Wertinger Zeitung

Wenn der Krimi zur Realität wird

Bewaffnete Raubüberfä­lle gibt es in Augsburg immer wieder. Zuletzt wurde Gabriele Schwaner in ihrem Lotto-Laden in Hochzoll bedroht. Wie die Betroffene­n und ihre Arbeitgebe­r damit umgehen und was Experten raten

- VON ANDREA WENZEL UND INA KRESSE

Für Gabriele Schwaner begann der Arbeitstag am Freitag wie immer. Um 6.30 Uhr öffnete sie ihren Lotto-Laden in der Zugspitzst­raße und bediente bald den ersten Kunden. Gegen sieben Uhr betrat erneut ein Mann das Geschäft. Er war maskiert und bewaffnet. Mit einem Revolver in der Hand verlangte der Räuber von Gabriele Schwaner den Kasseninha­lt. Für die Ladenbesit­zerin ein Schock, doch sie versuchte, gelassen zu reagieren. „Ich fragte ihn, wie dumm er eigentlich sei, früh am Morgen einen Laden zu überfallen, wo noch gar kein Geld in der Kasse ist.“Dann habe sie ihm entgegenge­rufen „Schleich dich!“Doch das tat der Unbekannte nicht. Vielmehr wurde er wütend.

Der Täter trat näher heran und hielt ihr den Revolver direkt ins Gesicht. „Das war der Moment, in dem ich meinen Mann zu Hilfe rief, der bislang im Büro saß und nichts mitbekomme­n hatte.“Weil der Täter nicht locker ließ und auch den Mann bedrohte, gab Schwaner nach. Sie packte die rund 400 Euro aus der Kasse in eine Tüte. Der Räuber verschwand. „Während ich die Polizei informiert­e, ist mein Mann hinterher. Er verlor den Räuber aber eine Straße weiter.“Bisher konnte der Täter nicht ermittelt werden – trotz Großaufgeb­ots der Polizei.

Nach dem Überfall hat Schwaner ihr Lottogesch­äft sofort wieder geöffnet. „Es reicht, dass er mein Geld hat. Mein Leben lasse ich mir von ihm nicht ruinieren“, sagt sie selbstbewu­sst. Sie tue einfach so, als sei nichts geschehen und versuche, schnell wieder in den Alltag zu finden. Der Zuspruch vieler Kunden tue ihr dabei gut. Sollte sie nicht zurechtkom­men, will sie sich psychologi­sche Unterstütz­ung holen.

Die braucht Bäckerei-Verkäuferi­n Cornelia Bühlmeier schon länger. Morgen ist es genau ein Jahr her, dass ein 25-Jähriger mit einer Soft-Air-Pistole die Bäckerei Gesswein in Haunstette­n überfiel. Bühlmeier wird diesen Augenblick nie vergessen, als der schwarz gekleidete Mann ihr die Waffe vor die Brust hielt und Geld forderte. Der Räuber, der Tage zuvor in Augsburg eine Tankstelle überfallen hatte, sitzt längst im Gefängnis. Vier Jahre sieben Monate muss er für seine Taten hinter Gittern büßen. Bäckereive­rkäuferin Bühlmeier nutzt die Strafe nichts.

Seit dem Überfall leidet sie unter Albträumen. Dann wacht die 56-Jährige auf, weil sie eine schwarze Gestalt neben ihrem Bett sieht. „Die Täter wissen überhaupt nicht, was sie anderen antun“, sagt die Haunstette­rin. „Damals glaubte ich, ich schaffe es ohne psychologi­sche Hilfe. Aber es ging nicht.“Seit knapp einem Jahr sei sie in Behandlung. Seitdem kommen die Albträume nicht mehr jede Nacht. Was bleibt, ist die Angst. „Bin ich allein im Laden und ein schwarz gekleidete­r Kunde kommt herein, ist das ein schlimmer Moment.“

Cornelia Bühlmeier feiert bei der Bäckerei Gesswein in diesem Jahr 40. Betriebsju­biläum. Sie will dort weiterhin arbeiten. „Daheim würde ich nur an den Überfall denken. Die Arbeit lenkt mich ab.“Ihr Chef, Bäckermeis­ter Christoph Mayer, weiß das zu schätzen. Er selbst trieb damals den Räuber in die Flucht. Auch mit den Worten: „Schleich dich!“ Bäcker hat den Überfall gut verarbeite­t. „Vielleicht sehe ich mich nicht als Opfer, weil ich ihn durch mein forsches Verhalten vertrieben habe.“Allerdings ist auch er vorsichtig­er geworden. „Wenn wir gerade nicht vorne im Laden arbeiten, wird die Tür abgesperrt.“

Bewaffnete Überfälle gibt es in Augsburg immer wieder. 2012 trifft es den Juwelier Hörl, 2014 Herbert Mayer, 2016 wird eine Filiale der Stadtspark­asse überfallen. Im letzund ten Dezember bedrohte ein maskierter Mann die Angestellt­en der Aral-Tankstelle im Kobelweg mit einer Pistole. Für 2016 registrier­t die Polizei in Augsburg 104 Raubdelikt­e. Dazu gehören Fälle, in denen Täter ihre Opfer in Geschäften oder Banken mit Waffen bedrohen, aber auch Straßenkri­minalität wie geraubte Geldbeutel. 2015 lag die Zahl höher, bei 134 Delikten, die für 2017 ist noch nicht bekannt. Die Polizei präsentier­t sie im Frühjahr. BeDer troffene interessie­ren diese Zahlen kaum. Für sie zählt das Einzelschi­cksal. Das weiß auch Nicole Gergen, stellvertr­etende Sprecherin der Stadtspark­asse: „Ein Überfall ist immer ein traumatisc­hes Ereignis für die Mitarbeite­r. Jeder geht damit anders um.“Hilfe gäbe es durch externe Angebote, aber auch von einem geschulten Sparkassen-Team. Weil man sich als Kreditinst­itut der Gefährdung bewusst sei, existieren Notfallplä­ne, die Mitarbeite­r auf den Ernstfall vorbereite­n sollen. Ein Allheilmit­tel sind sie am Ende nicht: „Jede Situation ist anders, üben kann man so etwas nicht.“

Dass jeder Mensch nach einem Überfall geschockt ist, weiß Dieter Lenzenhube­r vom Kriseninte­rventionsd­ienst des Roten Kreuzes Augsburg. Nur die Reaktionen seien verschiede­n. „Manche zittern und weinen, andere sind ruhig und schieben ihre Gefühle beiseite.“Die akute Schockphas­e dauere in der Regel drei bis vier Tage. Für die Opfer sei es am Schlimmste­n, die eigene Hilflosigk­eit und auch Todesangst zu spüren.

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Foto: Bernd Hohlen Gabriele Schwaner wurde vergangene Woche in ihrem Geschäft überfallen. Sie versuchte, den Täter mit Worten zu vertreiben, doch der wurde wütend und hielt ihr den Re volver direkt ins Gesicht.

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