Sieben Dinge, die man nun wissen sollte
Wo es Fahrverbote geben könnte, ist noch offen. In Augsburg sind Einschränkungen für Dieselfahrer noch kein Thema. Warum Oberbürgermeister Kurt Gribl vor allem die Autohersteller in der Pflicht sieht
Leipzig Vor drei Jahren waren Stickoxide noch etwas für Experten. Aber seit im Abgasskandal herauskam, dass viele Diesel mehr davon ausstoßen, als sie sollten, beschäftigt das gesundheitsschädliche Gas Autofahrer, Autobauer, Gerichte und Politiker. Mit dem Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts, dass Diesel-Fahrverbote als letzter Ausweg möglich sind, könnten bald die ersten neuen Verbotsschilder in den Städten auftauchen. Die sieben wichtigsten Punkte:
1. Es trifft nicht alle Diesel Klar ist, dass Benziner mit Stickoxiden keine Probleme haben. Eng könnte es zunächst für ältere Diesel werden, die den EU-Abgasnormen Euro 3 und 4 entsprechen. Stuttgart darf Euro-5-Diesel frühestens ab September 2019 aussperren, wenn sie mindestens vier Jahre alt sind. Noch dazu muss es Ausnahmen geben, etwa für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen, wie die Richter entschieden.
2. Dutzende Städte kommen in frage Messstellen in München, Stuttgart und Köln wiesen die schlechtesten Werte im Jahr 2017 aus. Zu den 37 Städten, deren Grenzwert-Überschreitung für das vergangene Jahr schon jetzt sicher ist, gehören aber auch kleinere, etwa Augsburg, Reutlingen, Heilbronn, Darmstadt, Limburg an der Lahn oder Tübingen.
3. Wo es Fahrverbote geben könn te, ist noch offen In den ersten Städten wird es schon konkret. Hamburg etwa will ältere Diesel aus zwei Straßen aussperren. In den meisten Städten ist aber noch offen, ob überhaupt – und erst recht, wo – Fahrverbote kommen sollen. Umweltschützer befürchten, dass vor allem um die Messstellen herum die Luft sauberer werden soll – dann hätte Deutschland vielleicht kein Problem mehr mit der EU, den Stadtbewohnern wäre aber nicht geholfen.
In Augsburg ist ein Fahrverbot aktuell kein Thema. Der Grenzwert für Stickstoffdioxid wird mit 44 Mikrogramm im Vergleich zu München oder Stuttgart eher geringfügig überschritten. Mit der Förde-
Das Urteil des Bundesverwaltungs gerichts ändere in Bayern erst einmal nichts. Das Gericht habe über zwei kon krete Fälle aus Düsseldorf und Stutt gart entschieden, sagte Umweltministe rin Ulrike Scharf (CSU). „Die Haltung der Staatsregierung ist klar: Pauschale Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Großstädten lehnen wir ab.“Sie träfen rung von Elektromobilität, Radverkehr und der Installation von „Intelligenten Ampeln“, die den Verkehr flüssiger gestalten sollen, will die Stadt die Belastung in den Griff bekommen. Die Umweltorganisation Deutsche Umwelthilfe, die in Düsseldorf und Stuttgart ein Fahrverbot erklagt hat, hat eine Klage gegen etliche weitere Städte, darunter Augsburg, wegen der zu hohen Schadstoffbelastung in den Raum gestellt, die Pläne dann aber bis auf Weiteres ruhen lassen. Augsburgs Oberbürgermeister und Städtetagspräsident Kurt Gribl sagte gestern, dass der Streit über die fehlende Hardware-Nachrüstung von älteren Dieselautos auf dem Rücken betroffener Städte und Bürger ausgetragen werde. „Städte sollen die Luft rein halten und für den Gesundheitsschutz der Bewohner sorgen. viele Bürger unverhältnismäßig und könnten den Wirtschaftsstandort Bay ern gefährden.
Baden Württembergs Ministerpräsi dent Winfried Kretschmann (Grüne) hat die Einführung einer „blauen Pla kette“gefordert. Diese Plakette müsse jetzt kommen, sagte Kretsch mann. Aber die Städte können nicht den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen reduzieren – das ist Aufgabe der Hersteller.“
4. Die rechtliche Grundlage kompliziert Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass Kommunen schon jetzt Fahrverbote eigenmächtig erlassen dürfen. Aber nicht auf Basis des deutschen Gesetzes, sondern auf Basis des EU-Rechts, wenn die Stadtluft anders nicht schnell sauber zu kriegen ist. Kommunen und Umweltschützer wollen trotzdem eine „blaue Plakette“als bundesweite Kennzeichnung relativ sauberer Autos. Das lehnt die Bundesregierung bisher allerdings ab.
5. Die Luft ist sauberer geworden Die neueste Diesel-Generation ist sauberer, die Städte tun schon einiges für ihre Luft, Software-Updates ist verbessern die Abgasreinigung von Millionen Autos, und der DieselAnteil bei Neuwagen-Käufen ist deutlich zurückgegangen. All das zeigt Wirkung. An vielen Messstationen sind die Stickoxid-Werte 2017 deutlich niedriger ausgefallen als 2016, wie das Umweltbundesamt auflistet.
Nur: Es reicht eben noch nicht. Schätzungen zufolge dürften 70 Kommunen weiterhin zu hohe Werte haben.
6. Die Gesundheitsgefahr ist real Experten des Umweltbundesamts haben Studien zur Gefahr von Stickoxiden ausgewertet. Trotz einer sehr vorsichtigen Rechnung kam heraus: Mindestens 6000 Menschen im Jahr sterben in Deutschland vorzeitig alleine an Herz-KreislaufKrankheiten, die von Stickoxid ausgelöst werden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass auch Schlaganfälle, Lungenerkrankungen wie Asthma sowie Diabetes durch Stickoxide ausgelöst oder verschlimmert werden können. Die EU, die anders rechnet, geht von 10 400 vorzeitigen Todesfällen aus.
7. Hardware Nachrüstungen sind nicht vom Tisch Bisher lassen die Autobauer nur neue Software aufspielen, um die Abgasreinigung zu verbessern – neue Bauteile lehnen sie als ineffizient ab. (dpa, AZ)
Reaktionen auf das Leipziger Urteil