Junckers Pläne für Europa stecken voller Zündstoff
Ein gemeinsamer EU-Finanzminister? SPD hat Sympathie, CSU kündigt Widerstand an
Augsburg Die horrenden Schulden einzelner Staaten haben den Euro und das ganze europäische Finanzsystem phasenweise ins Wanken gebracht. Damit es nie wieder so weit kommt, will die Europäische Union ihre Finanzpolitik revolutionieren. Gestern hat Jean-Claude Juncker seine Pläne vorgelegt. Und die haben es in sich: Der EU-Kommissionschef fordert unter anderem einen gemeinsamen Finanzminister aller Mitgliedstaaten. Außerdem soll ein Europäischer Währungsfonds überschuldete Länder retten. „Die Richtung stimmt“, findet Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD). Doch es gibt auch Bedenken. Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt warnt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Der Währungsfonds darf nicht zu einer Portokasse für Schuldenländer werden.“
Juncker selbst will Aufbruchstimmung erzeugen: „Nach den Krisenjahren ist es nun an der Zeit, Europas Zukunft in unsere Hände zu nehmen“, sagt er. „Es gibt keine bessere Zeit, das Dach zu reparieren, als wenn die Sonne scheint.“Doch seine Ideen bergen gleich doppeltes Konfliktpotenzial. Sie werden nicht nur erbitterte Debatten innerhalb der EU auslösen, sondern auch in den anstehenden Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition in Berlin.
Die entscheidenden Fragen lauten: Wie viel Macht wollen die Länder nach Brüssel abgeben und wer haftet wofür? Für Dobrindt ist die Sache klar: „Ich halte nichts davon, wenn die Kontrolle über den Währungsfonds nicht mehr über die nationalen Finanzminister ausgeübt wird“, sagt der CSU-Landesgruppenchef und fügt hinzu: „Wir brauchen keinen EU-Finanzminister.“
In vielen Punkten erinnern Junckers Vorschläge an die Zukunftsvision des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Einig sind sich ja alle, dass Europa einen Neuanfang braucht. Doch die Gegner einer engeren wirtschaftlichen Verzahnung fürchten eine Vergemeinschaftung von Schulden. „Eine Haftung deutscher Sparer für marode ausländische Banken werden wir nicht akzeptieren“, sagt Dobrindt. Er unterstütze die Idee eines Europäischen Währungsfonds, allerdings dürfe klammen Ländern nur unter strengen Auflagen geholfen werden.
Auch FDP-Chef Christian Lindner ist skeptisch. Vor Unternehmern in München warnte er am Montag davor, Schuldenstaaten „eine Art Dispokredit“beim europäischen Rettungsschirm einzuräumen. Die Euroländer müssten ihre Probleme in eigener Verantwortung lösen. Dieses Thema sei beim Scheitern der Jamaika-Gespräche „einer der echten Brennpunkte“gewesen. Auch in den Gesprächen zwischen Union und SPD könnte es Ärger geben. Im Interview auf der Politik spricht Dobrindt noch über einen weiteren Koalitions-Knackpunkt und seine neue Rolle in der CSU. Außerdem geht es um Gabriels erstaunliches Comeback in der SPD.
Auf der Wirtschaft erfahren Sie mehr über Junckers Pläne und im Kommentar steht, warum sie vor allem für Deutschland riskant sind.
Berlin Wieder in die Große Koalition oder doch in die Opposition? Beim Parteitag, der heute in Berlin beginnt, entscheidet sich, wohin die Reise geht für die angeschlagene SPD. Und ausgerechnet ein Genosse, der bereits völlig abgeschrieben schien, könnte bei der Festlegung des künftigen Kurses im Hintergrund die Weichen stellen. Sigmar Gabriel schickt sich einmal mehr an, seinem Ruf als politisches Stehaufmännchen gerecht zu werden. Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen wittere er Morgenluft, heißt es in Parteikreisen, und arbeite massiv auf eine Neuauflage der Regierung von Union und SPD hin. In der er dann wohl auch weiter eine gewichtige Rolle spielen würde.
Seit Wochen fällt auf, dass Gabriel, obwohl schon ziemlich lange nur noch Noch-Außenminister der Bundesrepublik, einem ganz schön dicht gedrängten Reiseplan folgt. In Bangladesch und Myanmar macht er sich ein Bild von der Lage der muslimischen Rohingya-Flüchtlinge, in Washington und Moskau berät er mit Spitzenpolitikern über Atom-Streit mit Nordkorea und diskutiert in Afrika über die Migrationskrise. Gabriel, der ohnehin als Arbeitstier gilt, hat allem Anschein nach in den vergangenen Wochen sein Pensum deutlich hochgefahren.
Das dürfte kaum daran liegen, dass er sein Amt noch einmal so richtig auskosten will, bevor er es abgeben muss. Alles deutet darauf hin, dass der frühere SPD-Vorsitzende jetzt, da seine Partei wieder, wenn auch noch zögerlich, in Richtung einer Fortsetzung der Großen Koalition steuert, auch um die Fortsetzung seiner Karriere kämpft.
Dabei kokettierte er noch vor wenigen Wochen mit seinem vermeintlich bevorstehenden Sturz in die Bedeutungslosigkeit, sprach davon, dass sein politisches Grab schon ausgehoben sei. In der Tat hätte es kurz nach der Bundestagswahl, bei der die SPD auf historisch niedrige 20,5 Prozent der Stimmen abgestürzt war, für Gabriel kaum schlechter aussehen können. Viele in der Partei gaben ihm eine gehörige Portion Mitschuld am Debakel. Gabriel habe seine Entscheidung, Martin Schulz Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz zu überlassen, viel zu spät getroffen, grummelte es.
Siebeneinhalb Jahre hatte Gabriel zuvor die SPD geführt, ihr Absturz sei auch das Resultat seiner Politik. Zu sehr sei er als Wirtschafts- und dann als Außenminister mit der Großen Koalition unter CDUKanzlerin Angela Merkel identifiziert worden, um bei der geplanten Erneuerung der Partei eine Rolle spielen zu können, so seine Kritiker.
Weil SPD-Chef Martin Schulz noch am Wahlabend den Gang in die Opposition verkündet hatte und die Union mit FDP und Grünen Sondierungen über ein Jamaika-Bündnis aufnahm, sprach vieles dafür, dass Gabriel in Zukunft nur noch ein einfacher Abgeordneter auf der harten Oppositionsbank sein würde. Doch als ob Gabriel es geahnt hätte, dass die Jamaika-Koalition nicht zustande kommen würde, regierte er einfach mit voller Kraft weiter in der alten Großen Koalition.
Und wenn jetzt die „GroKo“doch noch eine zweite Chance beden kommt, ist Gabriel wieder mitten im Spiel. Fragen nach einer weiteren Regierungsbeteiligung der SPD und damit seinen politischen Ambitionen weist er zwar zurück, weil er weiß, dass ihm nur Eigennutz unterstellt würde.
Doch er betont, dass er den Grund für die Niederlage der SPD nicht in der Großen Koalition sieht: „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Krise der deutschen Sozialdemokratie weniger etwas mit dem Regierungsbündnis mit den Konservativen in Deutschland zu tun hat als mit diesen völlig veränderten Rahmenbedingungen für sozialdemokratische Politik.“
Gabriel überlässt es lieber Leuten aus seinem noch immer gut funktionierenden Netzwerk, ihn auch in einer künftigen Regierung für unverzichtbar zu erklären. Wahlweise als Finanzminister, dem faktisch mächtigsten Amt nach dem Bundeskanzler, oder eben weiter als Außenminister. SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer etwa nannte Gabriel „einen der besten Außenminister, den Deutschland je hatte“.
Der so Gelobte hat jetzt zudem eine Art Bewerbungsrede für seine Weiterbeschäftigung abgeliefert. Auf dem außenpolitischen Forum der Körber-Stiftung in Berlin sprach sich der geschäftsführende Außenminister dafür aus, dass Deutschland künftig selbstbewusster seine Interessen vertreten müsse, eigenständiger handeln vor allem gegenüber Amerika, dessen globale Dominanz schwinde. Russland kritisierte er zwar für die Aggression auf der Krim und in der Ostukraine, auf Dauer müsse Deutschland aber auf Moskau zugehen. Und zusammen mit Frankreich will Gabriel nicht nur auf dem Gebiet der Verteidigung enger zusammenarbeiten. Auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Macron zur Reform der Europäischen Union solle Deutschland positiv reagieren.
Seine Botschaft an die in der Frage einer Regierungsbeteiligung tief gespaltenen Genossen ist klar: Aus Verantwortung für Europa bleibt der SPD nur der Weg in die Große Koalition.
Das Arbeitstier steigert sein Pensum noch weiter Der Minister lässt geschickt andere für sich sprechen