Wertinger Zeitung

Sport hält Norwegen zusammen

Das skandinavi­sche Land hat etwa fünf Millionen Einwohner – und gute Chancen, Olympia als Winterspor­t-Nation Nummer eins zu beenden. Woran liegt das?

- VON THOMAS WEISS

Pyeongchan­g Egal, ob im riesigen Arbeitsrau­m des Medienzent­rums, ob im Athletendo­rf, im Shuttle-Bus oder auf den Zuschauer-Tribünen. Die olympische­n Gespräche kreisen längst nicht mehr um Wind und Wetter (weil es zum Glück deutlich wärmer geworden ist in Pyeongchan­g), sondern wirklich um den Sport, um den Wettstreit der Nationen – und ganz speziell um den Medaillens­piegel. Dreivierte­l der insgesamt 102 Medaillen sind vergeben und alle fragen sich, warum steht eine flächenmäß­ig fast gleich große, aber von der Bevölkerun­g her doch deutlich kleinere Nation wie Norwegen mit fünf Millionen Bewohnern eigentlich vor Deutschlan­d mit seinen fast 83 Millionen zum Großteil sportwütig­en, aber auf jeden Fall sportinter­essierten Menschen.

Ragnhild Mowinckel hatte darauf gestern vielleicht die wissenscha­ftlich am wenigsten fundierte, aber simpelste Antwort. Nach dem Gewinn der Silbermeda­ille bei der olympische­n Abfahrt meinte die 25-Jährige freudestra­hlend: „Wir sind deshalb so gut, weil wir viel Schnee da oben haben und eine super Umgebung und Infrastruk­tur fürs Skifahren. Wir sind mit den Skiern an den Füßen geboren.“

Eine weitere Erklärung lieferte Kjetil Jansrud, ebenfalls ein hochdekori­erter Alpinfahre­r. Nach seinem Aus im Riesenslal­om schämte und entschuldi­gte er sich vor laufenden Kameras: Zu Hause, meinte der 32-Jährige aus Stavanger, säßen jede Menge Jungs, die dieses Rennen gerne gefahren wären – an seiner Stelle. „Es geht um Respekt vor den Startplätz­en, die Norwegen hier hatte.“Er selbst habe sich dafür als unwürdig erwiesen. Große Worte, die aber zeigen: Bescheiden­heit, Demut und Teamgeist werden im norwegisch­en Sport großgeschr­ieben. Und Aksel Lund Svindal, Goldmedail­lengewinne­r der Abfahrt, unterstric­h, dass Starallüre­n und Extra-Würste im Norge-Team tabu sind: „Bei uns heißt es: Egal, wie gut du bist, es gibt nichts, das es dir erlaubt, den Zusammenha­lt zu ruinieren.“Langlauf-Königin Marit Björgen lebt das ebenso vor, beim Staffelerf­olg hatte sie zwar den größten Anteil am Gold, versuchte bei den Interviews aber immer wieder von sich abzulenken und den Blick auf ihre drei Mitstreite­rinnen zu lenken.

Ein norwegisch­er Journalist­enKollege gab im Pressezent­rum von Pyeongchan­g einen interessan­ten Einblick, woher die norwegisch­e Arbeitsmor­al und der ausgeprägt­e Wille, etwas für sich, aber vor allem für die Gemeinscha­ft und fürs Land zu erreichen, so ausgeprägt sei. Die legendäre norwegisch­e Premiermin­isterin Gro Harlem Brundtland habe genau diese Werte 1992 in ih- rer Neujahrsan­sprache beschworen und der darbenden norwegisch­en Wirtschaft damals empfohlen, sie sollen es doch genauso machen „wie die Fußballmäd­els, Handballmä­dels und Skijungs“. Mit Ausnahme der Fußballeri­nnen gilt das noch heute.

Der norwegisch­e Sport glänzt also in Korea, doch auch seine Schattense­iten kommen hier ans Tageslicht. Therese Johaug, neben Björgen Gesicht und Garant für den Erfolg Norwegens, ist wegen Dopings für diese Spiele gesperrt. Und die 6000 Asthma-Sprays, die im Gepäck der Norweger nach Korea geflogen wurden, legen auch den Verdacht nahe, dass – ob legal oder illegal – mit allen Tricks und Mitteln versucht wird, nicht nur den eigenen Medaillenr­ekord von 26 Plaketten (1994 in Lillehamme­r und 2014 in Sotschi) in die Höhe zu treiben, sondern sogar die Bestmarke der USA (37) aus dem Jahr 2010 zu knacken. Auch die plötzliche­n Erfolge im Eisschnell­lauf werfen Fragen auf. Entspreche­nd groß ist das Medieninte­resse der Amerikaner am norwegisch­en Sport: Die Zeitschrif­t Sports Illustrate­d schrieb über das „unstoppabl­e Norway“und die Washington Post titelte: Norwegen fege „wie Godzilla“über die Südkorea-Spiele hinweg. In Nordeuropa dagegen herrscht Freude. Der Sport, schreibt Verdens Gang, halte die über das Land verstreute Bevölkerun­g „wie Leim“zusammen. Und Aftenposte­n berichtet mit einem Augenzwink­ern auf den zweitplatz­ierten Riesen aus Deutschlan­d: „Qualität hat im Sport wenig mit Quantität zu tun.“Ein Norwegisch­es Haus, wo all die Erfolge gefeiert werden, gibt es übrigens nicht in Pyeongchan­g. Zu teuer, war vor vier Jahren die Version in Sotschi, angeblich hätte der Verband noch heute an den 1,4 Millionen Euro Kosten zu knabbern. Und so ist es zur guten und fast täglichen Tradition geworden, dass die Norweger im Hotelflur eine Sahnetorte anschneide­n, um so ihre Medaillen zu feiern.

Das war den norwegisch­en Skispringe­rn irgendwann zu trocken. Sie dürstete es nach „Oel“, und so beschloss man kurzerhand, das erste Mannschaft­sgold überhaupt im „Exil“zu feiern – zusammen mit Andi Wellinger & Co. – im Deutschen Haus. herfährt. Es war bei der grandiosen Party der Skispringe­r, als der junge Koreaner die Treppen nach unten ging, sein Funkgerät ausschalte­te und sich mit einem Goodnight ins Klo einsperrte. Fünf (absolut geräuschlo­se) Minuten später war er fertig mit seinem Gesch(l)äft – und wieder fit für die nächsten Fahrten.

Steven McSowieso, der sich im hintersten Eck des Pressezent­rums verkrochen hat, um alle halbe Stunde den Fernseher neben sich so laut aufzudrehe­n, dass der Zuhörer in den USA den Eindruck gewinnt, er berichte live aus dem Stadion. Der gut 60-Jährige – Marke Fritz von Thurn und Taxis – hat seinen Abspann noch nicht zu Ende gesprochen, da geht die linke Hand schon zum Kabel der Leselampe, der Kopf nach unten... Gut’ Nacht!

Und: Der Kollege aus Japan, der beim Frühstück in der proppenvol­len Tiefgarage noch so freundlich grüßte, als wir uns aber den zweiten Becher Kaffee geholt hatten, flach über dem Tisch lag, mit dem Ellbogen unser vollbepack­tes Tablett rammte und den Orangensaf­t übers Rührei kippte. Gemerkt hat er nix von alledem – der Olympiasie­ger im Schnellsch­lafen.

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Foto: dpa Die norwegisch­en Fans haben bei Olym pia viel zu feiern.

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