Ist die Balance das Ziel?
Pfarrer Ostermayer bezweifelt, dass es für alles im Leben Ziele braucht und bringt in dieser Woche seinen Coach Markus Kratzer kurzzeitig aus dem Gleichgewicht
Wertingen „Nein.“Die Antwort von Rupert Ostermayer kommt ganz klar. Wenn er ehrlich ist, hat er heute keine Lust auf körperliche Experimente, erklärt der Wertinger Stadtpfarrer dem Coach Markus Kratzer, der ihn während der diesjährigen Fastenzeit begleitet. Kratzer schluckt, schweigt und gesteht schließlich: „Ich muss – als Bewegungsfreund – lernen, dass das manchmal so ist.“Für einen kurzen Moment hat der Pfarrer den Coach aus der Balance gebracht.
Immer wieder die Balance finden, im Körper wie im Alltag. Darum geht es Markus Kratzer, wenn er Menschen begleitet: „Um elastisch und damit widerstandsfähig zu werden gegen den kleinen Wind und den großen Sturm.“Grundsätzlich stimmen die beiden ehemaligen Schulkameraden in diesem Ansatz überein. Doch muss er sich die Bewegung und Balance als Ziele setzen? Pfarrer Rupert Ostermayer wehrt sich dagegen, sein Leben durch Zieldefinitionen bestimmen zu lassen. Er will sich im Moment weder darauf einlassen, einmal am Tag noch einmal in der Woche „Sport“machen zu müssen. „Ich bin kein Sportler!“, betont er. Sport hat für ihn immer etwas mit Unruhe zu tun, mit Kontrolle und Vergleichen.
Sport und Bewegung, Bewegung und Beweglichkeit – die beiden Männer setzen sich an diesem frühen Abend freundschaftlich und tiefgründig mit dem Ursprung ih- rer wöchentlichen Zusammenkünfte auseinander. Wann und wo im Leben braucht es Konkurrenz und Wettbewerb? Macht Leistungsdenken automatisch Druck? Inwiefern bestimme ich wirklich selbst, was ich „leisten“will? Wo liegen die Parallelen im Sport und Beruf?
Pfarrer Ostermayer glaubt, dass es Leistungstypen und andere gibt. Sich selbst rechnet er klar zu den anderen und erzählt von seinen freien Tagen: Der Dienstag gehört ganz ihm. Meist packt er bereits am Montagabend seine Katze „Mariele“ins Auto und fährt mit ihr nach Wörleschwang, wo er sich das Haus seiner verstorbenen Eltern nach seinem Geschmack eingerichtet hat. Oft verspürt Ostermayer den Drang, den Tag einfach als „Couch-Potato“zu verbringen: „Auf dem Sofa, ein bisschen Fernsehschauen, ein bisschen lesen, ein Nickerchen machen zu welcher Zeit auch immer ich will.“Irgend etwas „Kreativ-Aktives“plant der Pfarrer grundsätzlich ebenfalls ein. Das kann Fensterputzen ebenso sein wie eine Schachtel aus dem Nachlass seiner Mutter aussortieren. Zu Mittag isst er meist bei seiner Schwester, die im gleichen Ort wohnt. Gelegentlich spaziert er dorthin und merkt dabei, dass ihm Bewegung durchaus gut tut.
„In Ruhe in Bewegung“gehen, mit dieser Formulierung könnte sich Pfarrer Ostermayer anfreunden. Das kann Coach Kratzer nur unterstreichen: „Bewegung darf keineswegs Druck auslösen, sollte ganz im Gegenteil als Kraftquelle dienen.“
Und tatsächlich, Rupert Ostermayer hat sich nach dem flotten Spaziergang samt Balance-Übungen in der vergangenen Woche wach und energiegeladen gefühlt. Gleichzeitig überlegt der 49-Jährige, ob vielleicht auch seine probeweise Ernährungsform während der Fastenzeit zu der Frische beitrage: 16:8 testet Ostermayer für sich – acht Stunden Essen, 16 Stunden fasten.
Den Muskelkater im Rücken hat er – „als Antisportler“– in Kauf genommen. Der Pfarrer gesteht, dass ihm der acht Kilogramm schwere Rucksack auf dem Rückweg eine große Lehre war. „Mein Körper hat mir signalisiert, dass diese acht Kilo mehr definitiv zu viel wären.“Acht Kilogramm weniger könnten ebenso interessant sein, schmunzelt er.
Der Wertinger Stadtpfarrer spricht auch bei diesem Treffen sehr offen über sich und setzt sich damit zahlreichen Kommentaren im Alltag aus. Als Pfarrer ist er eine exponierte Person. Das ist er gewohnt, fühlt sich sicher im Auftreten. „Wenn es um meine Bewegung geht, merke ich, dass ich mich auf ganz fremden Terrain bewege“, erzählt er.
Sich Gesprächen und Gefühlen öffnen, gleichzeitig in der eigenen Balance bleiben – übertragen aufs Leben kann der Pfarrer privat und beruflich viel experimentieren. Und sich womöglich auch körperlich darin unterstützen, denkt Coach Kratzer.
Er lässt die „Resilienz“einfließen: „Hier geht’s darum, wie kann ich meine Belastbarkeit beeinflussen.“In einer Zeit, in der auch für einen Pfarrer alles hektischer werde, gehe es darum, Werkzeuge für die persönliche Widerstandsfähigkeit zu finden. Markus Kratzer würde gerne weiter antesten, ob es Bewegungselemente gibt, die Rupert Ostermayer gut und gerne in seinen Alltag einbauen könnte. „Manchmal muss man Sachen einfach antesten, am eigenen Leib spüren und fühlen, und vielleicht bei irgendetwas merken, dass es einem guttut.“
Sein Kipptrampolin hat der Pfarrer nach dem sportlichen Lauf der vergangenen Woche immerhin bereits aus der Senkrechte in die Waagrechte gebracht, verrät er. Er hatte eine Denkblockade und erinnerte sich, dass Trampolinspringen helfen könnte: „Ich fand zwar keine prompte Lösung, immerhin ist mein Denkprozess in Bewegung gekommen“, erzählt Ostermayer und lacht, weil es seine Katze, die mit ihm drauf sprang, ziemlich durchgeschüttelt hat.
Katze Mariele kann im Moment zwar nicht mitmachen, doch Rupert Ostermayer zieht gegen Ende des Gesprächs die Neugierde doch noch zum „Minigesundheitsprogramm“, das Markus Kratzer an diesem Tag mitgebracht hat: ein sogenannter Sportkreisel. „Die Basis ist, drauf zu steigen und oben zu bleiben“, erklärt der Coach – erfreut über die Experimentierfreudigkeit seines Gegenübers. Zwei Minuten balanciert der Pfarrer sein eigenes Gleichgewicht aus und staunt über sein Schwindelgefühl. „Der ’bayerische Mann’ macht grundsätzlich keine Gymnastik“, weiß Markus Kratzer, „so macht er’s nebenbei beim Zähneputzen.“Das leuchtet Rupert Ostermayer ein. „Wenn’s eine leichtere Version gibt, stell ich mir die gerne ins Bad.“Die gibt’s und wird von Coach Kratzer in den nächsten Tagen bei ihm vorbeigebracht...
„An meinen freien Tagen bin ich gerne ein Couch Potato, etwas Fernsehschauen, ein bisschen lesen und ein Nickerchen machen zu welcher Zeit auch immer ich will.“Rupert Ostermayer, Wertingens Stadtpfarrer
OWie’s weitergeht bei den Begegnun gen zwischen dem Wertinger Stadt pfarrer Rupert Ostermayer und seinem persönlichen Coach Markus Kratzer le sen Sie in der nächsten Woche. Die beiden Männer treffen sich während der dies jährigen Fastenzeit regelmäßig. Unsere Zeitung berichtet darüber, was sich im gegenseitigen Austausch in den sechs Wo chen körperlich, geistig und seelisch entwickelt.