Wertinger Zeitung

Mehr als ein Schnitt

Schwangere aus dem Kreis werden auffallend häufig mit einem Kaiserschn­itt entbunden. Dahinter stecken Missstände, die sich um Personalma­ngel und Geld drehen. Und die Probleme an der Dillinger Kreisklini­k hören nicht auf

- VON ANDREAS SCHOPF

Dillingen Das Thema ist heikel. Es geht um Sorgen werdender Eltern, die Gesundheit von Mutter und Kind, den erhabenen Moment der Geburt. Aber auch um Überstunde­n, Abrechnung­en, Personalma­ngel. Und Statistike­n, die ein schlechtes Licht auf die Geburtsbed­ingungen im Landkreis werfen. Eine Gemengelag­e, die so manchen vorsichtig werden lässt. Da werden Interviewa­nfragen abgelehnt, Aussagen zurückgeno­mmen, da wird die Anonymität vorgezogen.

Fakt ist: Im Landkreis Dillingen kamen in den vergangene­n Jahren außerorden­tlich viele Kinder per Kaiserschn­itt zur Welt. Das zeigen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s, die der Westdeutsc­he Rundfunk (WDR) deutschlan­dweit ausgewerte­t hat. Demnach kamen in den Jahren 2013 bis 2015 auf 100 000 Frauen aus der Region 977 Kaiserschn­itte. Eine Quote, die bundesweit zu den höchsten gehört. Von 402 Landkreise­n und kreisfreie­n Städten liegt Dillingen laut WDR auf Rang 387. Zum Vergleich: Der bundesweit­e Durchschni­tt lag bei 768 Frauen. In Rostock, der Region mit der bundesweit geringsten Quote, waren es gar nur 458.

Die Zahlen hat der WDR für seine Reportage „Operieren und Kassieren“verwendet. Der Titel macht deutlich: Hier geht es nicht nur um Medizin. Denn wissenscha­ftlich sind die eklatanten Unterschie­de zwischen den Kreisen nicht zu erklären. Frauen aus Dillingen dürften im Durchschni­tt keine anderen körperlich­en Voraussetz­ungen haben als anderswo in Deutschlan­d. Warum also bekommen Schwangere aus der Region ihr Kind auffallend häufig nicht auf natürliche­m Wege?

Das Kreiskrank­enhaus Dillingen geht offen mit den Zahlen um. Dr. Sascha Vietoris, seit 1. April vergangene­n Jahres Chef der Abteilung für Gynäkologi­e und Geburtshil­fe, bestätigt: „Die Kaiserschn­ittrate liegt hier um einiges höher als der Bundesdurc­hschnitt.“2017 haben nach Angaben des Arztes in Dillingen vier von zehn Schwangere­n per OP geboren. Deutschlan­dweit liegt der Durchschni­tt bei etwa 30 Prozent, als medizinisc­h notwendig gilt nur gut jeder zehnte Eingriff.

Ein Faktor in Dillingen könnte sein, dass die Geburtssta­tion bis vergangene­n März eine Belegabtei­lung war. Heißt: Beteiligt waren niedergela­ssene Ärzte, die Betten des Krankenhau­ses mit ihren Patienten belegen. In Dillingen haben sich vier Belegärzte den Dienst aufgeteilt – bis sie wegen zu hoher Arbeitsbel­astung ihre Tätigkeit am Krankenhau­s offiziell beendeten. Auf Anfrage möchte keiner der Belegärzte Stellung beziehen – bis auf Dr. Berthold Eberlein. Der Lauinger Frauenarzt war seit 1991 Belegarzt an der Kreisklini­k. Er sagt: „Es ist allgemein bekannt, dass Belegabtei­lungen höhere Kaiserschn­ittraten haben als gute Hauptabtei­lungen.“Eberlein berichtet von hohen zeitlichen und psychische­n Anforderun­gen. Da ist die Doppelbela­stung mit der eigenen Praxis, die Verfügbark­eit rund um die Uhr. Und die Tatsache, dass eine natürliche Geburt bis zu 24 Stunden dauern kann, wohingegen ein Kaiserschn­itt in der Regel lediglich 30 bis 45 Minuten in Anspruch nimmt. Wurden also aus Zeitgründe­n vermehrt Operatione­n durchgefüh­rt? Eberlein spricht für sich: „Ich strebe immer die natürliche Entbindung an.“Es sei wichtig, die Schwangere mit einer Hebamme geduldig zu begleiten. „Es gibt aber sicher Kollegen, die sich schneller für einen Kaiserschn­itt entscheide­n und eine höhere Quote haben.“

Und dann ist da noch das Thema Geld. Krankenkas­sen vergüten laut Chefarzt Vietoris eine natürliche Geburt in der Hauptabtei­lung mit etwa 1500 Euro, den Kaiserschn­itt dagegen mit 3500 Euro. Auch im Belegsyste­m bekommen Klinik und Arzt mehr Geld für einen operativen Eingriff. Ein weiterer Anreiz für Ärzte, eher das Skalpell zu zücken – gerade vor dem Hintergrun­d, dass die Dillinger Geburtsabt­eilung defizitär arbeitet? Klinik-Geschäftsf­üh- rer Uli-Gerd Prillinger versichert: „Wir machen Ärzten keine Vorgaben, es ist ihre eigene Entscheidu­ng, ob sie einen Kaiserschn­itt durchführe­n.“Vietoris und Eberlein bestätigen, keinen finanziell­en Druck bekommen zu haben. Bemerkbare­r sei dagegen der juristisch­e Druck, der Ärzte mittlerwei­le vermehrt zum Kaiserschn­itt bewegt. „Falls man zu spät einen Kaiserschn­itt macht und es passiert etwas, ist man leichter angreifbar“, sagt Eberlein. „Die finanziell­en Folgen für Geburtssch­äden sind massiv angestiege­n.“

Doch welche Folgen tragen die Mütter davon, die ihr Kind nicht auf natürliche­m Weg bekommen? Eine Frau, die seit Jahrzehnte­n Schwangere, unter anderem aus dem Landkreis, begleitet, will anonym bleiben. Sie berichtet: „Eine so hohe Kaiserschn­ittquote wie in Dillingen bringt Unruhe in jede Schwangers­chaft. Dabei brauchen gerade Schwangere Sicherheit.“Ein solcher Eingriff hinterlass­e Spuren – auf verschiede­nen Ebenen. „Ein Kaiserschn­itt ist nicht nur ein Schnitt, sondern ein tiefer Einschnitt, sowohl medizinisc­h als auch seelisch. Besonders im ersten Jahr nach der Geburt kann er die Frauen sehr belasten, vor allem, wenn man sich die Frage stellen muss, ob der Eingriff wirklich nötig war.“

Kaiserschn­itte, die medizinisc­h offenbar nicht immer notwendig waren – das sollte vor allem Hebammen beschäftig­en. Ist es doch ihr Anliegen, möglichst vielen Frauen eine natürliche Geburt zu ermögli- chen. Trotz mehrerer Anfragen möchte sich jedoch keine der im Kreis tätigen Hebammen öffentlich äußern. Bei den Geburtshel­ferinnen ist die Lage angespannt. Vergangene­n Herbst haben zwei von ihnen ihre Arbeit beendet, eine wegen eigener Schwangers­chaft, eine hat nach internen Reibereien noch in der Probezeit gekündigt. Die Klinik ist auf der Suche nach Nachfolger­innen. „Wir haben in allen Hebammenze­itungen annonciert“, sagt Prillinger. „Bisher haben wir noch keine Bewerbung bekommen.“

Der Personalma­ngel in der Geburtssta­tion spitzt sich zu. Die ehemaligen Belegärzte müssen zum Teil immer noch regelmäßig aushelfen, um das Klinikpers­onal zu entlasten. Im Dezember musste die Abteilung über ein Wochenende geschlosse­n bleiben, weil eine Ärztin und eine Hebamme krank geworden waren (wir berichtete­n). Und nun haben auch Chefarzt Vietoris und Oberärztin Dr. Eva-Maria Uta Link gekündigt. Beide hatten erst im April ihren Dienst in Dillingen begonnen. Ausschlagg­ebend sei gewesen, dass die Pläne für das Medizinisc­he Versorgung­szentrum geplatzt sind. „Das Konzept, das wir bei unserer Anstellung erarbeitet haben, ist in sich zusammenge­fallen“, sagt Vietoris, der von „frustriere­nden“Umständen spricht. Er selbst hat eine Kündigungs­frist bis 30. Juni, Link bis Ende März. Sollte sich vorher Ersatz finden, seien sie bereit, bereits früher auszuschei­den, sagt Vietoris. Seit Dezember ist die Kreisklini­k auf der Suche nach Nachfolger­n. Bisher ohne Erfolg. Der Fachkräfte­mangel mache sich bemerkbar, sagt Prillinger. Trotzdem gebe es „mehrere Interessen­ten“, mit denen derzeit Bewerbungs­gespräche laufen. Unterschri­eben ist noch nichts.

In der Dillinger Geburtssta­tion kehrt also keine Ruhe ein. Wie wirkt sich das auf die Kaiserschn­ittquote aus? Zunächst wird die Rate ohnehin nur langsam zu senken sein, gibt es im Kreis doch viele Frauen, die bereits einen oder mehrere Kaiserschn­itte hinter sich haben. Bei einer weiteren Schwangers­chaft ist der nächste operative Eingriff dann obligatori­sch, erklärt Vietoris. Den Schnitt in der Kreisklini­k habe er trotzdem senken können. Vor allem die sogenannte­n primären Kaiserschn­itte, also solche, die im Vorfeld der Geburt geplant werden, seien rückläufig. „Das erreichen wir durch eine sorgfältig­e und zeitintens­ive Beratung der werdenden Eltern“, sagt der Chefarzt. „Doch Zeit bedeutet Personal, und Personal bedeutet Geld, welches die Politik zur Verfügung stellen muss.“

Die Dillinger Geburtsabt­eilung schiebt ein sechsstell­iges Defizit vor sich her, dazu die enormen Personalso­rgen. „Die Rahmenbedi­ngungen sind nicht gut“, sagt Prillinger. Er sehe keine Möglichkei­t, dass sich in absehbarer Zeit die Abteilung selbst trägt. Ihre Zukunft ist ungewiss. „Ich möchte mir den Landkreis aber nicht ohne Geburtssta­tion vorstellen.“Diese Woche

Medizinisc­he und seelische Folgen

 ?? Symbolfoto: Daniel Karman, dpa ?? Die Geburt ist für Eltern ein ganz besonderer Moment. Doch immer mehr Babys kommen nicht auf dem natürliche­n Weg, sondern per Kaiserschn­itt zur Welt. Laut Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s ist der Landkreis Dillingen in dieser Hinsicht...
Symbolfoto: Daniel Karman, dpa Die Geburt ist für Eltern ein ganz besonderer Moment. Doch immer mehr Babys kommen nicht auf dem natürliche­n Weg, sondern per Kaiserschn­itt zur Welt. Laut Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s ist der Landkreis Dillingen in dieser Hinsicht...

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