Verhängnisvolle Nacht in der Asylunterkunft
Eine Gruppe Flüchtlinge aus Dillingen betrinkt sich aus Frust. Dann wird einer von ihnen übergriffig und vergeht sich an einem jungen Mann. Jetzt stand der Afghane wegen Vergewaltigung vor Gericht
Dillingen/Augsburg Der junge Mann kann so gut wie kein Deutsch. Aber geht es um die Beschreibung seines Gesundheitszustandes, gibt er sich große Mühe, in der Sprache seines neuen Heimatlandes zu sprechen – ohne, dass der Übersetzer nachhelfen muss. „Ich war kaputt“, sagt er. Er habe Depressionen gehabt, musste Pillen nehmen, trank auf einmal große Mengen Alkohol und konnte nachts nicht mehr durchschlafen. Geholfen habe ihm niemand. „Es war sehr schwer“, fasst er zusammen.
Das alles habe zu dem geführt, weshalb er an diesem Montagmorgen als Angeklagter vor dem Amtsgericht Augsburg sitzt. Der 19-jährige Afghane soll im Sommer vergangenen Jahres den Mitbewohner einer Dillinger Asylunterkunft vergewaltigt haben. An jenem Juli- abend saßen mehrere Flüchtlinge zusammen und tranken laut Zeugenaussagen große Mengen Alkohol – offenbar aus Frust über ihre momentane Lebenssituation. Mit dabei waren der Angeklagte sowie ein damals 17-Jähriger. Beide sind afghanische Staatsbürger, beide kamen als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland. Die ähnlichen Lebenswege schweißten sie zusammen, die beiden Männer waren gut befreundet. Deshalb war es auch selbstverständlich, dass der Angeklagte den 17-Jährigen aufs Zimmer brachte, als dieser aufgrund des Alkohols nicht mehr selbst dazu imstande war. Er musste sich übergeben und konnte nicht mehr laufen und sprechen. Der 19-Jährige legte ihn zusammen mit anderen Helfern ins Bett und schickte die Begleiter dann weg. Er werde sich selbst um ihn kümmern, soll er gesagt haben. Als die beiden alleine waren, fing der Mann laut Anklage an, den Betrunkenen an Schultern und Rücken zu massieren. Dann zog er ihm die Hose herunter und steckte seinen Finger mehrfach in dessen After. Das Opfer konnte sich in seinem Zustand zunächst kaum wehren. Auch nicht, als ihn der Mann auf den Bauch drehte und missbrauchte. Erst nach mehreren Minuten ließ der 19-Jährige von seinem Freund ab. Der Geschädigte hatte trotz starker Alkoholisierung seine Lage erkannt und die Beine zusammengepresst.
Vor Gericht betonte der Angeklagte, in welch schwerer Lage er sich befand. In Afghanistan geboren, war er mit seiner Familie in den Iran geflüchtet, ohne Angehörige ging es für ihn weiter nach Deutschland. Hier tut er sich bislang schwer, Anschluss zu finden, was unter anderem an seinen fehlenden Deutschkenntnissen liegt. Die Vorwürfe aus jener Nacht gestand er vollumfänglich. Dadurch ersparte er dem mittlerweile 18-jährigen Opfer eine Aussage. Für das Schöffengericht ein großer Pluspunkt. „Gerade für junge Männer aus Afghanistan sind homosexuelle Handlungen mit einem ganz starken Makel behaftet“, sagte Richterin Angela Reuber. „Es fällt ihnen besonders schwer, überhaupt davon zu erzählen.“Auch Staatsanwältin Kathrin Schmid wertete das Geständnis als Pluspunkt – auch wenn das an der Tat nichts ändert. „Sie haben mehrfach versucht, in das Opfer einzudringen“, sagte Schmid. Und, für sie noch schwerwiegender: „Sie haben das Vertrauen und die alkoholisierte Lage Ihres Freundes ausgenutzt.“Den haben die Erlebnisse offenbar nachhaltig verstört. Laut der Aussage eines Polizeibeamten musste sich der junge Mann in psychiatrische Behandlung begeben. Trotzdem plädierte Schmid auf eine Bewährungsstrafe. Zum einen, weil der Angeklagte keine Vorstrafen hat. Zum anderen, weil er seit Juli in der Justizvollzugsanstalt Neuburg-Herrenwörth in U-Haft sitzt. „Er hatte schon einen Hafteindruck.“Aufgrund der Lebensumstände seien Reifeverzögerungen nicht auszuschließen, weshalb nach dem Jugendstrafrecht zu urteilen sei, so die Staatsanwältin.
Dem schloss sich das Schöffengericht an. Es verurteilte den 19-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten. „Das Geständnis hat ihnen eineinhalb Jahre erspart“, sagte Richterin Reuber. Erst kürzlich habe sie einen ähnlichen Fall verhandelt, bei dem es ebenfalls um die Vergewaltigung eines afghanischen Flüchtlings ging. Weil der Angeklagte nicht geständig war, musste das Opfer trotz großer Scham aussagen. Strafmaß hier: Über drei Jahre.