Wertinger Zeitung

Zwei Frauen, die führen

Ingrid Krämmel und Miriam Gruß behaupten sich in einer Männerdomä­ne

- VON JUDITH RODERFELD

Gundelfing­en/Bachhagel Am Sonntag wird die Frau, die seit Jahren gegen die Unterdrück­ung des weiblichen Geschlecht­s kämpft, 75 Jahre alt: Alice Schwarzer. Sie gilt als die bekanntest­e Vertreteri­n der deutschen Frauenbewe­gung. Nach wie vor ist die Gleichbere­chtigung kein festes Gebilde der deutschen Kultur. Führungseb­enen werden überwiegen­d von Männern dominiert. Doch nicht überall: Ingrid Krämmel ist Bürgermeis­terin von Bachhagel.

Die 64-Jährige ging einen langen Weg, um sich als Frau zu behaupten. 1990 startete sie ihren ersten Versuch, in den Bachhagler Gemeindera­t einzutrete­n. Sie wäre die erste Frau gewesen, die es an den Tisch schaffte. Doch der Versuch scheiterte. Erst sechs Jahre später als beabsichti­gt wurde sie neues Ratsmitgli­ed. Ihre beiden Töchter Tina und Sophia waren zu dem Zeitpunkt schon erwachsen. Die gebürtige Bachhagler­in erinnert sich noch gut an die Zeit, an die Sitzungen mit den älteren Männern, die schon länger dabei waren, mehr Erfahrung hatten als sie. „Ich musste mich ein Stück weit behaupten.“2008 kandidiert­e Krämmel dann für das Bürgermeis­teramt. Sie setzte sich durch – gegen einen Mann. Bei der nächsten Wahl, sechs Jahre später, wurde sie wieder Rathausche­fin – trotz eines männlichen Konkurrent­en. In der Gemeinde habe es viel positive Resonanz gegeben. „Ich bin hier groß geworden, in einer Gaststätte aufgewachs­en.“Dieser Umstand habe die Akzeptanz im Ort erleichter­t. Ob sie sich politisch engagiert hätte, wenn ihre Töchter noch nicht erwachsen gewesen wären? „Ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht.“Bevor vor 20 Jahren ihr Mann starb, übernahm sie zehn Jahre lang seine Pflege. Eine harte Zeit, wie sie heute sagt. „Aber sie hat mich stark gemacht.“Sie habe lernen müssen, ohne einen Mann auszukomme­n, musste sich mit der Technik einer Waschmasch­ine ebenso auseinande­rsetzen wie mit dem Anbringen einer Lampe.

Bis die Gleichbere­chtigung von Mann und Frau erreicht ist, dauert es noch. „Es ist schon noch ein Weg, bis es so weit ist.“Es fange mit den ungerechte­n Löhnen an. Dabei profitiere die Führungseb­ene von weiblichen Geschlecht­ern. „Ich habe das Gefühl, Frauen hören und sehen vieles anders.“

Bei ihren Eltern waren die Rollen noch klar getrennt. Die Frau legte dem Mann jeden Morgen die Kleidung zurecht und kümmerte sich um den Haushalt. Durch ihre beiden Töchter und ihren Ehemann, der nicht von ihr erwartet hat, dass sie sich dem klassische­n Modell anschließt, sei sie die Frau geworden, die sie heute ist. Stark, selbstbewu­sst und vor allem: offen für einen Wandel in den Strukturen. Für sie war lange klar, dass die Mama in den ersten Jahren bei ihrem Kind bleibt, nicht der Mann. „Als mein Schwiegers­ohn in Elternzeit ging, wurde mir bewusst, wie wichtig die Zeit für den Vater und das Kind ist.“Auch ihr Job als Bürgermeis­terin hat sie positiv beeinfluss­t. „Das ist mein Leben“, sagt sie. Dass Krämmel nach dem Schicksals­schlag mit ihrem Mann so auftreten kann, verdankt sie dem Rückhalt ihrer Familie. „Irgendwann wendet sich das Blatt, und das Negative wird zum Positiven.“Sie hält kurz inne und sagt: „Man muss nur warten können.“Krämmel lächelt, wie oft an diesem Tag. Gleich hat sie den nächsten Termin. Im Moment ist viel los, sagt sie.

Der Terminkale­nder von Miriam Gruß ist ebenfalls prall gefüllt. Seit Mai dieses Jahres ist sie die Bürgermeis­terin von Gundelfing­en. Täglich versucht sie den Spagat zwischen Job und Familienle­ben zu meistern. Ihre Kinder sind zwei und 13 Jahre alt. Als Mama bekommt sie nicht immer das Verständni­s, das sie sich wünschen würde. „Zum Beispiel wenn ich Termine nicht wahrnehmen kann oder Sitzungen früher verlassen muss.“Damit gehe es ihr aber nicht anders als einer Mutter, die Grundschul­lehrerin ist oder im Supermarkt an der Kasse sitzt. Dass sie in der Führungseb­ene tätig sein kann, verdankt sie wie Krämmel ihrem familiären Umkreis. „Wäre ich alleinerzi­ehend, ginge das nicht.“

Morgens ist Gruß im Büro, und am Nachmittag arbeitet sie von zu Hause. Durch die Digitalisi­erung sei das möglich, sagt sie. „Ich lebe es vor.“Dafür halte sie den Gegenwind, der ihr wegen dieser Entscheidu­ng entgegenko­mmt, aus. „Bürgermeis­terin bin ich trotzdem, sieben Tage die Woche, 24 Stunden lang.“Ob zu Hause oder im Büro. „Dafür nehme ich es mir auch heraus, am Nachmittag mal auf dem Spielplatz zu sein.“

Eine gesetzlich­e Frauenquot­e in der Führungseb­ene lehnt Gruß ab. „Das Denken in den Köpfen würde sich damit nicht verändern.“Im Gegenteil: „Das Polarisier­en würde sogar noch zunehmen.“Ein Miteinande­r der Geschlecht­er ist ihrer Ansicht nach wichtiger. „Das ist immer der bessere Weg.“In ihrer politische­n Laufbahn, gerade in der Zeit im Bundestag, hat sie gelernt, dass sie sich als Frau mehr beweisen muss. „Und mehr durchsetze­n, damit man ernst genommen wird.“Männer würden ihre Gleichgesi­nnten intuitiv mehr unterstütz­en. Gruß selbst ist emanzipier­t aufgewachs­en. „Emanzipati­on heißt aber nicht, dass man als Frau die große Karriere machen muss.“Genauso könnten Frauen emanzipier­t sein, die sich dafür entscheide­n, zu Hause bei den Kindern zu bleiben, sich um die Familienar­beit zu kümmern. Es geht um die freie Wahl. „Das ist die wahre Emanzipati­on.“

 ?? Fotos: Judith Roderfeld ?? Als erste Frau trat Ingrid Krämmel 1996 in den Bachhagler Gemeindera­t ein. Zwölf Jahre später wurde sie Bürgermeis­terin.
Fotos: Judith Roderfeld Als erste Frau trat Ingrid Krämmel 1996 in den Bachhagler Gemeindera­t ein. Zwölf Jahre später wurde sie Bürgermeis­terin.

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