Was passiert an der Zinsfront?
Der neue US-Notenbankchef Jerome Powell hat bei seinem ersten Kongressauftritt jede Festlegung auf seine zukünftige Geldpolitik vermieden. Warum soll er sich auch frühzeitig in eine Ecke drängen lassen, aus der er nicht mehr ohne Gesichtsverlust herauskommt? Kein (Geld-)Politiker will zu Amtsbeginn seinen Handlungsspielraum einschränken. Ebenso wollte er deutlich machen, dass er kein Notenbank-Chef von Trumps Gnaden ist, der seinem obersten Dienstherrn den Wirtschaftsaufschwung finanziert. Im Grunde genommen sprach Powell wie seine Vorgängerin Janet Yellen von „graduellen“Zinserhöhungen. So etwas nennt man Kontinuität. Dennoch wurden alle seine Aussagen zu Arbeitsmarkt, Inflation und Fiskalpolitik einseitig falkenhaft interpretiert. Auch das zeigt, dass die Zinsangst in den USA die Finanzmärkte fest im Griff hat. Alles, was dagegen spricht, wird konsequent herausgefiltert. Und dabei konnte man bei Powell zwischen den Zeilen durchaus taubenhafte Äußerungen hören. Er betonte, dass das Inflationsziel der Fed „symmetrisch“sei. Das heißt, wenn die Inflation in der Vergangenheit unter dem Zielwert von zwei Prozent gelegen hat, kann man umgekehrt auch ein temporäres Überschießen zulassen.
Auch in den USA wachsen die Konjunktur- und Inflations-Bäume nicht in den Himmel. Der rückläufige Economic Surprise Index für die USA – er misst positive beziehungsweise negative Abweichungen tatsächlich erschienener Konjunkturdaten von den Vorabschätzungen der Analysten – signalisiert nicht nur eitel Sonnenschein, sondern auch konjunkturelles Enttäuschungspotenzial. Vor diesem Hintergrund sind die geschürten Ängste vor mehr als drei Leitzinserhöhungen in den USA überzogen.
Und wie sieht es in der Euro-Zone aus? Angesichts der erneut rückläufigen Inflation auf 1,2 Prozent, der niedrigste Stand seit Dezember 2016, gibt es für die EZB keinen Grund für geldpolitische Umkehr. Unter anderem ist die Arbeitslosigkeit in den Euro-Südländern nach wie vor so hoch, dass an inflationstreibenden Lohnkostendruck noch lange nicht zu denken ist. Auch die Kerninflationsrate – ohne Berücksichtigung von Energie- und Nahrungsmitteln – dokumentiert keine Aufwärtsdynamik. Sie ist weit davon entfernt – wie von der EZB gefordert – selbsttragend zu sein. Die EZB kann ihre Hände weiter in zinspolitischer Unschuld waschen.