Wertinger Zeitung

Auf dem iPhone gefilmt und auf der Berlinale gezeigt

Zwei neue US-Independen­t-Streifen und ein arg enttäusche­nder deutscher Beitrag

- VON MARTIN SCHWICKERT

Berlin Hollywood bleibt im Berlinale-Wettbewerb 2018 außen vor. Früher hatten die US-Studios das Festival noch als PR-Rampe für Filme benutzt, die kurz darauf in den Kinos anliefen. Auch das scheint vorbei. Die Hoffnung, dass Streep oder Spielberg mit dem Filmstart von „Die Verlegerin“den Weg nach Berlin finden, ist in der Oscar-Vorsaison illusorisc­h. Zum Ausgleich hat Dieter Kosslick ein Dreigestir­n des US-Independen­t-Kinos nach Berlin geholt: Nach Wes Andersons Eröffnungs­film „Isle of Dogs“folgten Steven Soderbergh­s „Unsane“und Gus van Sants „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“.

Soderbergh war 2013 mit „Side Effects“letztmals Gast der Berlinale und hatte damals angekündig­t, die Filmregie an den Nagel hängen zu wollen. Daraus ist nichts geworden, aber „Unsane“zeigt, dass Soderbergh nach einer Pause neue Wege gehen will: Der Film wurde komplett auf einem iPhone gedreht. Dies bringt nicht nur eine HomevideoO­ptik mit sich, sondern macht auch inhaltlich Sinn. Denn in „Unsane“geht es um eine Frau, die zum Opfer eines Stalkers wird, und das Smartphone ist im digitalen Zeitalter wichtigste­s Stalking-Instrument. Die fabelhafte Claire Foy („The Crown“) spielt die junge Finanzbera­terin Sawyer Valentini, die seit Jahren von einem Mann belästigt wird und sich in einer neuen Stadt eine neue Existenz aufbauen will.

Da sie dort immer noch an Angstzustä­nden leidet, vereinbart sie eine therapeuti­sche Beratung, wird jedoch wegen vermeintli­cher Selbstund Fremdgefäh­rdung gleich in die Psychiatri­e eingewiese­n. Wie sich herausstel­lt, ist die Einweisung ein Geschäftsm­odell des Unternehme­ns, das wenig bedürftige Patienten in der geschlosse­nen Abteilung „behandelt“, solange die Krankenkas­se zahlt. Damit nicht genug, muss Sawyer feststelle­n, dass ihr Stalker sich ins Hospital als Pfleger eingeschli­chen hat.

Mit Anlehnung an Klassiker wie „Einer flog über’s Kuckucksne­st“entwirft Soderbergh einen atmosphäri­sch dichten Thriller, der das durchkapit­alisierte Gesundheit­ssystem ins Visier nimmt und das Thema sexuelle Gewalt auf beklemmend­e Weise spürbar macht. Somit dockt „Unsane“dicht an die derzeitige „#MeToo“-Debatte an.

Eher leichtherz­ig dagegen ist Gus van Sants „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“. Das Porträt des US-Cartoonist­en John Callahan (Joaquin Phoenix) erzählt dessen Kampf gegen die eigene Alkoholsuc­ht: Nach einem Autounfall im Vollrausch ist John gelähmt und begibt sich in eine Selbsthilf­egruppe der Anonymen Alkoholike­r, deren spirituell fundiertes 12-SchrittePr­ogramm auch die narrative Grundlage des Filmes bietet. Mit einer locker gestrickte­n Rückblende­ndramaturg­ie schwenkt van Sant zwischen alkoholisc­hen Exzessen und allmählich­em seelischen Heilungspr­ozess hin und her. Eine helle, federleich­te Tragikomöd­ie, der man allerdings ein bisschen mehr von jenem Sarkasmus wünscht, die Callahans Cartoons auszeichne­n.

Das deutsche Kino hat sich im Wettbewerb mit „Transit“und „3 Tage in Quiberon“tapfer geschlagen, aber mit Philip Grönings „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“fiel der dritte deutsche Beitrag dann arg enttäusche­nd aus. Auf einer Wiese mit See inszeniert Gröning sein dreistündi­ges Zwillingsg­eschwister-Drama mit philosophi­schen Sentenzen, Badepause und Inzest-Thema. Nach zwei Stunden, in denen man sich nach einer Zukunft sehnt, in der dieser Film Vergangenh­eit ist, kommt mit Sex und Gewalt dann doch noch Action auf – was die prätentiös­e Attitüde dieses Werkes nur noch stärker zur Geltung bringt.

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Foto: Berlinale/dpa Claire Foy spielt in Steven Soderbergh­s „Unsane“eine Frau, die von einem Stal ker belästigt wird.

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