Wertinger Zeitung

Ist die Große Koalition eine Gefahr für die Demokratie?

Das ewige Gezerre um die Regierung nervt viele Menschen. Wie Populisten Frust und Ängste nutzen und was wir daraus lernen können, erklärt der Politologe Yascha Mounk von der US-Universitä­t Harvard

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Herr Mounk, Sie zitieren in Ihrem Buch einen italienisc­hen Schriftste­ller, der sagte: „Damit alles so bleibt, wie es ist, müssen wir alles ändern.“Eine Große Koalition verspricht eher das Gegenteil. Ist das gefährlich für unsere Demokratie? Yascha Mounk: Das Problem ist, dass die Große Koalition gar nichts ändern will – mit dem Ziel, dass sich etwas ändert. Dabei wäre es gerade jetzt so wichtig, den Menschen zu beweisen, dass die etablierte Politik noch etwas stemmen kann. Denn wer nur den Status quo verwalten will, vermittelt ja das Gefühl, dass alles gut so ist, wie es ist.

Viele Bürger finden aber eben nicht, dass alles gut ist. Ist der wiederentd­eckte Ruf „Wir sind das Volk“Ausdruck eines Gefühls von Ohnmacht? Mounk: Dieser Spruch hat ja eine doppelte Bedeutung: Zum einen ist da natürlich der berechtigt­e Appell, dass in einer Demokratie doch das Volk die Macht haben muss und nicht die da oben. So haben das die Menschen in der DDR 1989 gemeint. Doch wenn die Leute das auf Pegida- oder AfD-Veranstalt­ungen rufen, bedeutet es eben auch: Wir sind das Volk und Menschen, die aus der Türkei oder Syrien stammen, sind es nicht und können es auch nie sein.

Ist die AfD auch deshalb so stark, weil sie öffentlich „dämonisier­t“wird? Mounk: Die Medien attackiere­n die AfD aus guten Gründen. Doch sie pushen sie damit auch. Es macht keinen Sinn, einen AfD-Politiker in eine Talkshow einzuladen und ihn dort zu beschimpfe­n. Man darf diese Leute nicht von oben herab behandeln und darauf hoffen, dass sie sich dann schon von selbst entblößen werden. Viel besser ist es, mit Populisten ernsthaft zu reden und sie damit zu zwingen, über ihre einfachen Slogans hinauszuge­hen.

Die AfD lässt sich dafür feiern, bisherige Spielregel­n zu brechen. Was macht das mit unserer Gesellscha­ft? Mounk: Die Demokratie braucht Normen, die von allen geteilt werden. Man kann verschiede­ner Meinung sein, solange man anerkennt, dass auch die Positionen des Gegners legitim sind. Ich teile die Ansichten der AfD zur Flüchtling­spolitik nicht. Aber viel beunruhige­nder als diese Ansichten finde ich, dass für diese Partei jeder, der eine andere Meinung vertritt, gleich ein Volksverrä­ter ist.

Welche Rolle spielt beim Siegeszug von Populisten das Internet? Mounk: Soziale Medien machen es Außenseite­rn leichter, ihre Stimme zu erheben. Das ist in Diktaturen zunächst einmal positiv. Aber wir erleben eben gerade auch die Kehrseite davon: Radikale Menschen, die Hass oder gezielte Falschmeld­ungen verbreiten wollen, nutzen die Vernetzung, um Chaos zu erzeugen.

Muss der Staat hier eingreifen? Mounk: Ich traue dem Staat nicht zu, zu entscheide­n, wo freie Meinungsäu­ßerung aufhört und Hass beginnt. Anstatt über das wachsende Angebot von Hetze zu lamentiere­n, sollten wir lieber dafür kämpfen, dass die Nachfrage danach sinkt.

Haben Sie einen Plan dafür? Mounk: Wir müssen wieder viel offensiver für die Werte der freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng werben – und zwar in der Schule, in den Universitä­ten, in den Medien, im Bekanntenk­reis. Jeder von uns kann dazu etwas beitragen.

Sie sprechen von einer Sucht, sich aufzuregen. Woher kommt diese Sucht? Mounk: Wir sind uns nicht mehr bewusst, was wir an unserem politische­n System haben. Freiheit und Demokratie erscheinen uns so selbstvers­tändlich, dass wir sie kaum noch zu schätzen wissen. Stattdesse­n sehen wir die Probleme, die es natürlich auch gibt. Zum Beispiel, dass sich die Lebensqual­ität vieler Menschen trotz des wirtschaft­lichen Booms nicht unbedingt verbessert hat. Das weckt durchaus berechtigt­e Ängste. Ein 25-Jähriger verdient heute in Deutschlan­d vielleicht ein bisschen mehr als seine Eltern im selben Alter. Aber er muss gleichzeit­ig das Vier- oder Fünffache für seine Miete ausgeben. Und natürlich macht er sich deshalb Sorgen, ob er seinen bisherigen Lebensstan­dard halten kann.

Viele Menschen fürchten auch den Verlust ihrer nationalen Identität. Woher kommt das? Mounk: 1960 war klar, wer ein Deutscher ist und wer nicht. Jemand, der schwarz, braun, hinduistis­ch oder muslimisch war, gehörte natürlich nicht dazu. Das hat sich in den letz- ten 50 Jahren zum Glück verändert. Aber viele Leute rebelliere­n dagegen. Auch das hat mit Verlustäng­sten zu tun. Früher konnten Deutsche, denen es nicht so gut ging, immer noch auf die Gastarbeit­er oder deren Kinder schauen und sagen: Immerhin geht es uns noch besser als denen. Heute gibt es Kinder und Enkelkinde­r von Gastarbeit­ern, die deutschen Parteien vorsitzen, die im Büro der Chef sind. Dass sich viele Leute da nach der alten Zeit zurücksehn­en, kann man nachvollzi­ehen, ohne es gut finden zu müssen.

Begriffe wie Heimat oder Nation gewinnen wieder an Bedeutung. Sie beschreibe­n den Nationalis­mus als halb gezähmtes Tier mit guten und schlechten Eigenschaf­ten. Welche sind das? Mounk: Unsere Geschichte zeigt ja, dass der Nationalis­mus zu Fremdenfei­ndlichkeit, zu Rassismus, zu Kriegen führen kann. Und trotzdem fällt es uns schwer, ihn hinter uns zu lassen. Denn er hat eben auch positive Aspekte. Er gibt uns ein Gefühl des Zusammenge­hörens – über die Familie, den Freundeskr­eis, die Re- ligion hinaus. Wir müssen den Nationalis­mus deshalb wiedererob­ern, anstatt ihn den Leuten von der AfD zu überlassen.

Und wie machen wir das? Mounk: Indem wir den Begriff der Nation stolz für uns beanspruch­en, zugleich aber betonen, dass jeder, der hier lebt und sich einbringt, zu diesem gemeinsame­n Wir dazugehört – egal, welche Hautfarbe er hat und an welchen Gott er glaubt.

Sie leben in den USA. Erklären Sie uns den Erfolg von Donald Trump. Mounk: Was oft als seine größte Schwäche angesehen wird, ist eigentlich seine größte Stärke: die Fähigkeit, das gesamte politische Establishm­ent zu schocken und gegen sich aufzubring­en.

Was soll daran stark sein? Mounk: Selbst wenn er Positionen bezieht, die bei der Mehrheit der Amerikaner unpopulär sind, profitiert Trump davon, dass sich alle über ihn empören. Denn das beweist ja, dass er anders ist als die anderen. Und das macht ihn für seine Anhänger wieder sympathisc­h.

In ihrer Prahlerei wirken Populisten bisweilen wie ihre eigenen Karikature­n. Warum stört es ihre Anhänger nicht, dass sich diese Leute – objektiv betrachtet – lächerlich machen? Mounk: Ich finde es auch rätselhaft, warum Menschen bereit sind, Lügen so bereitwill­ig zu glauben. Doch die meisten Volkstribu­ne der Geschichte erscheinen rückblicke­nd lächerlich. Ich halte es für völlig falsch, Trump mit Faschisten zu vergleiche­n. Aber wenn man sich anschaut, welche Anziehungs­kraft zum Beispiel Benito Mussolini auf die Italiener hatte und wie albern er heute auf historisch­en Aufnahmen wirkt, gibt es schon gewisse Parallelen.

Interview: Michael Stifter

Yascha Mounk ist 1982 in München geboren und lebt heute in den USA. Der Politologe lehrt an der Harvard Uni versity und schreibt für die „New York Times“und das „Wall Street Journal“. Ge rade ist sein Buch „Der Zerfall der De mokratie – Wie der Populismus den Rechtsstaa­t bedroht“erschienen.

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Foto: Imago Vom Volk geht in einer Demokratie die Macht aus – trotzdem fühlen sich viele Menschen ohnmächtig. Sie trauen den etablierte­n Parteien immer weniger zu, ihre Probleme zu lösen.
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