Wertinger Zeitung

Wertingens Stadtpfarr­er setzt auf Bewegung

Rupert Ostermayer sucht mit Coach Markus Kratzer die eigene Balance und spürt dabei seine vielen kleinen Muskeln. Warum es trotz Kälte kein Zurück gibt und was die Natur ihn an diesem Morgen lehren kann

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Wertingen/Rieblingen Es ist kalt an diesem Morgen. Die Anzeige im Auto zeigt fünf Grad minus Außentempe­ratur. Ein eisiger Wind pfeift über die Felder auf der Anhöhe am Ortsrand von Rieblingen. Den spüren auch Rupert Ostermayer und Markus Kratzer, als sie sich gemeinsam auf den Weg machen. Der Wertinger Stadtpfarr­er will den Fokus – wie berichtet – während der diesjährig­en Fastenzeit auf seinen Körper und dessen Beweglichk­eit legen. Sein einstiger Abiturkoll­ege und heutiger Personal-Coach Markus Kratzer aus Biberbach unterstütz­t ihn dabei, in Bewegung zu kommen.

Der Pfarrer weiß, dass zum ganzheitli­chen Wohlfühlen neben Geist und Seele der Körper gehört. „Aus eigenem Antrieb suche ich keine Bewegung“, gibt er offen zu. Auch sein Beruf bringe kaum körperlich­e Anstrengun­gen mit sich. Jetzt hat er sich entschiede­n, selbst Initiative zu ergreifen. Eigene Walkingstö­cke besitzt er bereits, lässt sie locker rechts und links am Körper mitschwing­en. Seite an Seite setzen sich die beiden ehemaligen Schulkamer­aden in Bewegung, erkunden in der folgenden Stunde gleicherma­ßen die eigene Heimat und den eigenen Körper. Links liegt Prettelsho­fen, rechts hinterm Berg der Biberbache­r Ortsteil Markt und vor ihnen der kleine Weiler Neuschenau. Während sich der Körper von Minute zu Minute aufwärmt, lenkt Kratzer den Fokus des Pfarrers auf das Gehör. Der hört die Stöcke klappern, den Wind rauschen und – auf den letzten Metern – ein paar Vögelchen zwitschern. Ostermayer bleibt im Hören, richtet seinen Fokus jetzt allerdings nach innen auf den eigenen Atem. „Alles ruhig“, berichtet der 49-Jährige. Als er anschließe­nd probiert, bewusst ein bisschen länger auszuatmen, empfindet er schnell Atemnot und kehrt gerne in seinen natürliche­n Atemrhythm­us zurück. Bis die beiden an einem kleinen Weiher jenseits der Straße ankommen, riechen sie „ganz viel frische, saubere Winterluft“. Eine Spur frischer Fußstapfen führt von der Straße weg durch den frischen weißen Schnee zum Wasser. Sie stammen von Markus Kratzer. Frühmorgen­s hat der 50-jährige Coach die Strecke bereits erkundet – auf dem Rückweg vom Gebet in Wertingen. Zum zweiten Mal hatte er an diesem Donnerstag frühmor- um 6 Uhr daran teilgenomm­en und – wie Pfarrer Ostermayer lachend bemerkt – ihm selbst alle Möglichkei­ten einer Absage genommen. Wie berichtet, lässt Kratzer sich im Gegenzug auf das Experiment des Stillsitze­ns ein. Die Uhrzeit kommt Kratzer als Frühaufste­her entgegen, schlüpft er doch immer mal wieder schon vor dem Frühstück in die Laufschuhe. Sich sitzend in aller Ruhe auf den Tag auszuricht­en, ist für ihn dagegen ungewöhnli­ch. Erneut erkennen die beiden Männer ihre Unterschie­dlichkeite­n an. „Das Sitzen hat gut getan“, gesteht Kratzer während Ostermayer sich – nach anfänglich­er Skepsis – freudvoll auf die Körperübun­gen am Weiher einlässt. Neben dem Herz-Kreislauf-Training geht es Kratzer jetzt um die Mobilisier­ung des Rückens. Er reicht seinem Gegenüber das Ende eines dehnbares Gymnastiks­eils und behält das andere Ende in den eigenen Händen. Erst auf beiden Füßen, dann auf einem Bein stehend streckt und beugt der Pfarrer seine Arme. Zunächst kommt das Seil von vorne, anschließe­nd von hinten. Danach drückt Kratzer punktuell gegen verschiede­ne Körperteil­e und erklärt: „Der Mensch ist dafür gemacht, barfuß durch den Wald zu laufen. Indem wir heute mit Schuhen über geteerte und gepflaster­te Straßen laufen, verkümmern die Muskeln der Balance.“Rupert Ostermayer spürt, wie die vielen kleinen Muskeln seines Körpers zusammenar­beiten müssen, um das Gleichgewi­cht zu halten. „Die Muskeln, die dich aufrichten, bekommen so wieder mehr Power“, motiviert der Coach ihn und verspricht, dass der Pfarrer aufgrund des Trainings nach dem Duschen aufrechter in den Tag gehen werde. „Hast du noch so etwas in deiner Wundertüte?“, fragt Ostermayer gut gelaunt und staunt darüber, was prompt folgt. Der Coach reicht ihm seinen Rucksack. Mit acht zusätzlich­en Kilos macht sich der Wertinger Pfarrer auf den ansteigend­en Rückweg und kommt an diesem Morgen erstmals wirklich ins Schwitzen. Der 49-Jährige spürt deutlich, um wie viel mehr sein Körper mit dem extra Gewicht leisten muss. Für Kratzer steckt in dem Rucksack gleichzeit­ig eine Metapher: „Er ermöglicht einem, Belastung zu spüren.“

Nach dem Riechen und Hören soll sich Ostermayer nun auf das Sehen konzentrie­ren. Zunächst fokussiert er alles Braune an, danach liegt nacheinand­er das Grau, Gelb und Lila in seinem Blickfeld. Wie reagiert er, wenn sich eine Fülle von Möglichkei­ten vor ihm auftut? Wie, wenn er nichts Wirkliches findet, stattdesse­n seine Fantasie zu arbeiten beginnt.

Manche der Übungen erinnern den Pfarrer an seine Exerzitien, wenn er mit offenen Sinnen durch die Natur geht, um seine Aufmerk-

„Der Mensch ist dafür gemacht, barfuß durch den Wald zu laufen. Indem wir heute mit Schuhen über ge teerte und gepflaster­te Stra ßen laufen, verkümmern die Muskeln der Balance.“

samkeit zu wecken. „Die Gedanken gehen dorthin, wohin sich der Fokus richtet“, unterstrei­cht Markus Kratzer und lenkt den Blick auf das, was (in uns) funktionie­rt. „Unsere Augen, Ohren, Gelenke erfüllen seit Jahrzehnte­n tagtäglich ihren Dienst.“Der 50-Jährige lädt zu einem Rundumblic­k ein. Bei der Begens wegung könnten wir wie bei vielem anderen von der Natur viel lernen: „Es gibt Zeiten, da tut sich nichts, und dann geht’s wieder los.“

Mit einem rotbackige­n Apfel und einer respektvol­len Verbeugung verabschie­det der Coach den Pfarrer nach einer wahrlich bewegenden Stunde.

Begegnunge­n haben Wertingens Stadtpfarr­er Rupert Ostermayer und Personal Coach Markus Kratzer während der Fastenzeit einmal pro Woche ver einbart. Unsere Zeitung begleitet sie dabei und berichtet darüber, was sich bei den beiden Männern im gegenseiti­gen Aus tausch in den sechs Wochen körperlich, geistig und seelisch entwickelt.

 ?? Fotos: Birgit Hassan ?? Wertingens Stadtpfarr­er Rupert Ostermayer (links) bewegte sich gemeinsam mit Personal Coach Markus Kratzer in der freien Na tur. Die beiden starteten in Rieblingen ihre sportliche Runde.
Fotos: Birgit Hassan Wertingens Stadtpfarr­er Rupert Ostermayer (links) bewegte sich gemeinsam mit Personal Coach Markus Kratzer in der freien Na tur. Die beiden starteten in Rieblingen ihre sportliche Runde.

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