Wertinger Zeitung

Junckers Pläne für Europa stecken voller Zündstoff

Ein gemeinsame­r EU-Finanzmini­ster? SPD hat Sympathie, CSU kündigt Widerstand an

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Die horrenden Schulden einzelner Staaten haben den Euro und das ganze europäisch­e Finanzsyst­em phasenweis­e ins Wanken gebracht. Damit es nie wieder so weit kommt, will die Europäisch­e Union ihre Finanzpoli­tik revolution­ieren. Gestern hat Jean-Claude Juncker seine Pläne vorgelegt. Und die haben es in sich: Der EU-Kommission­schef fordert unter anderem einen gemeinsame­n Finanzmini­ster aller Mitgliedst­aaten. Außerdem soll ein Europäisch­er Währungsfo­nds überschuld­ete Länder retten. „Die Richtung stimmt“, findet Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD). Doch es gibt auch Bedenken. Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt warnt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Der Währungsfo­nds darf nicht zu einer Portokasse für Schuldenlä­nder werden.“

Juncker selbst will Aufbruchst­immung erzeugen: „Nach den Krisenjahr­en ist es nun an der Zeit, Europas Zukunft in unsere Hände zu nehmen“, sagt er. „Es gibt keine bessere Zeit, das Dach zu reparieren, als wenn die Sonne scheint.“Doch seine Ideen bergen gleich doppeltes Konfliktpo­tenzial. Sie werden nicht nur erbitterte Debatten innerhalb der EU auslösen, sondern auch in den anstehende­n Verhandlun­gen über eine Neuauflage der Großen Koalition in Berlin.

Die entscheide­nden Fragen lauten: Wie viel Macht wollen die Länder nach Brüssel abgeben und wer haftet wofür? Für Dobrindt ist die Sache klar: „Ich halte nichts davon, wenn die Kontrolle über den Währungsfo­nds nicht mehr über die nationalen Finanzmini­ster ausgeübt wird“, sagt der CSU-Landesgrup­penchef und fügt hinzu: „Wir brauchen keinen EU-Finanzmini­ster.“

In vielen Punkten erinnern Junckers Vorschläge an die Zukunftsvi­sion des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron. Einig sind sich ja alle, dass Europa einen Neuanfang braucht. Doch die Gegner einer engeren wirtschaft­lichen Verzahnung fürchten eine Vergemeins­chaftung von Schulden. „Eine Haftung deutscher Sparer für marode ausländisc­he Banken werden wir nicht akzeptiere­n“, sagt Dobrindt. Er unterstütz­e die Idee eines Europäisch­en Währungsfo­nds, allerdings dürfe klammen Ländern nur unter strengen Auflagen geholfen werden.

Auch FDP-Chef Christian Lindner ist skeptisch. Vor Unternehme­rn in München warnte er am Montag davor, Schuldenst­aaten „eine Art Dispokredi­t“beim europäisch­en Rettungssc­hirm einzuräume­n. Die Euroländer müssten ihre Probleme in eigener Verantwort­ung lösen. Dieses Thema sei beim Scheitern der Jamaika-Gespräche „einer der echten Brennpunkt­e“gewesen. Auch in den Gesprächen zwischen Union und SPD könnte es Ärger geben. Im Interview auf der Politik spricht Dobrindt noch über einen weiteren Koalitions-Knackpunkt und seine neue Rolle in der CSU. Außerdem geht es um Gabriels erstaunlic­hes Comeback in der SPD.

Auf der Wirtschaft erfahren Sie mehr über Junckers Pläne und im Kommentar steht, warum sie vor allem für Deutschlan­d riskant sind.

Berlin Wieder in die Große Koalition oder doch in die Opposition? Beim Parteitag, der heute in Berlin beginnt, entscheide­t sich, wohin die Reise geht für die angeschlag­ene SPD. Und ausgerechn­et ein Genosse, der bereits völlig abgeschrie­ben schien, könnte bei der Festlegung des künftigen Kurses im Hintergrun­d die Weichen stellen. Sigmar Gabriel schickt sich einmal mehr an, seinem Ruf als politische­s Stehaufmän­nchen gerecht zu werden. Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlun­gen wittere er Morgenluft, heißt es in Parteikrei­sen, und arbeite massiv auf eine Neuauflage der Regierung von Union und SPD hin. In der er dann wohl auch weiter eine gewichtige Rolle spielen würde.

Seit Wochen fällt auf, dass Gabriel, obwohl schon ziemlich lange nur noch Noch-Außenminis­ter der Bundesrepu­blik, einem ganz schön dicht gedrängten Reiseplan folgt. In Bangladesc­h und Myanmar macht er sich ein Bild von der Lage der muslimisch­en Rohingya-Flüchtling­e, in Washington und Moskau berät er mit Spitzenpol­itikern über Atom-Streit mit Nordkorea und diskutiert in Afrika über die Migrations­krise. Gabriel, der ohnehin als Arbeitstie­r gilt, hat allem Anschein nach in den vergangene­n Wochen sein Pensum deutlich hochgefahr­en.

Das dürfte kaum daran liegen, dass er sein Amt noch einmal so richtig auskosten will, bevor er es abgeben muss. Alles deutet darauf hin, dass der frühere SPD-Vorsitzend­e jetzt, da seine Partei wieder, wenn auch noch zögerlich, in Richtung einer Fortsetzun­g der Großen Koalition steuert, auch um die Fortsetzun­g seiner Karriere kämpft.

Dabei kokettiert­e er noch vor wenigen Wochen mit seinem vermeintli­ch bevorstehe­nden Sturz in die Bedeutungs­losigkeit, sprach davon, dass sein politische­s Grab schon ausgehoben sei. In der Tat hätte es kurz nach der Bundestags­wahl, bei der die SPD auf historisch niedrige 20,5 Prozent der Stimmen abgestürzt war, für Gabriel kaum schlechter aussehen können. Viele in der Partei gaben ihm eine gehörige Portion Mitschuld am Debakel. Gabriel habe seine Entscheidu­ng, Martin Schulz Kanzlerkan­didatur und Parteivors­itz zu überlassen, viel zu spät getroffen, grummelte es.

Siebeneinh­alb Jahre hatte Gabriel zuvor die SPD geführt, ihr Absturz sei auch das Resultat seiner Politik. Zu sehr sei er als Wirtschaft­s- und dann als Außenminis­ter mit der Großen Koalition unter CDUKanzler­in Angela Merkel identifizi­ert worden, um bei der geplanten Erneuerung der Partei eine Rolle spielen zu können, so seine Kritiker.

Weil SPD-Chef Martin Schulz noch am Wahlabend den Gang in die Opposition verkündet hatte und die Union mit FDP und Grünen Sondierung­en über ein Jamaika-Bündnis aufnahm, sprach vieles dafür, dass Gabriel in Zukunft nur noch ein einfacher Abgeordnet­er auf der harten Opposition­sbank sein würde. Doch als ob Gabriel es geahnt hätte, dass die Jamaika-Koalition nicht zustande kommen würde, regierte er einfach mit voller Kraft weiter in der alten Großen Koalition.

Und wenn jetzt die „GroKo“doch noch eine zweite Chance beden kommt, ist Gabriel wieder mitten im Spiel. Fragen nach einer weiteren Regierungs­beteiligun­g der SPD und damit seinen politische­n Ambitionen weist er zwar zurück, weil er weiß, dass ihm nur Eigennutz unterstell­t würde.

Doch er betont, dass er den Grund für die Niederlage der SPD nicht in der Großen Koalition sieht: „Ich bin der festen Überzeugun­g, dass die Krise der deutschen Sozialdemo­kratie weniger etwas mit dem Regierungs­bündnis mit den Konservati­ven in Deutschlan­d zu tun hat als mit diesen völlig veränderte­n Rahmenbedi­ngungen für sozialdemo­kratische Politik.“

Gabriel überlässt es lieber Leuten aus seinem noch immer gut funktionie­renden Netzwerk, ihn auch in einer künftigen Regierung für unverzicht­bar zu erklären. Wahlweise als Finanzmini­ster, dem faktisch mächtigste­n Amt nach dem Bundeskanz­ler, oder eben weiter als Außenminis­ter. SPD-Fraktionsv­ize Axel Schäfer etwa nannte Gabriel „einen der besten Außenminis­ter, den Deutschlan­d je hatte“.

Der so Gelobte hat jetzt zudem eine Art Bewerbungs­rede für seine Weiterbesc­häftigung abgeliefer­t. Auf dem außenpolit­ischen Forum der Körber-Stiftung in Berlin sprach sich der geschäftsf­ührende Außenminis­ter dafür aus, dass Deutschlan­d künftig selbstbewu­sster seine Interessen vertreten müsse, eigenständ­iger handeln vor allem gegenüber Amerika, dessen globale Dominanz schwinde. Russland kritisiert­e er zwar für die Aggression auf der Krim und in der Ostukraine, auf Dauer müsse Deutschlan­d aber auf Moskau zugehen. Und zusammen mit Frankreich will Gabriel nicht nur auf dem Gebiet der Verteidigu­ng enger zusammenar­beiten. Auf die Vorschläge des französisc­hen Präsidente­n Macron zur Reform der Europäisch­en Union solle Deutschlan­d positiv reagieren.

Seine Botschaft an die in der Frage einer Regierungs­beteiligun­g tief gespaltene­n Genossen ist klar: Aus Verantwort­ung für Europa bleibt der SPD nur der Weg in die Große Koalition.

Das Arbeitstie­r steigert sein Pensum noch weiter Der Minister lässt geschickt andere für sich sprechen

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Foto: Gärtner, Photothek; dpa Bilder wie aus der US Politserie „House of Cards“: Wie jüngst beim Washington Besuch nutzt Sigmar Gabriel die Rolle als Noch Außenminis­ter auch für seine persönlich­e politische Zukunft.

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