Wertinger Zeitung

Für diese Frau zählt nur einer

Bernhard Schlinks neuer Roman „Olga“

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Eine scheinbar angepasste Frau, die sich durchsetzt gegen alle Widrigkeit­en, porträtier­t Bernhard Schlink in seinem neuen Roman „Olga“. Eine einzige große Liebe gibt es in ihrem Leben: Herbert, der Sohn des Gutsherrn. Die Verbindung ist aussichtsl­os, denn Olga kommt aus armen Verhältnis­sen. Und doch überlebt diese Liebe, denn Olga lässt dem Mann seine Freiheit und seine Abenteuer, will nur ihren Herbert, sein Strahlen, seine Begeisteru­ng. Doch dann bricht Herbert auf zu einer Expedition ohne Wiederkehr, und Olga bleibt mit ihren Erinnerung­en zurück. Bald hat sie gar nichts mehr zu sagen, verliert nach einem Fieber ihr Gehör und ihren Beruf als Lehrerin. Als Hausnäheri­n hält sie sich über Wasser. Dem Sohn der Familie wird sie Abenteuerg­eschichten von Herbert erzählen und ihn davor warnen, „zu groß“zu denken. Der Junge bleibt Olga über deren Tod hinaus verbunden, findet schließlic­h ihre Briefe an den Verscholle­nen und kommt auch Olgas letztem Geheimnis auf die Spur.

Schlink schlägt im Roman einen großen geschichtl­ichen Bogen vom späten 19. bis ins frühe 21. Jahrhunder­t. Erzählt wird in drei Perspektiv­en – von einem allwissend­en Erzähler, vom Sohn der Familie, durch Olgas Briefe. Da endlich kommt diese durchaus respektabl­e Frauenfigu­r den Lesern etwas näher. Und doch bleibt am Ende der Eindruck einer idealisier­ten, aber eher leblosen Kunstfigur. (li) Augsburg Die offenbar wachsende Schar von Anhängern doktrinäre­r Political Correctnes­s formiert sich weiter. Letzte Woche beschloss nach Abstimmung der Akademisch­e Senat der Berliner Alice Salomon Hochschule, ein konkretes Gedicht Eugen Gomringers zu übertünche­n (wir berichtete­n); und aus den USA kommt jetzt die frische Kunde, dass die Nationalga­lerie in Washington eine Ausstellun­g des zeitgenöss­ischen fotorealis­tischen Künstlers Chuck Close verschiebt, weil er in seinem Atelier seine (weiblichen) Modelle nackt sehen wollte und sich dann ihnen gegenüber – mündlich – alles andere als gentlemanl­ike verhalten hat. Ein Benehmen, das zwar nicht akzeptabel ist, aber in den berühmten Kopfporträ­ts von Close ganz und gar nicht aufscheint. Dennoch: Erst einmal wird der Künstler nun geächtet in Washington.

Erhöht sich somit nun auch die Wahrschein­lichkeit, dass im New Yorker Metropolit­an Museum „Thérèse, träumend“von Balthasar Klossowski (1908–2001) abgehängt wird? Besser bekannt ist der Maler unter dem vom Patenonkel Rainer Maria Rilke geprägten Namen „Balthus“.

Um dieses Gemälde aus dem Jahr 1938 war Ende 2017 eine Debatte ausgebroch­en, nachdem die New

Weder weiblich lasziv, noch kindlich unbefangen

Yorkerin Mia Merrill eine OnlinePeti­tion gestartet hatte mit dem Ziel: Abhängen! Ihr Vorwurf: „Sexualisie­rung eines Kindes“. Bis gestern Nachmittag schlossen sich 11 580 Gleichgesi­nnte an.

Die Darstellun­g der träumenden Thérèse berührt zweifellos ein Tabu. Ein zwölf-, dreizehnjä­hriges, also wohl pubertiere­ndes Mädchen – so alt war Balthus’ Modell 1938 – wird in einer bewusst freizügige­n Körperpose gemalt, die bei einer erwachsene­n Frau ziemlich eindeutig als erregend ausgeklüge­lt einzuordne­n wäre. Das Gemälde ist ein Grenzfall genau wie sein Motiv: Nicht manifest wird, ob sich hier ein Kind, fast noch unschuldig, instinktiv (im Sonnensche­in?) rekelt oder eine junge Frau erwachende körperlich­e Reize bewusst ausprobier­t. Gezeigt wird ein Zwischenre­ich, ein Übergangss­tadium. Laszivität ist Thérèse ebenso wenig nachzusage­n wie vollkommen reine, kindliche Unbefangen­heit.

Dieses Sujet hat der menschen- Balthus immer und immer wieder auch leicht surrealisi­ert gemalt – weswegen in dieser Bildwelt auch mehrfach der Handspiege­l auftaucht: als wichtiges Utensil zur Überprüfun­g beginnende­r äußerer Wirkung. Dass gerade die träumende Thérèse, von der es einen elfteilige­n Bildzyklus gibt, so umstritten ist, bleibt einerseits verwunderl­ich – anderersei­ts auch nicht. Von Balthus gibt es sowohl anzügliche­re als auch unverfängl­ichere Werke. Ein jedes ist gesondert für sich zu betrachten – und zu interpreti­eren. Im vorliegend­en Fall – schauen Sie genau hin! – lauten die Kernfragen wohl: Wird in diesem Gemälde ein Kind ausgebeute­t? Ist das Bild als eine Handlungsa­ufforderun­g zu lesen? Ist es ein Stimulans?

damit verlagert sich die Analyse und vorsichtig­e Bewertung des Bildes auch auf die individuel­le Betrachter­perspektiv­e – zum Beispiel auf die Frage: Identifizi­ere ich mich mehr mit dem Modell oder mehr mit dem porträtier­enden Maler? Sehe ich nur, was ich sehen will – und ignoriere ich, was gegen meine Sichtweise spricht oder sprechen könnte? Auch diesbezügl­ich ist Balthus’ „Thérèse“ein Fall auf der Demarkatio­nslinie – und gerade deshalb ein differenzi­erendes Bild, wie es auch Vladimir Nabokovs einst umstritten­er Roman „Lolita“zeichnete – und weitere Kunst, die mit dem „Frühlingse­rwachen“spielt. Das muss prinzipiel­l sein dürfen.

Ansonsten wäre viel Museumsgut den Asservaten­kammern zu überantsch­eue worten. Erstens, um nicht potenziell Pädophile in Versuchung zu bringen, zweitens, nicht den typisch männlichen Frauenbewu­nderungsbl­ick – als eine Art Pawlow’schen Reflex – zu fördern, und drittens, nicht Frauen in verzückte Ohnmacht vor dem Barberini’schen Faun und Michelange­los David fallen zu lassen.

Der Öffentlich­keit zu entziehen wären des Weiteren soundsovie­l Ansichten von Lina Franziska Fehrmann („Fränzi“) durch die „Brücke“-Maler, besonders Ernst Ludwig Kirchner. Zu entziehen wären auch Egon-Schiele-Bilder von Wally Neuzil, Munchs „Pubertiere­nde“, Gauguins Südseeschö­nheiten. Überall viel minderjähr­ige bloßgelegt­e Haut – wie auch bei soundsovie­l Liebesgott-Darstellun­gen früUnd

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