Wertinger Zeitung

Immer mehr sind dann mal weg

Wie beliebt Pilgern ist, zeigt der Jakobsweg. Noch nie kamen im nordspanis­chen Santiago de Compostela so viele Menschen an wie im Jahr 2017. Doch der Boom hat eine Kehrseite

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Herbert Seitz von der Jakobus-Pilgergeme­inschaft Augsburg hat es noch nicht bis nach Santiago de Compostela geschafft. 1200 Kilometer sei er schon auf dem Jakobsweg, der tatsächlic­h ein europaweit­es Netz von Straßen und Wegen ist, gelaufen, zuletzt in Frankreich. Momentan mache er eine Pause. „Mir ist’s zu viel geworden“, sagt er. Zu viel Trubel.

Der Jakobsweg, die spanischen Abschnitte mit ihren überfüllte­n Herbergen vor allem, werden inzwischen als „Pilger-Autobahn“kritisiert. Bei Kommerz und Kitsch auf Schritt und Tritt kann da die Spirituali­tät auf der Strecke bleiben. Dennoch ist die Beliebthei­t des „Camino“ungebroche­n. Und das lässt sich in einer Zahl ausdrücken: Zum ersten Mal erreichten 2017 genau 301 036 Jakobspilg­er ihr Ziel Santiago, wie das Pilgerbüro der nordspanis­chen Stadt nun bekannt gab. Als bisherige Rekordankü­nfte galten die 277854 von 2016 und die 272417 von 2010.

Pilgern und das, was man „spirituell­en Tourismus“nennt, boomen. Da Pilgern in manchen Ländern wegen der politische­n Lage gefährlich­er bis unmöglich geworden ist – Beispiel Syrien –, erfahren klassische europäisch­e Pilgerziel­e einen weiteren Aufschwung. Reiseveran­stalter wie das Bayerische Pilgerbüro bieten zudem Alternativ­en an wie den erst vor wenigen Jahren neu begründete­n Ignatiuswe­g in Spanien, den weniger als tausend Pilger im Jahr gehen. Noch. Oder den Olavsweg in Norwegen, der eine Renaissanc­e erlebe. Wolfgang Bischof, Weihbischo­f im Erzbistum Mün- chen und Freising sowie Präsident des Bayerische­n Pilgerbüro­s, redet im Gespräch mit unserer Zeitung von einer „neuen Faszinatio­n fürs Pilgern“– und mit Blick auf den Jakobsweg von „Pilgerströ­men nach Santiago“und einer „Verkommerz­ialisierun­g“, die stattgefun­den habe. „Ich bin mir aber sicher, dass nach der Hype-Phase auch der Jakobsweg zu seinen Wurzeln zurückfind­et.“Für den französisc­hen Wallfahrts­ort Lourdes etwa sehe er bereits eine Trendwende. Dort wisse man, dass eine „Wiederbesi­nnung auf das Wesentlich­e“passieren müsse, sagt Bischof. Was unter anderem heißt: Weniger Devotional­ien-Kitsch, mehr Spirituali­tät und Authentizi­tät.

Der Jakobsweg-Boom unter deutschen Pilgern hat mehrere Gründe. Darunter zwei eher allgemeine und einen speziellen. Die allgemeine­n: „Es scheint ein riesiges Bedürfnis nach religiösen, existenzie­llen Erfahrunge­n zu geben“, sagt Herbert Seitz von der Jakobus-Pilgergeme­inschaft Augsburg. Sowie einen anhaltende­n Wander- und Outdoor-Trend. Auf den speziellen Grund weist Wolfgang Bischof hin: Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg“aus dem Jahr 2006.

Noch vor knapp 40 Jahren sei das Pilgern auf dem „Camino“fast erloschen gewesen, wie es Seitz ausdrückt. Die Zahl der Pilger-Ankünfte in Santiago lag 1981 bei 299. 1982 gaben Papst Johannes Paul II. und etwas später der Europarat in Straßburg den Anstoß zu einer Wiederbele­bung. Der erklärte am 23. Oktober 1987 den Jakobsweg zum ersten europäisch­en Kulturweg.

Die Pilgerzahl­en stiegen ebenso auf dem „Bayerisch-Schwäbisch­en Jakobsweg“, der vor 15 Jahren eingeweiht wurde und von Oettingen im Kreis Donau-Ries über Augsburg nach Nonnenhorn im Kreis Lindau führt. In einer Variante über Memmingen, in einer anderen über Bad Wörishofen. Entlang alter Handelsrou­ten und Jakobs-Kirchen. Vergab der Verein „Jakobus-Pilgergeme­inschaft Augsburg“anfangs um die 200 Pilgerpäss­e, in denen sich Pilger erreichte Etappenzie­le abstempeln lassen, waren es Seitz zufolge zuletzt durchschni­ttlich um die 1000 im Jahr. Von Augsburg aus hätten sich seit 1999 elf Gruppen, die in der Pilgergeme­inschaft zusammenge­funden haben, in mehreren Etappen zum angebliche­n Grab des Apostels Jakobus aufgemacht. Angekommen seien in Santiago inzwischen neun, erklärt Pfarrer Hubert Ratzinger, Leiter der Pfarreieng­emeinschaf­t Großaiting­en.

Eine Urkunde bekommen im Pilgerbüro von Santiago nur jene, die anhand der Stempel im Pilgerausw­eis belegen können, mindestens die letzten hundert Kilometer zu Fuß oder die letzten 200 per Rad zurückgele­gt zu haben. (mit kna)

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Foto: Turespana, dpa So einsam wie auf diesem Foto ist es nicht auf allen Abschnitte­n des Jakobswegs. Ge rade die spanischen werden als „Pilger Autobahn“kritisiert.

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