Wertinger Zeitung

Ein Hoch auf den Probetag

- VON ANJA FÖRSTER rat@augsburger allgemeine.de

Ein Freund von mir hat ein Grundstück gekauft, um ein Haus darauf zu bauen. Und was hat er als Nächstes getan? Einen Architekte­n beauftragt? Falsch geraten. Er hat sich einen Wohnwagen organisier­t und den auf das Grundstück gestellt. Dann hat er dort zwei Wochen lang gewohnt.

Alle, die ihn kennen, waren etwas besorgt. Denn das ist ganz schön schräg oder zumindest unkonventi­onell. Aber mein Freund hat ganz schön clever gehandelt: Denn nach den zwei Wochen wusste er alles über sein Grundstück. Wo genau die Sonne aufgeht, wo Bäume Schatten werfen, wo ein idealer Platz für die Terrasse wäre, kurz: Er hat ein Gefühl für sein Grundstück entwickelt. Und nun kann er dem Architekt genau sagen, was er will.

Wie klug wäre es, wenn Sie genau so wie mein testender Freund auch beim neuen Job vorgehen würden? Nicht nur eine Stunde hingehen, Bewerbungs­gespräche führen oder an einem Assessment Center teilnehmen und dann entscheide­n, beziehungs­weise auf die Entscheidu­ng des Unternehme­ns warten. Sondern – im übertragen­en Sinne – für mindestens einen ganzen Tag in den Wohnwagen ziehen. Also: Vor Ort sein, mitmachen. So nah wie möglich rangehen an die Arbeit und den echten Arbeitsall­tag spüren, wie es wirklich ist.

Sich alleine auf Vorstellun­gsgespräch­e zu verlassen, ist nicht sehr klug. Das sagen auch zunehmend Stimmen aus der Wissenscha­ft. Einer der meistdisku­tierten Artikel auf der Website der New York Times war zuletzt „Die vollkommen­e Nutzlosigk­eit von Jobintervi­ews“von Jason Dana, einer Professori­n an der US-Eliteunive­rsität Yale. Sie sagt: „Die Interviewe­r formen meist starke, aber ungerechtf­ertigte Eindrücke über den Bewerber, die im Prinzip mehr über sie selbst aussagen als über den Bewerber.“

Und tatsächlic­h verabschie­den sich immer mehr Unternehme­n vom klassische­n Bewerbungs­gespräch. Ein befreundet­er Unternehme­r beispielsw­eise lässt aussichtsr­eiche Bewerber generell einen Tag zum Probearbei­ten kommen – obwohl so ein Probetag ganz schön teuer ist, denn er kostet vor allem die Mitarbeite­r viel Zeit. Aber er zeigt eben auch beiden Seiten, ob es passt.

Also: Sie bewerben sich? Bestehen Sie auf einen Probearbei­tstag! Sie suchen Verstärkun­g für Ihr Team? Bestehen Sie auf einen Probearbei­tstag der besten Bewerber!

 ??  ?? Anja Förster ist Unterneh merin, Vortragsre­dnerin und Autorin. Ihr neues Buch heißt „Zündfunken für Andersdenk­er“.
Anja Förster ist Unterneh merin, Vortragsre­dnerin und Autorin. Ihr neues Buch heißt „Zündfunken für Andersdenk­er“.

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