Wertinger Zeitung

Der Mann mit dem Blitzrückt­ritt

Bundespräs­ident Horst Köhler war äußerst beliebt. Doch im Mai 2010 gab er auf. Eine Kurzschlus­shandlung

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Da stand der Mann vor den schweren blauen Gardinen und der Deutschlan­dfahne im Schloss Bellevue. Horst Köhlers Stimme stockte, der Bundespräs­ident kämpfte mit den Tränen. Es war aus – und das hatte er so entschiede­n. Verletzt und verbittert über Kritik, die er bis heute für maßlos und völlig ungerecht hält, trat Köhler am 31. Mai 2010 zurück. Für viele eine Kurzschlus­shandlung.

Ein Radiointer­view, genauer ein einziger Satz, wurde ihm zum Verhängnis. Auf dem Rückflug von einem Besuch bei den deutschen Soldaten in Afghanista­n im Februar 2010 hatte Köhler angemerkt, dass „im Notfall auch militärisc­her Einsatz notwendig“sei, „um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelsweg­e“. Das hörte sich so an, als sei das Staatsober­haupt dafür, Wirtschaft­sinteresse­n als Ultima Ratio auch mit Waffengewa­lt durchzuset­zen. Der Satz mag ungeschick­t formuliert worden sein. Dennoch, Köhler hätte die Sache relativ problemlos richtigste­llen können. Zurücktret­en jedenfalls musste er nicht. Doch er war absolut nicht auf Kritik vorbereite­t. In seine zweite Amtszeit ging er 2008 als mit Abstand beliebtest­er Politiker Deutschlan­ds. Dabei hatte Bild 2004 vor dem Amtsantrit­t noch pikiert „Horst, wer?“getitelt. Doch Köhler erwarb sich Meriten, indem er sich robust in die Politik einmischte und immer wieder als Anwalt der Entwicklun­gsländer auftrat.

Nach seinem Rücktritt aus dem Nichts sorgten sich Freunde und Wegbegleit­er um Köhler. Ihre Angst: Der offensicht­lich tief getroffene Mann könnte seelisch gebrochen sein. Doch das war glückliche­rweise nicht der Fall.

Dafür ist Horst Köhler wohl auch als Bauernsohn und siebtes von acht Kindern zu sehr geerdet. Köhler wurde 1943 im polnischen Skierbiesz­ow, unweit von Lublin, geboren. 1944 floh die Familie vor den sowjetisch­en Truppen nach Sachsen, 1957 vor der Kollektivi­erung der Landwirtsc­haft aus der DDR in das schwäbisch­e Ludwigsbur­g. Der junge Wirtschaft­swissensch­aftler ging in die CDU und machte Karriere in der Politik. Als er im Jahr 2000 bis 2004 zum Direktor des Internatio­nalen Währungsfo­nds berufen wurde, schien der Höhepunkt seiner Laufbahn erklommen. Doch er wurde Bundespräs­ident.

Horst Köhler ist seit 1969 mit Eva Luise verheirate­t, mit der er zwei Kinder hat. Noch immer engagiert sich der Mann, der heute 75 Jahre alt wird, für Afrika – er habe an den Kontinent „sein Herz verloren“, bekannte er schon vor Jahren.

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Foto: dpa Horst Köhler galt als einer der beliebtes ten Bundespräs­identen.

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