Wie die SPD mit sich selbst kämpft
Ein Besuch vor Ort zeigt, dass die Partei nicht nur mit der Großen Koalition, sondern auch mit ihrer eigenen Zukunft ringt. Viele Aktive stimmen gegen Schwarz-Rot. Doch die Parteiführung hofft auf die breite Basis
Berlin Friedrich Kauder ist gekommen, um Neumitglieder zu begrüßen. Der junge Mann steht im Foyer des Willy-Brandt-Hauses in Berlin, eine SPD-Fahne hält er in der Hand. 530 Parteimitglieder haben sich für den Abend im Atrium angemeldet, um über die GroKo und den SPDMitgliederentscheid zu diskutieren. Familienministerin Katarina Barley wird kommen, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller ein Grußwort halten. Kauder sagt, er möchte, dass diejenigen, die in die Partei eingetreten sind, bleiben und sich beteiligen. Mehr als 40 Neueintritte hat seine SPD-Abteilung „Kreuzberg 61“seit Jahresbeginn verzeichnet – bei insgesamt 350 Mitgliedern. Diesen Schwung müsse man mitnehmen.
Annika Klose, Juso-Vorsitzende in Berlin, sagt, dass sie keine Wetten eingehen will, wie es ausgeht. „Wenn nur die aktiven Mitglieder abstimmen würden, dann wäre das Nein besiegelt.“Sie spüre großen Rückenwind für die No-GroKoKampagne, sagt sie. „Wir brauchen eine klare Absage an eine neoliberale Politik, und wir müssen die Fehler der 2000er Jahre wieder rückgängig machen“, fordert sie, ohne die Agenda 2010 beim Namen zu nennen.
Das Einzige, das den Jusos zugegebenermaßen schwerfalle, sei zu begründen, wie es nach einem Nein weitergehen soll, räumt Klose ein. „Aber was ist denn die Alternative? Wir haben doch jedes Mal verloren, wenn wir in die Große Koalition gegangen sind.“Die Situation sei nun mal so, wie sie ist. „Wir brauchen den Mut für Neues und wollen jetzt einen Politikwechsel einleiten.“Den Mitgliederentscheid lobt Klose in den höchsten Tönen. Er müsse der Auftakt für eine neue, offene Diskussionskultur sein.
Michael Müller richtet sein angekündigtes Pressestatement an die beiden anwesenden Medienvertreter. Auf Nachfrage sagt er, dass er sich in eine Debatte um eine mögliche Ministerbesetzung durch die SPD nicht einmischen werde und dass er die Diskussion um das Ende der SPD als Volkspartei nicht mehr hören könne. Dann beginnt die Podiumsdiskussion. Medienvertreter haben keinen Zutritt zum Atrium. „Wir wollen, dass unsere Mitglieder offen diskutieren, ohne, dass sie Angst haben, dass das, was sie sagen, am nächsten Tag in der Zeitung steht“, sagt Landessprecherin Birte Huizing.
Woche für Woche haben die Sozialdemokraten in den vergangenen Wochen in Umfragen an Zustimmung verloren. Laut Meinungstrend des Instituts Insa liegen sie bundesweit mit 15,5 Prozent sogar knapp hinter der AfD. Nach der Wahlniederlage im September, nach dem Zickzackkurs zur GroKo, dem Absturz von Parteichef Martin Schulz ist die Partei zutiefst gespalten, die Sorge vor einem Bedeutungsverlust ist groß. Einerseits. Andererseits wirkt die SPD lebendig wie selten. Auf tausenden Regionalkonferenzen wird wie im Willy-Brandt-Haus leidenschaftlich für und wider GroKo debattiert, bundesweit gab es fast 25 000 Neueintritte.
Vor allem der im November 2017 neu gewählte Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat einen Boom ausgelöst. Er füllt Hallen und Hörsäle, wenn er mit seiner No-GroKo-Tour durch die Republik reist. Und: Er hat trotz des tiefen Grabens so etwas wie eine neue Unverkrampftheit in die Partei gebracht. „Fix und alle, aber glücklich: 25 von 25 Veranstaltungen geschafft, die #NoGrokoTour ist mit dem heutigen Abend beendet“, twittert Kühnert und stellt ein Bild seines Feierabendbiers dazu. „Die Debatte um #SPDerneuern läuft ernsthaft wie nie“, schreibt er am Dienstag über den Kurznachrichtendienst. Weil er das geschafft hat, gilt Kühnert als der neue Star in der Partei. Lehnt sie eine Große Koalition tatsächlich ab, wird er gar als neuer Parteichef gehandelt. Fraktionschefin Andrea Nahles, die leidenschaftlich für die Große Koalition kämpft, könnte das Amt nach einer Niederlage wohl gar nicht erst antreten. Mit welchem Slogan er die Partei bei einem Nein der Basis in eine wahrscheinliche Neuwahl führen würde, kann Kühnert selbst nicht beantworten.
So weit werde es auch überhaupt nicht kommen, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. „Das wird nicht einmal knapp“, gibt er sich überzeugt und tippt auf ein Ergebnis von 65 Prozent an Ja-Stimmen. „Bei der CDU ist die Strategie ausgeprägter, nichts zu tun, was den eigenen Machtanspruch gefährdet“, beschreibt er mit süffisantem Unterton einen zentralen Unterschied der Koalitionsparteien. Auch mit Blick auf den CDUParteitag, wo die Christdemokraten zu einer neuen Einigkeit zurückgefunden haben. Neugebauers Kollege, Oskar Niedermayer von der FUBerlin, hat kürzlich das Szenario eines Endes der SPD als Volkspartei beschrieben, sollte die Parteibasis
„Wenn nur die aktiven Mitglieder abstimmen würden, dann wäre das Nein besiegelt.“ „Bei der CDU ist die Strategie ausgeprägter, nichts zu tun, was den eigenen Machtanspruch gefährdet.“
Nein zur GroKo sagen. Neugebauer hält dieses Szenario nicht für realistisch. In den allgemeinen Pessimismus, was die SPD betrifft, will er nicht einstimmen, auch wenn er die Gefahr eines Bedeutungsverlustes nicht als gebannt ansieht. Die Parteienlandschaft in Deutschland sei nicht vergleichbar etwa mit der in Frankreich, wo die Sozialisten bei der Parlamentswahl mit 7,4 Prozent fast bedeutungslos geworden sind.
„Die SPD braucht neue Gesichter und eine programmatische Erneuerung“, sagt Neugebauer über notwendige Reformen bei der SPD und bezeichnet die designierte Parteichefin Andrea Nahles dabei als „Chance und Risiko zugleich“. Sie werde an sich arbeiten müssen. Momentan gebe es allerdings zu ihr in der Partei keine ernst zu nehmende Alternative. Dass Nahles als Fraktionschefin nicht in die Koalitionsdisziplin eingebunden sei, hält der Parteienforscher für einen Vorteil. „Bisher ist die SPD zu sehr als Regierungspartei wahrgenommen worden“, sagt er. „Sie muss ein glaubwürdiges Angebot machen, das eine sichere und gerechte Zukunft verspricht“, führt Neugebauer aus. „Dann kann sie auch wieder Wahlen gewinnen.“