Wertinger Zeitung

Asche zu Asche?

Die Bestattung in der Urne ist innerhalb von wenigen Jahrzehnte­n bei uns beliebter geworden als die Beerdigung im Sarg. Die Gründe sind vielfältig – doch bereiten sie manchem auch Sorgen

- VON BENJAMIN REIF

Landkreis Wenn sich Norbert Landrichin­ger an seine Kindheit erinnert, dann kommt ihm das Bild der Großmütter in den Sinn. Samstags war für diese stets für eine Arbeit viel Zeit eingeplant: Die Grabpflege. Das war eben so, wie in fast jeder anderen Familie. Die Blumen gießen, abgefallen­es Laub vom Grab entfernen, die Kerzen austausche­n. Verstarb jemand, wurde er im Sarg in einer Zeremonie in die Erde hinabgelas­sen.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Denn überall im Landkreis werden die traditione­llen Begräbnisf­ormen von der Urnenbesta­ttung verdrängt – und zwar in gewaltigem Tempo. Als Landrichin­ger in seinem Beruf als Bestatter vor gut 20 Jahren anfing, bestattete er noch niemand in der Urne. „Das gab es damals praktisch nicht“, sagt der Lauinger. In den vergangene­n fünf bis zehn Jahren hat er jedoch einen Mentalität­swandel in der Bevölkerun­g ausgemacht, der seine Arbeit betrifft. „Heute sind es 70 bis 80 Prozent Urnenbesta­ttungen“, sagt er.

Und nicht nur das: Immer stärker werden spezielle Plätze nachgefrag­t, in welchen man die Urnen oberirdisc­h unterbring­en kann – sogenannte Urnenstele­n oder Urnennisch­en. Eine Versenkung in der Erde findet dann nicht mehr statt. In Wertingen ist die Nachfrage so groß, dass sich die Stadt entschloss­en hat, auf dem Friedhof im großen Stil oberirdisc­h Platz für Urnen zu schaffen. 108 neue Plätze sollen entstehen. „Das ist ein klarer Trend, die Nachfrage ist groß. Alle bestehende­n Plätze sind schon vergeben“, sagt der Leiter des Wertinger Ordnungsam­tes, Karl Benz. Auf dem Dillinger Hauptfried­hof gibt es schon eine Urnenwand mit 230 Fächern – diese wird laut Stadt immer wieder bei Bedarf erweitert.

Bei der Urnenbesta­ttung wird der Leichnam zuerst in ein Krematoriu­m gefahren, wo er mitsamt des Sarges in einem Spezialofe­n verbrannt wird. Im Landkreis selbst gibt es kein Krematoriu­m, die Leichname müssen für die Prozedur in Städte wie Augsburg oder Ulm gefahren werden.

Der Dillinger Bestatter und Stadtrat Wolfgang Düthorn sieht in der Globalisie­rung und der Urbanisier­ung Gründe für die steigende Popularitä­t von Urnenbesta­ttungen – vor allem der Aufbewahru­ng der Urnen in oberirdisc­hen Nischen. Wenn sich weniger junge Menschen noch an einen Ort binden möchten, gebe es immer weniger klassische Großfamili­en. Und da- stellt sich im Hinblick auf den Tod von Familienmi­tgliedern die Frage: Wer pflegt das Grab? „Meiner Erfahrung nach entscheide­n sich deshalb immer mehr Menschen für eine Urnenbesta­ttung“, sagt Düthorn. „Sie wollen ihren Nachkommen nicht noch nach dem Tod zur Last fallen.“Wer nicht in einer Nische die letzte Ruhestätte finden möchte, kann sich in einer Urne in einem deutlich kleineren Grab begraben lassen als in einem Sarg. Zudem habe sich die Einstellun­g zur Einäscheru­ng nach dem Tod gewandelt, glaubt Düthorn. Mutete die Entscheidu­ng zur Kremation früher für manche noch exotisch oder unangebrac­ht an, ist sie in vergleichs­weise kurzer Zeit zum gesellscha­ftlichen Mainstream geworden.

Die evangelisc­he Pfarrerin der Wertinger Bethlehemg­emeinde, Ingrid Rehner, beobachtet nicht nur einen Wandel in der Bestattung­skultur. Sondern auch in der Art, wie den Toten gedacht, und wie um sie getrauert wird. „Wenn ein Sarg in die Erde herabgelas­sen wird, dann bedeutet das für die Angehörige­n oft einen wichtigen Punkt in der Trauerarbe­it: Das Loslassen“, sagt Rehner. Diese schmerzlic­he, aber aus der Sicht der Pfarrerin wichtige Erfahrung, wollen eine steigende Zahl von Menschen nicht mehr erleben. Entscheide­t sich der Angehörige zu Lebzeiten, in einer Urne oberirdisc­h verwahrt zu werden, muss es einen solchen Moment nicht geben.

Doch ist das für Rehner keine begrüßensw­erte Entwicklun­g. „Für den eigenen Trauer- und Heilungspr­ozess kann dieser Schlüsselm­oment sehr wichtig sein“, glaubt sie. Die Aufbewahru­ng der sterbliche­n Überreste eines geliebten Menschen in scheinbare­r Nähe – wie in einer Urnennisch­e – vermittelt­en zwar einen greifbaren Weimit terbestand. Doch das könne ein Trugschlus­s sein. „Man kann das Leben nicht festhalten in Form des Todes“, sagt Rehner.

Die Pfarrerin glaubt, dass in Zukunft die Traditione­n noch weiter aufweichen und Platz für andere Arten der Beisetzung machen könnten – obwohl auch dieses Wort dann schon nicht mehr greifen könnte. Etwa dann, wenn aus der Asche eines Verstorben­en ein künstliche­r Diamant gepresst wird, der dann in Form von Schmuck immer bei den Angehörige­n bleiben kann. Diese Praxis wird beispielsw­eise in den USA immer beliebter. In Bayern sind solche neuartigen Formen des Totengeden­kens noch verboten, es herrscht für die sterbliche­n Überreste „Friedhofsp­flicht“. Der Wunsch, den Angehörige­n nach dem Tod nicht mehr zur Last zu fallen, beinhaltet aus Sicht Rehners und Norbert Landrichin­gers für viele Menschen auch einen möglichst niedrigen Kostenaufw­and.

Vergleicht man eine Unterbring­ung in der Urnennisch­e und ein traditione­lles Grab, werden teils große Unterschie­de deutlich. Kostet in Wertingen etwa der Platz für ein Familiengr­ab zwischen 750 und 1250 Euro, liegt der Preis für eine Urnennisch­e mit 550 Euro deutlich darunter. Vor allem entfallen aber Folgekoste­n wie ein tausende Euro teures Grabmal.

Die fortschrei­tende Wandlung und Reduzierun­g betrachtet Pfarrerin Rehner skeptisch. Irgendwann könnte neben den Traditione­n auch die Sprache an ihre Grenzen stoßen, um die Verfahrens­weisen mit den sterbliche­n Überresten zu beschreibe­n. „In einer Urnenwand wird ja beispielsw­eise niemand mehr ‘beerdigt’, sagt Rehner. „Erde zu Erde, Asche zu Asche – das passt dann nicht mehr.“

»Kommentar

Wer soll das Grab pflegen, wenn die Familie über ganz Deutschlan­d verteilt wohnt? Erde zu Erde, Asche zu Asche? Der Umgang mit dem Tod ist im Wandel.

 ?? Foto: Benjamin Reif ?? Ob eine Wand mit Urnennisch­en, wie hier auf dem Wertinger Friedhof, würdevoll reduziert oder steril anmutet, liegt im Auge des Betrachter­s. Der Bedarf an solchen Grab plätzen nimmt im ganzen Kreis rapide zu – in Wertingen sollen etwa 108 neue Plätze zur Verfügung gestellt werden.
Foto: Benjamin Reif Ob eine Wand mit Urnennisch­en, wie hier auf dem Wertinger Friedhof, würdevoll reduziert oder steril anmutet, liegt im Auge des Betrachter­s. Der Bedarf an solchen Grab plätzen nimmt im ganzen Kreis rapide zu – in Wertingen sollen etwa 108 neue Plätze zur Verfügung gestellt werden.

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