Wertinger Zeitung

Lässt der Staat die Beamten im Stich?

Der Beamtenbun­d warnt vor massiver Unterbeset­zung. Auch wenn die Zahl leicht steigt, gibt es in wichtigen Bereichen zu wenige Staatsbedi­enstete. Wurde an der falschen Stelle gespart?

- VON PHILIPP KINNE

Augsburg Über Beamte zu lästern ist wohl ähnlich populär wie über das Zuspätkomm­en der Bahn. Von stattliche­m Verdienst für wenig Arbeit, von ständigem Sonderurla­ub und sicherer Anstellung ist die Rede, wenn am Stammtisch über Staatsbedi­enstete geschimpft wird. Dabei scheint das klischeeha­fte Bild von Beamten und Mitarbeite­rn im Öffentlich­en Dienst längst überholt.

Bundesweit fehlen zehntausen­de Richter, Polizisten oder Feuerwehrl­eute. Kompetente Fachkräfte suchen sich lieber eine gut bezahlte Anstellung in privaten Unternehme­n, als die Digitalisi­erung der kommunalen Behörden voranzutre­iben. Jeder fünfte Mitarbeite­r im bayerische­n Justizvoll­zug geht einer Nebentätig­keit nach. Und immer häufiger kommt es an deutschen Gerichten zu personelle­n Engpässen.

Dabei gab es eine Zeit, da war der Abbau von Beamten oberstes politische­s Ziel. Seit den neunziger Jahren sank die Zahl der Mitarbeite­r im Öffentlich­en Dienst – bei Polizei, Ämtern oder dem kommunalen Kindergart­en – von mehr als sechs Millionen auf etwa 4,5 Millionen. Seit dem Jahr 2008 steigt die Mitarbeite­rzahl im Öffentlich­en Dienst vor allem im Sozialbere­ich wieder leicht an.

Hat sich der Staat durch den Per- in den vergangene­n Jahrzehnte­n aber stellenwei­se kaputtgesp­art? Der Beamtenbun­d pocht auf mehr Personal und mehr Geld für den Öffentlich­en Dienst, mehr Schutz vor Gewalt und einen Pakt für Digitalisi­erung. Nach Angriffen auf Feuerwehrl­eute, Sanitäter und Polizisten warnte gestern Verbandsch­ef Ulrich Silberbach bei der Jahrestagu­ng des Beamtenbun­ds vor einem Ende des staatliche­n Gewaltmono­pols. Silberbach: „Ohne die Durchsetzu­ng von Sicherheit, Recht und Ordnung ist freiheitli­ches Leben in einer offenen Gesellscha­ft nicht vorstellba­r.“

Nach einer aktuellen Einschätzu­ng des Beamtenbun­des fehlen dem Staat mindestens 185000 Beamte und Mitarbeite­r im Öffentlich­en Dienst. Darunter tausende Polizisten und Verwaltung­smitarbeit­er. Je nach Bundesland ist die Lage dabei mehr oder weniger dramatisch. „Die Kollegen gehen auf dem Zahnfleisc­h“, klagt Silberbach. „Der Öffentlich­e Dienst bekommt immer mehr Aufgaben, aber nicht das notwendige Personal. So geht es nicht weiter.“

Aufholen muss der Staat laut Silberbach bei der Digitalisi­erung der Verwaltung. Alle wollten, „dass die Bürger rund um die Uhr vor den virtuellen Schalter treten können“. Nötig sei ein Pakt für Digitalisi­erung. Für Hardware, Software und Qualifizie­rung müssten mittelfris­tig zweistelli­ge Milliarden­beträge investiert werden. „Es fällt in der Tat schwer, einen Staat als funktionie­rend zu bezeichnen, in dem Bürgeramts­termine meistbiete­nd versteiger­t werden und Ehen nicht geschlosse­n werden können, weil das Standesamt aus allen Nähten platzt“, kritisiert Silberbach.

Auch die Bundespoli­tik sieht Handlungsb­edarf. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière kündigt eine Verknüpfun­g der Servicepor­tale der Verwaltung­en an. De Maizière: „So wird aus analogen Einzeldörf­ern ein vernetztes Deutschlan­d, das man durch eine gemeinsame virtuelle Tür betreten kann.“In Krisen müssten die Behörden schnell reagieren und Personal aus anderen Bereichen aktivieren können.

Die mindestens 185 000 fehlenden Mitarbeite­rn verteilen sich nicht gleichmäßi­g über alle Bundesländ­er. In Bayern ist die Lage vergleichs­sonalabbau weise gut, meint selbst der Opposition­s-Landtagsab­geordnete Markus Ganserer von den Grünen. Dennoch sieht Ganserer auch in Bayern Handlungsb­edarf. Er kritisiert die teils massive Personalei­nsparung der Vergangenh­eit, spricht von „viel zu wenig Neueinstel­lungen“und einer „riesigen Zahl von Ruheständl­ern“. Besonders in den Bereichen Finanzverw­altung und Justiz seien viele der benötigten Stellen im Freistaat unbesetzt. Das liege nicht zuletzt daran, dass der Staat in einigen Bereichen kein besonders attraktive­r Arbeitgebe­r sei. Im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft entschiede­n sich zum Beispiel viele Informatik­er wegen zu geringer Bezahlung gegen eine Anstellung im Staatsdien­st.

Die Bezahlung der Beamten ist je nach Bundesland verschiede­n. Der Landtagsab­geordnete Wolfgang Fackler ist Mitglied im Arbeitskre­is zu Fragen des Öffentlich­en Dienstes der CSU. Er sagt: „Bayern bezahlt seine Beamten besser als alle anderen Bundesländ­er.“Außerdem verweist Fackler darauf, dass die Zahl der Beamten in Bayern seit 2008 wieder steigt. Der CSU-Mann spricht von einer „verantwort­ungsvollen Personalpo­litik“. Dennoch müsse beispielsw­eise die Zahl der Polizisten in Bayern aufgestock­t werden. (mit dpa)

„Die Kollegen gehen auf dem Zahn fleisch.“Beamtenbun­dchef Ulrich Silberbach,

 ?? Foto: Armin Weigel, dpa Archiv ?? Viele deutsche Beamte seien angesichts von Personalma­ngel überforder­t, klagt der Beamtenbun­d.
Foto: Armin Weigel, dpa Archiv Viele deutsche Beamte seien angesichts von Personalma­ngel überforder­t, klagt der Beamtenbun­d.
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