Was ist die Geburtshilfe wert?
Im Kreis stehen Haushaltsdebatten an. Die Zukunft der defizitären Abteilung ist ungewiss
Dillingen Ein kurzer Blick zurück. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr drängeln sich Politiker, Ärzte und Hebammen nebeneinander und strahlen beim Pressetermin in die Kamera. Die Stimmung ist gut, es fallen Sätze wie „Der Fortbestand der Geburtshilfe ist gesichert“oder „Besser kann es gar nicht werden“.
Heute, ein Jahr später, wirkt der Optimismus von damals fast grotesk. Zu viel ist in der Zwischenzeit passiert. Und zu viel kann nach wie vor passieren. Denn so hoffnungsvoll die Dillinger Geburtshilfe im vergangenen Frühjahr in ein neues Kapitel gestartet ist, so brenzlig ist die Lage heute. Mittlerweile geht es nicht mehr alleine um die Tatsache, dass die Abteilung vorübergehend schließen wird. Sondern vielmehr um zwei zentrale Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Und, noch wichtiger: Wird es für die Station im Juli weitergehen?
Was Letzteres angeht, betonen die Verantwortlichen derzeit gerne, wie optimistisch sie sind. Die Stimmen derer, die die Veranlassung dafür anzweifeln, mehren sich jedoch. Zuletzt bekam Landrat Leo Schrell unter anderem bei den Sitzungen des Krankenhausausschusses sowie des Gemeindetages kritische Nachfragen, inwiefern sein positiver Blick in die Zukunft berechtigt ist. Nach der Kündigung des Chefarztes sowie einer Oberärztin suchen die Kreiskliniken dringend Nachfolger, um den Betrieb der Station aufrecht zu erhalten. Dafür sind sogenannte Headhunter angeheuert, Dienstleister also, die auf das Anwerben von Fachkräften spezialisiert sind. „Der Wettbewerb ist hart“, sagt KlinikGeschäftsführer Uli-Gerd Prillinger. Er und Landrat Schrell betonen aber: Man stehe in konkreten und aussichtsreichen Vorstellungsgesprächen mit potenziellen Ärzten. Äußerungen, die so schon vor Monaten zu hören waren. Doch die bisherigen Gespräche scheiterten. Entweder, weil man sich mit den Bewerbern nicht einig wurde. Oder weil diese nicht geeignet waren.
Die Herausforderung liegt darin, mehrere passende Fachärzte gleichzeitig finden zu müssen. „Ich denke, das wird sehr schwierig“, sagt Christian Babin, Erster Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Nordschwaben. Der Fachkräftemangel werde zunehmend zum Problem, vor allem für ländliche Regionen. Es gebe viele Ärzte, die lieber in der Großstadt bleiben wollen – auch dann, wenn ihnen auf dem Land „Fantasiegehälter“angeboten werden. „Man kann niemanden zwingen, nach Dillingen zu gehen“, sagt der Donauwörther Urologe.
Neuen Ärzten will der Landkreis auf verschiedene Weise entgegenkommen, berichtet Schrell. Hilfe bei der Wohnungssuche, Arbeitssuche für den Partner, organisieren einer Kindertagesstätte. Doch reicht das? Von offizieller Seite wird vor allem das Scheitern der Pläne für das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) für die Misere verantwortlich gemacht. SPD-Kreisrat Siegfried Wölz sagt: „Das MVZ alleine kann doch nicht der Grund sein, dass zwei Ärzte innerhalb von wenigen Monaten wieder kündigen.“Er vermutet auch andere Ursachen dahinter. Offiziell sprechen möchte niemand darüber. Hinter vorgehal- tener Hand ist die Rede von Differenzen sowohl im Ärzte- als auch im Hebammenteam. Die Geburtshelferinnen sind die zweite große Baustelle in Dillingen. Zuletzt haben mehrere von ihnen gekündigt. Der verbleibende Hebammenstamm unterstützt nun die Suche nach neuen Kolleginnen. „Der Markt ist leer gefegt“, sagt Hebammenchefin Anne Braun-Springer, die jedoch hoffnungsvoll sei, bis zur geplanten Wiedereröffnung ein neues Team zu haben. Ob das klappt, ist ungewiss.
Wölz appelliert an politische Verantwortungen. Er erinnert an die Situation vor einigen Jahren, als die Wertinger Geburtsstation auf der Kippe stand. Die Probleme, so wie in Dillingen: Zu wenige Geburten, zu hohes Defizit. „Die Verantwortlichen haben damals zu lange nicht eingesehen, dass es so nicht mehr weitergehen kann.“Erst einige Jahre und viele Finanzspritzen später sei die Station geschlossen worden. Bemühungen, die verfügbaren Ärzte und Hebammen nach Dillingen zu holen, hätte es nicht gegeben. „Der Kreis hat damals auf ganzer Linie versagt“, sagt er. „Ähnliches sehe ich nun in Dillingen.“
Neben dem Personal geht es ums Finanzielle. Kommende Woche starten die Haushaltsberatungen des Kreises. Dieser hat laut Schrell seit 2014 zwar mehr als sieben Millionen Euro Schulden abgebaut. Es verbleiben dennoch Gesamtverbindlichkeiten von rund 50 Millionen Euro. Geld für die defizitäre Ge- burtsstation müsse trotzdem da sein, betont der Landrat. Die CSU-Fraktion will eine Resolution in den Kreistag einbringen, die an alle Beteiligten appellieren soll, sich für den Erhalt der Geburtsstation einzusetzen – trotz der angespannten Finanzlage. „Der Haushalt braucht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Krankenhaus, Schuldenabbau und Investitionen“, sagt Kreisrat Johann Popp. Das Thema Krankenhaus müsse jedoch Priorität haben. Auch Dillingens Oberbürgermeister Frank Kunz forderte zuletzt, der Erhalt der Geburtsstation müsse „alle Kosten und Mühen wert sein“.
Politiker anderer Fraktionen üben Kritik. „Das ist für mich verantwortungslos“, sagt Siegfried Wölz. „Ich kann nicht einfach sagen ’Weiter so’, wenn kein Land in Sicht ist.“Auch FDP-Fraktionsvorsitzender Georg Barfuß sieht den Kreis auf dem falschen Weg. „Wir sind in der Sackgasse und reiten uns noch tiefer rein“, sagt der ehemalige Bürgermeister von Lauingen – dort, wo Anfang des Jahrtausends das Krankenhaus schließen musste. Werde man die seiner Meinung nach jahrzehntelange falsche Krankenhauspolitik nicht korrigieren, habe er Sorge, dass es in 20 Jahren gar kein Krankenhaus mehr im Kreis gibt.
Die Möglichkeit, die Kritik an höherer Stelle anzubringen, bietet sich am 19. März. Dann wird Melanie Huml, Bayerische Gesundheitsministerin, die Dillinger Kreisklinik besuchen. Anlass ist das fünfjährige Jubiläum der „Medizinischen AKADemie“. Der Dillinger Kinderschutzbund hat angekündigt, Melanie Huml einen Protestbrief zu überreichen. Diese Woche
Kinderschutzbund überreicht einen Protestbrief