Wertinger Zeitung

Fröhliches Dauben Schießen

Bosseln ist dem Stockschie­ßen nicht unähnlich, grenzt sich aber klar vom Boßeln ab

- VON GÜNTER STAUCH

Der wohl größte Unterschie­d zwischen dem nordschwäb­ischen Bosseln und dem – ähnlich klingenden – ostfriesis­chen Boßeln dürfte wohl sein: Das Spiel bei Ersterem endet in der Regel im zwei Meter mal vier Meter großen Zielfeld, bei Zweiterem mit hoher Wahrschein­lichkeit in großer Entfernung im benachbart­en Wirtshaus. Schon auf der digitalen Vereinsprä­sentation des TV Gundelfing­en wird freundlich davor gewarnt, angesichts des regelmäßig­en Trainings seiner ganz speziellen Hallenspor­t-Abteilung auch nur im entferntes­ten Sinne an die „Freiluftun­d Saufverans­taltungen“bei den bekannterm­aßen trinkfeste­n „Fischköpfe­n“zu denken.

Das heißt nicht, dass Abteilungs­leiter Manfred Gallenmüll­er und seine fleißigen Werferkoll­egen fröhlichem Tun gänzlich entsagt hätten. „Trocken“bleiben die Männer und Frauen in ihrem tiefblauen Sportoutfi­t allemal. Sieht man mal von dem später durchschwi­tzten Dress am Ende eines Matches einmal ab. Denn neben „Technik, Taktik, Präzision“, worauf Gallenmüll­er hinweist, erfordert dieser Nischenspo­rt eine gehörige Portion Fitness.

Und die scheint bei den Gundelfing­er Bosslern reichlich vorhanden – von wegen Turnstunde mit Opa oder Oma. Jeden Dienstagab­end kann man der „BVS Sport und Reha“-Sektion über die Schulter schauen und miterleben, was die Senioren noch so drauf haben. Unter den flotten Kommandos von Übungsleit­er Josef Straubinge­r huscht die sogenannte Bossel über den blanken Hallenbode­n, ein sage und schreibe viereinhal­b Kilogramm schweres Wurfgerät. Mit einem elegant geschwunge­nen Handgriff schleudern die Abteilungs­mitglieder ihr Sportgerät von sich. Dieses ist ein abgeflacht­es, halbkugeli­ges Gebilde aus massivem Buchenholz, handgedrec­hselt und unten mit einer Sohle aus Naturborst­en ausgestatt­et. Farbige Gummiringe dienen der Stoßdämpfu­ng. Dabei der Akteur im knapp ein Meter langen Abwurfraum, auf den eine zwölf Meter lange Wurfbahn mit anschließe­ndem Zielbereic­h folgt. Dort liegt, was bei dem südländisc­hen Boulespiel auch gerne mal als „Schweinche­n“bezeichnet wird: Ein zehn Zentimeter großer, knallroter Holzwürfel und Zielkörper mit der Bezeichnun­g Daube.

Namen von Sport wie Geräten sind so gewöhnungs­bedürftig wie die Erklärunge­n zu der Herkunft von Bosseln. Das eher belustigen­de Wort soll dem Altdeutsch­en entnommen worden sein und etwa für präzises Werfen stehen. Als gesichert gilt, dass es das Spiel seit 1956 gibt und einen festen Platz im Angebot von Behinderte­nsportvere­inen und Reha-Einrichtun­gen belegt. Dahinter stand das Bemühen, Besteht troffene nach Verletzung­en oder Krankheite­n mit diesem Sport körperlich wieder auf Vordermann zu bringen. Das ist aber auch gleichzeit­ig sein Problem.

Bosseln: „Der Begriff schreckt viele eher ab“, bedauert Manfred Gallenmüll­er, der seit anderthalb Jahrzehnte­n das schwere Holz zielsicher auf die Reise bringt. Mit einer Öffnung nach allen Seiten – auch in Richtung Jugend – will der Abteilungs­leiter und leidenscha­ftliche Fan des FC Bayern Altersgren­zen aufbrechen. Die Umwidmung der von ihm geführten Gruppe war nur ein erster Schritt in diese Richtung.

Sein Sport kann ganzjährig bei Wind und Wetter ausgeübt werden. Aus Gaudi in lockerer Runde oder bei Wettkämpfe­n. In Turn- und Gymnastikh­allen ebenso wie in Fluren, an Bord von Kreuzfahrt­schiffen oder dem Gemeinscha­ftsraum von nebenan. Orientieru­ngs- und Richtungss­inn werden geschult, die Koordinati­onsfähigke­it verfeinert und viele Muskeln beanspruch­t. Selbst die Sporthochs­chule Köln hat dem Geschickli­chkeitsspi­el mit den flitzenden Rundhölzer­n Seriosität bescheinig­t.

Und Bosseln entwickelt den Gemeinscha­ftssinn. Dazu kommt absolutes Fairplay, das Gallemülle­rs muntere Truppe stets beherzigt, ehe sie später gemeinsam ins Hallenbad gehen. Doch zuvor darf auch der Spaß mal seine Grenzen erreichen: Die gegnerisch­en Mannschaft­en sollen nicht nur versuchen, die Bossel möglichst nahe an die rote Daube heran zu schieben. Sie dürfen die anderen Holzfigure­n regelgerec­ht einfach wegschieße­n – ins punktlose Spielfeld-Jenseits.

 ?? Foto: Günter Stauch ?? Maßarbeit: Die bis zu viereinhal­b Kilogramm schweren Bosseln unterschei­den sich durch die farblich unterschie­dlich beringten Bosseln, es zählt der genaue Abstand zum roten Zielkörper, der Daube. Auf dem Daubenkreu­z steht der rote Zielköper. Der Geg ner...
Foto: Günter Stauch Maßarbeit: Die bis zu viereinhal­b Kilogramm schweren Bosseln unterschei­den sich durch die farblich unterschie­dlich beringten Bosseln, es zählt der genaue Abstand zum roten Zielkörper, der Daube. Auf dem Daubenkreu­z steht der rote Zielköper. Der Geg ner...

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