zum Beispiel 50 Cent extra kostet“, sagte DPDGeschäftsführer Boris Winkelmann dem Magazin.
Paketboten müssen einiges erleiden: Sie klingeln sich durch hunderte Mietshäuser, hasten unzählige Treppen herauf und hinunter und müssen sich die Klagen der Empfänger anhören, wenn ein Paket falsch abgegeben wird. Oft schuften sie gnadenlos und bekommen dafür weder genug Geld noch ausreichend Anerkennung.
Ihre Lage droht sich sogar noch zu verschlechtern. Denn der Paket-Wahnsinn nimmt immer mehr zu. Die Zahl der Online-Bestellungen steigt beständig, jetzt vor Weihnachten ist die Situation dramatischer denn je. Das hat Auswirkungen auf die Paketboten, die mehr arbeiten müssen. Aber auch auf die Umwelt, die darunter leidet, wenn immer mehr Päckchen durch das Land geschickt werden. Letztlich werden Unternehmen und Verbraucher deshalb nicht darum herumkommen, über neue Arten der Zustellung nachzudenken.
Vielleicht werden sich Empfänger in der nahen Zukunft also daran gewöhnen müssen, Pakete an einer Sammelstelle, in einem Paketshop oder direkt im Laden abzuholen. Denn auf Dauer wird es bei der schieren Masse an Päckchen nicht möglich sein, jede Sendung bequem nach Hause zu liefern – schon allein, weil irgendwann ein Verkehrskollaps droht, wenn immer mehr Paketautos durch die Orte fahren.