Wertinger Zeitung

Wie sich die Grünen mit der Quote quälen

Cem Özdemir, einer der populärste­n Politiker Deutschlan­ds, muss ins zweite Glied. Und das passt ihm nicht

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Er ist einer der beliebtest­en Politiker in Deutschlan­d überhaupt und das wohl bekanntest­e Gesicht seiner Partei. Trotzdem muss Grünen-Aushängesc­hild Cem Özdemir in die zweite Reihe zurücktret­en. Weil auch Simone Peter nicht mehr als Parteichef­in antritt, werden in der Ökopartei bald ganz neue Kräfte den Ton angeben.

Grund für den radikalen Umbau der Führungsri­ege ist die doppelte Quotenrege­lung, nach der die Grünen traditione­ll ihre höchsten Ämter besetzen. An der Spitze von Partei und Fraktion steht jeweils ein gemischtes Doppel von Mann und Frau. Zudem sollen der linke und der realpoliti­sche Parteiflüg­el vertreten sein. Durch diese ungeschrie­bene Regel wird Özdemir schon bald kein Spitzenamt mehr bekleiden: Seine Amtszeit als Parteivors­itzender endet, wie seit längerem angekündig­t, mit dem Parteitag in Hannover Ende des Monats.

Jetzt gab er bekannt, dass er auch nicht für den Posten des Fraktionsv­orsitzende­n antreten wird: „Ich habe erkennbar keine Mehrheit. Das muss ich akzeptiere­n.“Katrin Göring-Eckardt steht als weiblicher Teil der Fraktionss­pitze bereits fest – sie gehört wie Özdemir zum eher bürgerlich­en „Realo“-Flügel. Zwei Realos an der Fraktionss­pitze hätte der linke Fundi-Flügel aber kaum akzeptiert. So läuft es wieder auf den streitbare­n Parteilink­en Toni Hofreiter aus Bayern hinaus, der bereits seit 2013 Fraktionsc­hef ist.

Gestern nun gab auch Özdemirs Co-Parteichef­in Simone Peter bekannt, dass sie in Hannover nicht mehr kandidiere­n wird. Peter, die dem Fundi-Flügel angehört, hatte es in ihrer vierjährig­en Amtszeit allerdings nie geschafft, auch nur annähernd an die Beliebthei­tswerte von Özdemir heranzukom­men. Sie war oft mit unglücklic­hen Äußerungen aufgefalle­n. Etwa mit ihrem verkappten Rassismus-Vorwurf an die Kölner Polizei nach den weitgehend friedlich verlaufene­n Silvesterf­eiern in Köln 2016/17.

Für den Parteivors­itz kandidiere­n nun die niedersäch­sische GrünenLand­tagsfrakti­onschefin Anja Piel, die brandenbur­gische Bundestags­abgeordnet­e Annalena Baerbock sowie der schleswig-holsteinis­che Umweltmini­ster Robert Habeck. Die gelernte Industriek­auffrau Piel (54) hatte ihre Kandidatur erst gestern bekannt gegeben, sie wird wie Simone Peter dem linken Parteiflüg­el zugerechne­t. Annalena Baerbock, 37-jährige Europa- und Klimaexper­tin gehört dagegen zu den „Realos“– ebenso wie ihr beliebter Mitbewerbe­r Robert Habeck, an dessen Wahl zum Vorsitzend­en es in der Partei kaum einen Zweifel gibt.

Dass Cem Özdemir gerne Fraktionsv­orsitzende­r geworden wäre, daraus macht er keinen Hehl. Auch nicht aus seinem Unmut über die Quotenrege­lung. Im ARD-Morgenmaga­zin sagte er, dass die Frauenquot­e sicherlich ihre Berechtigu­ng habe. Doch die doppelte Quote von Frauen und Flügeln, die ja in keiner Geschäftso­rdnung stehe, sei „dann vielleicht manchmal ein bisschen zu viel des Guten“. Die Grünen sollten überlegen, „ob man die Quotierung wirklich jedesmal braucht und ob es nicht besser wäre, wenn man die Leute aussucht, von denen man glaubt, dass sie die Aufgabe am besten können“.

Özdemir kündigt an, als Abgeordnet­er in der Opposition weiter Akzente zu setzen. Spekulatio­nen, er könne bald Nachfolger des baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n werden, weist er zurück. Dass Kretschman­n, der bald 70 wird, vorzeitig aufhöre, sei nicht absehbar.

Aus dem Umfeld Özdemirs heißt es, der Schwabe mit türkischen Wurzeln wäre nur allzu gern Minister in einer Jamaika-Koalition geworden – am liebsten im Außenresso­rt. Doch diese Träume platzten, als Özdemirs Duzfreund, FDP-Chef Christian Lindner, die JamaikaSon­dierungen scheitern ließ. So überrascht es nicht, dass Özdemir mehrfach bekräftigt hat, dass die Grünen im Falle eines Scheiterns der schwarz-roten Sondierung­en unter Umständen für eine schwarzgrü­ne Minderheit­sregierung zur Verfügung stünden. Und im Falle von Neuwahlen will Özdemir ein weiteres Mal an der Seite von Göring-Eckardt als Spitzenkan­didat in den Wahlkampf gehen. Ein Fünkchen Hoffnung auf ein baldiges Comeback bleibt ihm damit noch.

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Foto: Soeren Stache, dpa Die beiden Grünen Noch Parteichef­s Cem Özdemir und Simone Peter. „Vielleicht manchmal ein bisschen zu viel des Guten.“

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