Jugendhaus
Wertingen ist das Vorbild für Rain
Rain/Wertingen „Nehmen Sie das Geld in die Hand! Geben Sie den Jugendlichen einen Raum! Und halten Sie es aus!“Mit diesem Appell machte der Wertinger Jugendpfleger Tobias Kolb dem Rainer Stadtrat in der jüngsten Sitzung Mut, das Thema Jugendarbeit aufzugreifen und die vorhandene Lücke in der Infrastruktur zu schließen. Indem er schilderte, was sich in seiner vergleichbar großen Stadt im Landkreis Dillingen für die Zielgruppe von den Zehnjährigen bis zu den jungen Erwachsenen bewegt, weckte er beim Rainer Bürgermeister Gerhard Martin und dem Gremium Interesse, Verständnis und wohl auch den Wunsch, die Situation in Rain zumindest ernsthaft zu überprüfen. Ein Beschluss stand jetzt noch nicht an. Doch bekannten etliche Teilnehmer, von Kolbs Vortrag „beeindruckt“zu sein.
Kolb leistet in Wertingen sogenannte offene Jugendarbeit, die von allen genutzt werden kann, auf Freiwilligkeit beruht und von Mitbestimmung geprägt ist. Jugendpolitik ist laut Kolb deshalb notwendig, weil jede Gesellschaft Entwicklung und Innovation nötig hat. „Wenn sich die Jugend abwendet, ist sie irgendwann nicht mehr da. Da fällt dann ein Rie- weg, etwa auch beim Ehrenamt. Und da kann die offene Jugendarbeit ansetzen.“Im Umkehrschluss heiße das: „Wenn sich die Jugend angenommen fühlt, dann hat sie eine positive Bindung an ihre Stadt.“Jugendliche an den Prozessen der Gesellschaft zu beteiligen bedeute, Ressourcen vor Defizite zu stellen, Selbstwert aufzubauen, Identifikation mit der Gesellschaft zu schaffen und sie zu integrieren, so erklärte der Wertinger Jugendpfleger.
Tobias Kolb sprach auch den demografischen Wandel an, angesichts dessen es für jede Kommune zum Problem werde, wenn Jugendliche zu Ausbildung oder Studium wegzögen. „Junge Menschen, die mit ihrer Kommune gute Erfahrungen gemacht haben, die kommen eher wieder dorthin zurück, um eigene Familien zu gründen.“Es müsse das Gefühl entstehen: In dieser Stadt fühle ich mich wohl – dort habe ich mich schon als Jugendlicher wohlgefühlt.
In Wertingen treffen sich die Jugendlichen im 400 Quadratmeter großen Jugendhaus, das die Stadt zur Verfügung stellt. Dort gibt es ein Café, einen Raum für Bandproben, Mehrzweck- und Partyraum, Kicker, Billard, Fernseher, Beamer, Küche, Mittagstisch und mehr. „Die Jugendlichen brauchen einen Platz, wohin sie kommen können“, weiß Tobias Kolb. Ein Verein organisiert das Jugendhaus. Die Jugendlichen übernehmen selbst die Funktionen im Vorstand, die zu besetzen kein Problem sei, wie Kolb sagte.
Die Angebote sind vielfältig, reichen vom Wald-Camp über Fahrradwerkstatt, Repair-Cafe, Krimidinner, Aktivitäten in der „Wertinger Nacht“und beim Gitarren-Festival bis zum Film-Team und zur Teilnahme am Wettbewerb „Zivilcourage“.
„Man muss die Jugendlichen ernst nehmen“, so lautet Kolbs Credo, das tatsächlich auch Nachhaltigkeit zeigt. Immerhin sind zwei Mitglieder der einstigen Gründungs-Gruppe heute Mitglieder im Wertinger Stadtrat.
Ein Stadtrat interessierte sich für den Werdegang des Wertinger Jugendleiters, der als Jugendlicher den Pfadfindern angehörte, die Ausbildung zum Erzieher absolvierte, den Waldkindergarten in Donauwörth leitete und sich ehrenamtlich im Kreisjugendring engagierte. Eine Stadträtin erkundigte sich nach den Arbeitszeiten des Jugendpflegers, die sich nach seiner Auskunft oft auch in den Abend hineinziehen. Die Regelzeit sei von 8.30 bis 18.30 Uhr, mitunter auch bis 22 Uhr.
Manuela Hackenberg (CSU) zeigsenfaktor te sich „schwer beeindruckt“von den Räumlichkeiten des Wertinger Jugendhauses. Sie wollte wissen, ob es sinnvoll sei, als Stadt mit einem Angebot anzufangen, oder ob die Initiative besser aus der Jugend heraus kommen solle. Tobias Kolb: „Es macht keinen Sinn, es der Jugend komplett zu überlassen. Geben Sie als Stadt der Jugend einen Raum. Das können zu Anfang auch 80 Quadratmeter sein mit 20 Arbeitsstunden eines Jugendpflegers. Nehmen Sie das Geld in die Hand – andere Dinge kosten auch Geld.“
Auf die Frage, wann die Jugendarbeit in Wertingen so richtig begonnen habe, erklärte Kolb, selbst ein Bauwagen bedeute schon Jugendarbeit. Jede Räumlichkeit in Wertingen sei zu ihrer Zeit sinnvoll gewesen. Das Wichtige dabei seien die ergänzenden Projekte. Und dann müsse der Träger auch aushalten, dass nicht jeder Jugendliche aktiv dabei sei und dass Erfolg auch nicht unbedingt an Teilnehmerzahlen zu messen sei. Rains Bürgermeister Gerhard Martin (SPD) interessierte sich für die Zusammensetzung der Teilnehmer. Kolb wusste von einem gemischten Publikum zu berichten, sowohl von der ethnischen Herkunft, als auch von der schulischen Bildung.