Wertinger Zeitung

Das passiert, wenn etwas passiert

Kratzer, Alkoholver­giftungen, Knochenbrü­che: der Dillinger Nachtumzug aus der Sicht der Sanitäter

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Dillingen Vor der Tür wartet ein Mann, verkleidet als Hund. Mit besorgtem Blick hält er ein Straußenko­stüm in den Armen. Der lange Vogelhals hängt nach unten. Der Mann wartet auf einen Freund, der behandelt wird. Währenddes­sen tragen Sanitäter einen Mönch in die Station.

Seine Kutte ist verdreckt. Die Jeans, die unter dem Kostüm hervorblit­zt, ist am Bein aufgeschni­tten. Das waren Sanitäter, die sein Knie verbunden haben. Jetzt sieht sich ein Arzt die Wunde an, und entscheide­t, wie es weitergeht.

Die Ehrenamtli­chen in der Station des Roten Kreuzes wussten, was hier los sein würde, bei ihrem Einsatz während des Dillinger Nachtumzug­es. „Das ist nichts Unnormales“, sagt Ulrich Dollinger, der die zwölf Helfer, darunter drei Ärzte, als Abschnitts­leiter koordinier­t. Ein Kollege hat ihn eben gebeten: „Gibst du mir mal die Protokolle zum Kiefer?“Einige Patienten tauchen später im Polizeiber­icht auf. Gleich darauf kündigt Blaulicht den nächsten Krankenwag­en an. Ein Sanitäter mit Bob-Marley-Perücke dirigiert ihn vor dem Gebäude, das eigentlich ein Stützpunkt der Wasserwach­t ist.

Eine Tür weiter, im Aufenthalt­sraum, kühlen drei Familienpi­zzen aus. Die haben die Freiwillig­en gegen 8 Uhr bestellt, als es noch ruhig war. Eine Stunde später hat keiner Zeit, etwas zu essen. „Alles, was ein bisschen Liegedauer hat, kommt hierher“, erklärt Dollinger. Seine Station besteht aus zwei Räumen. Im ersten sind vier Liegen aufgebaut, hier werden die Patienten untersucht. Über dem Durchgang zum zweiten Raum steht „Betreutes Wohnen“.

Dort warten vier weitere Liegen. Es riecht leicht nach Erbrochene­m. Der Bereich ist vor allem für Patienten, die sich ausschlafe­n müssen. Unter Beobachtun­g. Einem Jugendlich­en haben die Ärzte eine Infusion gelegt. „Viele Fälle sind natürlich die Überdosier­ung von Alkohol“, sagt Dollinger. Tags darauf belegen das die Zahlen.

Etwa die Hälfte der 65 Versorgung­en haben mit Alkohol oder anderen Drogen zu tun. Zu den Versorgung­en zählen sowohl die Fälle in der Sanitätsst­ation als auch ambulante Hilfen. Die Zahl ist höher als 2017. Da waren es 44 in der kompletten Nacht.

500 Meter entfernt steht Matthias Vogg, Abschnitts­leiter am Festplatz. Seine Helfer bringen die Patienten, denen sie nicht vor Ort helfen können, zum Eichwaldba­d. Vor ein paar Jahren wurden diese noch am Festplatz behandelt. Doch am Wasserwach­t-Stützpunkt gibt es Licht und Ruhe. Als der nächste Umzugswage­n mit aufgedreht­en Boxen vor dem Zaun hält, hinter dem Vogg und die anderen Ehrenamtli­chen warten, brüllt er: „Der ganz normale Faschingsw­ahnsinn.“Von allen Seiten wummern Bässe. Ein Scheinwerf­er auf einem Einsatzfah­rzeug erhellt den Bereich. Gerade standen vor Vogg noch drei Krankenwäg­en, jetzt ist es noch einer. „Das variiert“, ruft er. Mal sei eine Weile Ruhe, mal kommen viele Einsätze auf einmal. „Der Reiz des Unbekannte­n.“Es ist Voggs 25. Jahr beim Nachtumzug. „Ich denke jedes Mal, jetzt habe ich alles gesehen.“Seit 16 Jahren arbeitet er auch als Rettungssa­nitäter. „Aber es kommt jedes Jahr etwas hinzu.“

An der Sanitätsst­ation am Eichwaldba­d taucht plötzlich wieder der Mönch auf. Er wurde eigentlich entlassen, Freunde sollten ihn abholen. Er torkelt, schwankt, und versucht, sein rechtes Bein nicht zu belasten. Schließlic­h lehnt er sich gegen die Wand.

Ein Helfer spricht ihn an, telefonier­t mit den Freunden. Er überredet den Verkleidet­en, wieder nach innen zu kommen, um sich auf einer der Liegen auszuruhen.

Währenddes­sen sitzt Rainer Kammergrub­er im Einsatzfah­rzeug vor dem Dänischen Bettenlage­r. Es riecht nach Diesel, der Motor läuft. Sonst würden die Heizung und die Technik im Wagen nicht funktionie­ren. Sechs Helfer haben die Monitore, Lagepläne und Funkgeräte im Blick. Von hier koordinier­t Einsatzlei­ter Kammergrub­er sein Team. Mehr als 60 Freiwillig­e. „Wie zu erwarten war, ist es um halb 7 mit dem ersten Einsatz losgegange­n“, sagt er. Kammergrub­er, seit 17 Jahren Bereitscha­ftsleiter, ist gut vorbereite­t. Er hat sich dafür die komplette Woche freigenomm­en. Die Einsatzdok­umentation herrichten, Pläne und Lagekarten auf den neuesten Stand bringen. Ein Wagen mit beheizbare­m Notfallzel­t steht bereit.

Wenn auf einen Schlag mehrere Menschen verletzt werden – wie beim Unfall auf dem Donauwörth­er Umzug –, ist dort Platz für 25 Patienten zusätzlich. „Sollte es zu so einem Fall kommen, ist schon festgelegt, wo sich Rettungskr­äfte von außerhalb treffen.“

Der Hund an der Sanitätsst­ation lächelt wieder. Nach der Behandlung kommt der Besitzer des Straußenko­stüms aus der Tür und begrüßt seinen Freund.

Mit etwas Mühe steigt er in den Vogelanzug. Der Hals zeigt wieder nach oben. Die Nacht kann weitergehe­n.

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Fotos: Stadler Viel Betrieb beim Nachtumzug bedeutet auch viel Betrieb in der Sanitätsst­ation. Am Eichwaldba­d verarzten ehrenamtli­che Ärzte und Helfer unter Regie von Abschnitts­leiter Dollinger diejenigen, die verletzt sind oder zu viel getrunken haben.
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