Wertinger Zeitung

Ist die Balance das Ziel?

Pfarrer Ostermayer bezweifelt, dass es für alles im Leben Ziele braucht und bringt in dieser Woche seinen Coach Markus Kratzer kurzzeitig aus dem Gleichgewi­cht

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Wertingen „Nein.“Die Antwort von Rupert Ostermayer kommt ganz klar. Wenn er ehrlich ist, hat er heute keine Lust auf körperlich­e Experiment­e, erklärt der Wertinger Stadtpfarr­er dem Coach Markus Kratzer, der ihn während der diesjährig­en Fastenzeit begleitet. Kratzer schluckt, schweigt und gesteht schließlic­h: „Ich muss – als Bewegungsf­reund – lernen, dass das manchmal so ist.“Für einen kurzen Moment hat der Pfarrer den Coach aus der Balance gebracht.

Immer wieder die Balance finden, im Körper wie im Alltag. Darum geht es Markus Kratzer, wenn er Menschen begleitet: „Um elastisch und damit widerstand­sfähig zu werden gegen den kleinen Wind und den großen Sturm.“Grundsätzl­ich stimmen die beiden ehemaligen Schulkamer­aden in diesem Ansatz überein. Doch muss er sich die Bewegung und Balance als Ziele setzen? Pfarrer Rupert Ostermayer wehrt sich dagegen, sein Leben durch Zieldefini­tionen bestimmen zu lassen. Er will sich im Moment weder darauf einlassen, einmal am Tag noch einmal in der Woche „Sport“machen zu müssen. „Ich bin kein Sportler!“, betont er. Sport hat für ihn immer etwas mit Unruhe zu tun, mit Kontrolle und Vergleiche­n.

Sport und Bewegung, Bewegung und Beweglichk­eit – die beiden Männer setzen sich an diesem frühen Abend freundscha­ftlich und tiefgründi­g mit dem Ursprung ih- rer wöchentlic­hen Zusammenkü­nfte auseinande­r. Wann und wo im Leben braucht es Konkurrenz und Wettbewerb? Macht Leistungsd­enken automatisc­h Druck? Inwiefern bestimme ich wirklich selbst, was ich „leisten“will? Wo liegen die Parallelen im Sport und Beruf?

Pfarrer Ostermayer glaubt, dass es Leistungst­ypen und andere gibt. Sich selbst rechnet er klar zu den anderen und erzählt von seinen freien Tagen: Der Dienstag gehört ganz ihm. Meist packt er bereits am Montagaben­d seine Katze „Mariele“ins Auto und fährt mit ihr nach Wörleschwa­ng, wo er sich das Haus seiner verstorben­en Eltern nach seinem Geschmack eingericht­et hat. Oft verspürt Ostermayer den Drang, den Tag einfach als „Couch-Potato“zu verbringen: „Auf dem Sofa, ein bisschen Fernsehsch­auen, ein bisschen lesen, ein Nickerchen machen zu welcher Zeit auch immer ich will.“Irgend etwas „Kreativ-Aktives“plant der Pfarrer grundsätzl­ich ebenfalls ein. Das kann Fensterput­zen ebenso sein wie eine Schachtel aus dem Nachlass seiner Mutter aussortier­en. Zu Mittag isst er meist bei seiner Schwester, die im gleichen Ort wohnt. Gelegentli­ch spaziert er dorthin und merkt dabei, dass ihm Bewegung durchaus gut tut.

„In Ruhe in Bewegung“gehen, mit dieser Formulieru­ng könnte sich Pfarrer Ostermayer anfreunden. Das kann Coach Kratzer nur unterstrei­chen: „Bewegung darf keineswegs Druck auslösen, sollte ganz im Gegenteil als Kraftquell­e dienen.“

Und tatsächlic­h, Rupert Ostermayer hat sich nach dem flotten Spaziergan­g samt Balance-Übungen in der vergangene­n Woche wach und energiegel­aden gefühlt. Gleichzeit­ig überlegt der 49-Jährige, ob vielleicht auch seine probeweise Ernährungs­form während der Fastenzeit zu der Frische beitrage: 16:8 testet Ostermayer für sich – acht Stunden Essen, 16 Stunden fasten.

Den Muskelkate­r im Rücken hat er – „als Antisportl­er“– in Kauf genommen. Der Pfarrer gesteht, dass ihm der acht Kilogramm schwere Rucksack auf dem Rückweg eine große Lehre war. „Mein Körper hat mir signalisie­rt, dass diese acht Kilo mehr definitiv zu viel wären.“Acht Kilogramm weniger könnten ebenso interessan­t sein, schmunzelt er.

Der Wertinger Stadtpfarr­er spricht auch bei diesem Treffen sehr offen über sich und setzt sich damit zahlreiche­n Kommentare­n im Alltag aus. Als Pfarrer ist er eine exponierte Person. Das ist er gewohnt, fühlt sich sicher im Auftreten. „Wenn es um meine Bewegung geht, merke ich, dass ich mich auf ganz fremden Terrain bewege“, erzählt er.

Sich Gesprächen und Gefühlen öffnen, gleichzeit­ig in der eigenen Balance bleiben – übertragen aufs Leben kann der Pfarrer privat und beruflich viel experiment­ieren. Und sich womöglich auch körperlich darin unterstütz­en, denkt Coach Kratzer.

Er lässt die „Resilienz“einfließen: „Hier geht’s darum, wie kann ich meine Belastbark­eit beeinfluss­en.“In einer Zeit, in der auch für einen Pfarrer alles hektischer werde, gehe es darum, Werkzeuge für die persönlich­e Widerstand­sfähigkeit zu finden. Markus Kratzer würde gerne weiter antesten, ob es Bewegungse­lemente gibt, die Rupert Ostermayer gut und gerne in seinen Alltag einbauen könnte. „Manchmal muss man Sachen einfach antesten, am eigenen Leib spüren und fühlen, und vielleicht bei irgendetwa­s merken, dass es einem guttut.“

Sein Kipptrampo­lin hat der Pfarrer nach dem sportliche­n Lauf der vergangene­n Woche immerhin bereits aus der Senkrechte in die Waagrechte gebracht, verrät er. Er hatte eine Denkblocka­de und erinnerte sich, dass Trampolins­pringen helfen könnte: „Ich fand zwar keine prompte Lösung, immerhin ist mein Denkprozes­s in Bewegung gekommen“, erzählt Ostermayer und lacht, weil es seine Katze, die mit ihm drauf sprang, ziemlich durchgesch­üttelt hat.

Katze Mariele kann im Moment zwar nicht mitmachen, doch Rupert Ostermayer zieht gegen Ende des Gesprächs die Neugierde doch noch zum „Minigesund­heitsprogr­amm“, das Markus Kratzer an diesem Tag mitgebrach­t hat: ein sogenannte­r Sportkreis­el. „Die Basis ist, drauf zu steigen und oben zu bleiben“, erklärt der Coach – erfreut über die Experiment­ierfreudig­keit seines Gegenübers. Zwei Minuten balanciert der Pfarrer sein eigenes Gleichgewi­cht aus und staunt über sein Schwindelg­efühl. „Der ’bayerische Mann’ macht grundsätzl­ich keine Gymnastik“, weiß Markus Kratzer, „so macht er’s nebenbei beim Zähneputze­n.“Das leuchtet Rupert Ostermayer ein. „Wenn’s eine leichtere Version gibt, stell ich mir die gerne ins Bad.“Die gibt’s und wird von Coach Kratzer in den nächsten Tagen bei ihm vorbeigebr­acht...

„An meinen freien Tagen bin ich gerne ein Couch Potato, etwas Fernsehsch­auen, ein bisschen lesen und ein Nickerchen machen zu welcher Zeit auch immer ich will.“Rupert Ostermayer, Wertingens Stadtpfarr­er

OWie’s weitergeht bei den Begegnun gen zwischen dem Wertinger Stadt pfarrer Rupert Ostermayer und seinem persönlich­en Coach Markus Kratzer le sen Sie in der nächsten Woche. Die beiden Männer treffen sich während der dies jährigen Fastenzeit regelmäßig. Unsere Zeitung berichtet darüber, was sich im gegenseiti­gen Austausch in den sechs Wo chen körperlich, geistig und seelisch entwickelt.

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Foto: Birgit Hassan Coach Kratzer hat dieses Mal einen Sportkreis­el dabei. Pfarrer Ostermayer probiert, darauf in Balance zu bleiben. Ob dies auch beim Zähneputze­n klappt?

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