Wertinger Zeitung

Die tote Wildsau hatte drei Wochen alte Frischling­e

Das Wildschwei­n, das am Donnerstag durch Dillingen gerannt ist, hatte Junge. Die sind etwa drei Wochen alt, vermutet ein Experte. Die Polizei erklärt, dass es dennoch keinen anderen Weg gab, als die Bache zu erlegen

- VON JAKOB STADLER UND CORDULA HOMANN

Jäger hätten die Sau, die am Donnerstag in Dillingen erlegt wurde, nicht töten dürfen. Warum die Polizei trotzdem schoss.

Dillingen Noch keine 24 Stunden ist sie her – die Jagd nach dem Wildschwei­n durch die Dillinger Innenstadt. Doch Spuren davon gibt es keine mehr. Weder im Bekleidung­sgeschäft C & A – das wieder geöffnet hat – noch in der Marien-Apotheke in der Rosenstraß­e. Dort war die Wildsau zuerst hineingera­st. „Die Schiebetür war auf, zum Lüften“, erzählt Apotheker Stefan Dechet. Ein anderer Augenzeuge ließ vor Schreck ein Paket fallen. Weit kam das Schwein nicht: Es prallte in der Apotheke gegen eine Schiebetür und verletzte sich. „Dann war kurz Ruhe, bis es sich aufgerappe­lt hat und direkt wieder hinauslief“, sagt Dechet – der sofort die Polizei anrief. Sein Chef Alois Haggenmüll­er ist erleichter­t, dass die Schiebetür noch am Donnerstag­abend gerichtet – und niemand verletzt wurde. „Das war großes Glück. Nicht auszudenke­n, was alles hätte passieren kön- nen – man kann so ein Tier ja nicht einfach bremsen.“

Bremsen konnte das Wildschwei­n auch die nächste Schiebetür nicht – die von C & A. Von der Pressestel­le der Modehaus-Kette heißt es, das Schwein habe selbst den Bewegungss­ensor ausgelöst und sei so ins Innere gelangt. Klamotten, die verdreckt oder beschädigt wurden, werden abgeschrie­ben, also nicht mehr verkauft. Wer dafür haftet, weiß das Unternehme­n noch nicht. Der größere Schaden sei im Schaufenst­erbereich sowie am Teppich vor den Umkleiden entstanden – dort war das Tier letztendli­ch von Polizisten erschossen worden.

Es bleibt die Frage, was ein Wildschwei­n in der Innenstadt zu suchen hatte und woher es überhaupt kam.

Das Tier war eine führende Bache, das heißt, es hatte Junge. Das sagt der Vorsitzend­e der Kreisjäger­vereinigun­g, Helmut Jaumann. Ihm haben wir ein Bild des toten Schweines gezeigt, das uns für eine Veröffentl­ichung zu blutig war. Darauf ist der Bauch des Tieres gut zu erkennen. „Das ist eine Bache mit ganz jungen Frischling­en“, sagt er. Sechs Milchdrüse­n sind zu sehen, eine weitere könnte unter dem rot-verklebten Fell versteckt sein – das bedeutet, die Sau hatte sechs oder sieben Frischling­e. Anhand der Zitzen kann Jaumann auch sagen, wie alt die Jungtiere sind: etwa drei Wochen. Ob sie ohne ihre Mutter überleben, ist nicht sicher. Mit so kleinen Frischling­en war die Bache vermutlich nicht mit der Rotte unterwegs, schätzt Jaumann. Dadurch werde es schwierige­r, dass die Rotte die Jungen aufnimmt. Wenn sie es tun, können die Frischling­e durchkomme­n, auch wenn sie keine Muttermilc­h mehr bekommen.

Jaumann geht es richtig nahe, darüber zu sprechen. Er sei entsetzt, erklärt er. Klar, Jäger schießen auf Wildschwei­ne. Weil die Population gerade sehr hoch ist, erschießen sie sogar mehr als sonst. Aber so eine führende Bache dürfte ein Jäger überhaupt nicht schießen. „Das wäre eine Straftat“, sagt Jaumann. Bei der Untersuchu­ng hat die Polizei, abgesehen von den beiden Einschussl­öchern durch die Polizeiwaf­fe, keine weiteren Spuren von Kugeln gefunden. Zuerst hatte der Verdacht bestanden, dass ein Jäger die Sau bereits angeschoss­en hätte. Denn es spricht einiges dafür, dass das Schwein bei einer Drückjagd auf Lauinger Fluren in Panik ausgerisse­n ist. „Sicher nachvollzi­ehen wird man das nicht können“, sagt Jaumann, es könne auch etwas anderes dahinter stecken. „Aber es ist etwas ganz Schlimmes passiert“, sagt er. Sonst hätte sich die Sau nie so weit vom Nachwuchs entfernt. „Die lassen sich lieber totschieße­n, bevor sie ihre Frischling­e im Stich lassen.“Offenbar hat die Bache den Weg zurück nicht mehr gefunden und ist deshalb in die Stadt geraten.

Ein Jäger hätte diese Sau niemals erschießen dürfen. Etwas anderes ist es bei der Polizei. „Es war das einzige Mittel, die Gefahr von der Öffentlich­keit abzuwenden“, heißt es von der Inspektion. Auf den ersten Artikel unserer Zeitung hin hatten sich einige Leser beschwert, dass das Schwein erschossen und nicht betäubt wurde. „Es wäre zeitlich nicht möglich gewesen, einen Tierarzt mit Betäubungs­gewehr zu holen“, erklärt die Polizei. Es habe nicht einfach nur „Gefahr“bestanden. „Das war eine gegenwärti­ge, konkrete Gefahr.“Das Schwein sei schließlic­h ein unberechen­bares Wildtier.

 ?? Foto: Marien Apotheke ?? Hier rast die Wildsau durch die Marien Apotheke – das Bild stammt von einer Überwachun­gskamera. Die Sau wurde kurz danach in der Dillinger C & A Fil liale erschossen.
Foto: Marien Apotheke Hier rast die Wildsau durch die Marien Apotheke – das Bild stammt von einer Überwachun­gskamera. Die Sau wurde kurz danach in der Dillinger C & A Fil liale erschossen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany