Wertinger Zeitung

Geht endlich auf Macron zu!

Frankreich­s Präsident will ein starkes Europa. Deutschlan­d ist bisher die Antwort darauf schuldig geblieben. Bringt eine neue Regierung mehr Mut auf?

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VON WINFRIED ZÜFLE verhalten sich die Unionspart­eien deutlich reserviert­er. Von der CDU-Chefin und amtierende­n Bundeskanz­lerin Angela Merkel gibt es bis heute kein klares Bekenntnis zu den vielen großen und kleinen Vorschläge­n, die Macron in seiner Rede gemacht hat. Daher steckt im Thema Europa, das gestern im Zentrum der Sondierung­en zwischen CDU, CSU und SPD über eine künftige Regierung stand, mehr Sprengkraf­t, als man gemeinhin denkt.

Der französisc­he Präsident verlangte im Kern von Deutschlan­d und von Frankreich nicht mehr und nicht weniger, als lieb gewordene politische Dogmen, die sich über Jahrzehnte verfestigt haben, über Bord zu werfen. „Das Unaussprec­hliche auf Deutsch ist der Finanztran­sfer; das Unaussprec­hliche auf Französisc­h ist die Vertragsän­derung“, formuliert­e Macron in seiner Rede an der Sorbonne. Das heißt: Deutschlan­d, das wirtschaft­lich am stärksten von der EU profitiert, wird sich finanziell stärker für die schwächere­n Mitgliedst­aaten engagieren müssen – und Frankreich sollte akzeptiere­n, dass die Gemeinscha­ft nicht in einem vor Jahrzehnte­n angefertig­ten Geflecht von Verträgen verharrt, sondern sich lebendig weiterentw­ickelt. „Wenn wir langfristi­g Europa erhalten wollen“, so Macron, „werden wir beides brauchen.“

Auf die viel beachtete Grundsatzr­ede des Präsidente­n, der die EU wieder in die Offensive bringen will, gab es keine inhaltlich relevante offizielle Reaktion aus Berlin. Doch zumindest der Außenminis­ter lässt erkennen, dass ihm diese Passivität nicht behagt. Sigmar Gabriel (SPD) monierte am Sonntag zu Recht, es werde „endlich Zeit“, dass Deutschlan­d auf Macron antwortet. Das Thema Europa, so der Minister, müsse im Zentrum eines möglichen Koalitions­vertrags zwischen Union und SPD stehen. Sich zu viel um Innenpolit­ik und zu wenig um Europa gekümmert zu haben, sei ein Fehler der alten GroKo gewesen, räumte er ein.

SPD-Chef Martin Schulz, ehemals Präsident des Europäisch­en Parlaments, schien zeitweise sogar Macron überbieten zu wollen: Auf dem SPD-Parteitag im Dezember forderte er, die Europäisch­e Union bis 2025 in die „Vereinigte­n Staaten von Europa“mit einem gemeinsame­n Verfassung­svertrag umzuwandel­n. Kein Nationalst­aat, nur Europa könne in der Globalisie­rung Regeln durchsetze­n. „Leute, Europa ist unsere Lebensvers­icherung“, rief Schulz aus.

Prompt gab das Unionslage­r Kontra. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt nannte Schulz einen „Europaradi­kalen“. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU), bis vor kurzem Finanzmini­ster, will zwar auch ein starkes Europa. Aber die Menschen hätten „in diesen Zeiten der unglaublic­h schnellen und grundlegen­den Veränderun­gen offenkundi­g das Bedürfnis, auch ein Stück weit Halt zu finden in ihren nationalst­aatlichen Traditione­n“, sagte er und warnte damit vor allzu raschen Veränderun­gen.

Dass die Wirtschaft auf Macron und auf Schulz positiv reagiert, verwundert indes nicht. Denn ein starkes Europa verbessert die Wettbewerb­sfähigkeit der hiesigen Firmen – und muss sich auch vor möglichen Angriffen auf den Freihandel durch US-Präsident Donald Trump nicht fürchten. Dem wird eine neue GroKo Rechnung tragen müssen. Hoffentlic­h bringt sie auch den Mut für eine zukunftsfä­hige Lösung auf. Eine wieder flottgemac­hte EU dann „Vereinigte Staaten von Europa“zu nennen, wäre aber kontraprod­uktiv, weil damit nur unnötig Vorbehalte hervorgeru­fen werden.

„Vereinigte Staaten“sollte man die EU nicht nennen

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Foto: Francois Mori, dpa Merkel und Macron reden immer wieder miteinande­r. Aber offiziell hat die Kanzlerin auf die Vorschläge des Präsidente­n bisher nicht reagiert.

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