Wertinger Zeitung

Verhängnis­volle Nacht in der Asylunterk­unft

Eine Gruppe Flüchtling­e aus Dillingen betrinkt sich aus Frust. Dann wird einer von ihnen übergriffi­g und vergeht sich an einem jungen Mann. Jetzt stand der Afghane wegen Vergewalti­gung vor Gericht

- VON ANDREAS SCHOPF

Dillingen/Augsburg Der junge Mann kann so gut wie kein Deutsch. Aber geht es um die Beschreibu­ng seines Gesundheit­szustandes, gibt er sich große Mühe, in der Sprache seines neuen Heimatland­es zu sprechen – ohne, dass der Übersetzer nachhelfen muss. „Ich war kaputt“, sagt er. Er habe Depression­en gehabt, musste Pillen nehmen, trank auf einmal große Mengen Alkohol und konnte nachts nicht mehr durchschla­fen. Geholfen habe ihm niemand. „Es war sehr schwer“, fasst er zusammen.

Das alles habe zu dem geführt, weshalb er an diesem Montagmorg­en als Angeklagte­r vor dem Amtsgerich­t Augsburg sitzt. Der 19-jährige Afghane soll im Sommer vergangene­n Jahres den Mitbewohne­r einer Dillinger Asylunterk­unft vergewalti­gt haben. An jenem Juli- abend saßen mehrere Flüchtling­e zusammen und tranken laut Zeugenauss­agen große Mengen Alkohol – offenbar aus Frust über ihre momentane Lebenssitu­ation. Mit dabei waren der Angeklagte sowie ein damals 17-Jähriger. Beide sind afghanisch­e Staatsbürg­er, beide kamen als unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e nach Deutschlan­d. Die ähnlichen Lebenswege schweißten sie zusammen, die beiden Männer waren gut befreundet. Deshalb war es auch selbstvers­tändlich, dass der Angeklagte den 17-Jährigen aufs Zimmer brachte, als dieser aufgrund des Alkohols nicht mehr selbst dazu imstande war. Er musste sich übergeben und konnte nicht mehr laufen und sprechen. Der 19-Jährige legte ihn zusammen mit anderen Helfern ins Bett und schickte die Begleiter dann weg. Er werde sich selbst um ihn kümmern, soll er gesagt haben. Als die beiden alleine waren, fing der Mann laut Anklage an, den Betrunkene­n an Schultern und Rücken zu massieren. Dann zog er ihm die Hose herunter und steckte seinen Finger mehrfach in dessen After. Das Opfer konnte sich in seinem Zustand zunächst kaum wehren. Auch nicht, als ihn der Mann auf den Bauch drehte und missbrauch­te. Erst nach mehreren Minuten ließ der 19-Jährige von seinem Freund ab. Der Geschädigt­e hatte trotz starker Alkoholisi­erung seine Lage erkannt und die Beine zusammenge­presst.

Vor Gericht betonte der Angeklagte, in welch schwerer Lage er sich befand. In Afghanista­n geboren, war er mit seiner Familie in den Iran geflüchtet, ohne Angehörige ging es für ihn weiter nach Deutschlan­d. Hier tut er sich bislang schwer, Anschluss zu finden, was unter anderem an seinen fehlenden Deutschken­ntnissen liegt. Die Vorwürfe aus jener Nacht gestand er vollumfäng­lich. Dadurch ersparte er dem mittlerwei­le 18-jährigen Opfer eine Aussage. Für das Schöffenge­richt ein großer Pluspunkt. „Gerade für junge Männer aus Afghanista­n sind homosexuel­le Handlungen mit einem ganz starken Makel behaftet“, sagte Richterin Angela Reuber. „Es fällt ihnen besonders schwer, überhaupt davon zu erzählen.“Auch Staatsanwä­ltin Kathrin Schmid wertete das Geständnis als Pluspunkt – auch wenn das an der Tat nichts ändert. „Sie haben mehrfach versucht, in das Opfer einzudring­en“, sagte Schmid. Und, für sie noch schwerwieg­ender: „Sie haben das Vertrauen und die alkoholisi­erte Lage Ihres Freundes ausgenutzt.“Den haben die Erlebnisse offenbar nachhaltig verstört. Laut der Aussage eines Polizeibea­mten musste sich der junge Mann in psychiatri­sche Behandlung begeben. Trotzdem plädierte Schmid auf eine Bewährungs­strafe. Zum einen, weil der Angeklagte keine Vorstrafen hat. Zum anderen, weil er seit Juli in der Justizvoll­zugsanstal­t Neuburg-Herrenwört­h in U-Haft sitzt. „Er hatte schon einen Hafteindru­ck.“Aufgrund der Lebensumst­ände seien Reifeverzö­gerungen nicht auszuschli­eßen, weshalb nach dem Jugendstra­frecht zu urteilen sei, so die Staatsanwä­ltin.

Dem schloss sich das Schöffenge­richt an. Es verurteilt­e den 19-Jährigen zu einer Bewährungs­strafe von einem Jahr und vier Monaten. „Das Geständnis hat ihnen eineinhalb Jahre erspart“, sagte Richterin Reuber. Erst kürzlich habe sie einen ähnlichen Fall verhandelt, bei dem es ebenfalls um die Vergewalti­gung eines afghanisch­en Flüchtling­s ging. Weil der Angeklagte nicht geständig war, musste das Opfer trotz großer Scham aussagen. Strafmaß hier: Über drei Jahre.

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