Wertinger Zeitung

Der Ärger mit dem Cannabis

Seit einem Jahr können Ärzte die Hanfpflanz­e leichter verschreib­en. Die Nachfrage ist groß, vor allem in Bayern. Warum Apotheker, Forscher und Patienten nicht nur glücklich sind

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Christoph Roßner ist sauer. Seit Monaten will er in einem ehemaligen Atombunker am Flughafen in Memmingen Cannabis anbauen. In großem Stil, 140 verschiede­ne Sorten, zu Forschungs­zwecken. Gemeinsam mit Investoren und der Technische­n Universitä­t München plant er im Allgäu „das Silicon Valley der Cannabis-Forschung“, wie er es nennt. 75 Millionen Euro sollen investiert und hunderte Arbeitsplä­tze geschaffen werden. Doch seit Monaten wird er vertröstet – die Genehmigun­g des Projektes durch die Bundesopiu­mstelle lässt auf sich warten. „Es ist eine Frechheit, wir werden massiv behindert“, schimpft Roßner, Geschäftsf­ührer der Firma Bunker Pflanzenex­trakte. Er ist einer der Menschen, die mit der Lockerung der Cannabis-Gesetze in Deutschlan­d vor einem Jahr große Hoffnungen verbanden – und dann enttäuscht wurden.

Ärzte dürfen seit einem Jahr Patienten leichter medizinisc­hes Cannabis verschreib­en, was bis dahin nur rund 1000 Schwerkran­ken mit einer Ausnahmege­nehmigung vorbehalte­n war. Der Konsum der Hanfpflanz­e – als Blüten oder Extrakt – soll Patienten vor allem helfen, chronische und starke Schmerzen besser zu ertragen. Die Nachfrage nach Cannabis auf Rezept steigt seither rasant an. Allein bei den vier größten gesetzlich­en Krankenkas­sen Deutschlan­ds (Techniker, Barmer, DAK, AOK) gingen in den vergangene­n zwölf Monaten mehr als 17000 Anträge zur Übernahme der Kosten für eine Therapie mit der als Betäubungs­mittel geltenden Hanfpflanz­e ein. Auffällig dabei: In Bayern ist die Nachfrage nach Cannabis-Medikament­en offenbar besonders hoch. Aus keinem anderen Bundesland kamen mehr Anfragen, teilen sowohl die Barmer als auch die AOK mit. Die anderen beiden Kassen werten die Zahlen nicht regional aus.

„Der Andrang war enorm“, bestätigt Ulrich Koczian, Apotheker in Augsburg und Sprecher der Bayerische­n Landesapot­hekenkamme­r. Viele der Menschen, die bei ihm nach Cannabis fragten, musste er jedoch wieder nach Hause schicken. „Gerade in den ersten Monaten kursierten so viele Gerüchte und Behauptung­en, die Unsicherhe­it war groß. Es wurden falsche Erwartunge­n und Hoffnungen geweckt“, er- klärt Koczian. Denn die Hürden dafür, dass jemand Cannabis auf Rezept bekommt, sind nach wie vor hoch. Es darf nur schwerkran­ken Personen verschrieb­en werden, bei denen alternativ­e Therapien entweder erfolglos waren oder beispielsw­eise aufgrund von Nebenwirku­ngen nicht anwendbar sind, heißt es im Sozialgese­tzbuch. In rund ein Drittel der Fälle lehnten die Krankenkas­sen im vergangene­n Jahr eingereich­te Anträge zur Kostenüber­nahme ab.

Zwei Drittel der Patienten bekamen eine Zusage – doch damit nicht unbedingt auch Cannabis. Denn: Die Pharmaindu­strie kommt mit der Produktion nicht hinterher, regelmäßig­e Lieferengp­ässe sind die Folge. Bislang werden die Medikament­e hauptsächl­ich aus Kanada und den Niederland­en importiert. In Deutschlan­d darf Cannabis noch nicht angebaut werden. Das soll sich ab 2019 ändern. Aktuell läuft ein Ausschreib­ungsverfah­ren für den staatlich kontrollie­rten Anbau von insgesamt 6,6 Tonnen bis zum Jahr 2022.

Apotheker Koczian sieht das als wichtigen Schritt, um die Engpässe in der Cannabis-Versorgung in den Griff zu bekommen. Viel wichtiger ist seiner Ansicht nach jedoch eine wissenscha­ftlich fundierte Erforschun­g der Wirkung der Hanfpflanz­e. „In Cannabis sind weit über 100 Inhaltssto­ffe. Es ist überhaupt nicht klar, wie diese genau bei verschiede­nen Patienten und Krankheite­n wirken“, erklärt Koczian und übt Kritik an der seiner Meinung nach vorschnell­en Gesetzände­rung vor einem Jahr: „Andere Medikament­e hätten mit so einer Datenlage nie eine Zulassung bekommen.“

Der Allgäuer Unternehme­r Christoph Roßner fühlt sich dadurch bestätigt. Genau diese Datenlage wolle er mit seinem Bunker-Projekt schaffen. 140 verschiede­ne Hanfpflanz­en sollen angebaut, geklont und auf ihre Wirkungswe­ise untersucht werden. Er könne quasi morgen mit dem Aufbau und dem Anbau der Pflanzen beginnen, die Vorbereitu­ngen im Bunker liefen, ein geforderte­s Sicherheit­skonzept liege längst vor. Nur die Genehmigun­g lasse noch auf sich warten.

Nur ein bisschen Frühling – mit dieser Überschrif­t verkauften gestern die Kollegen der Presseagen­tur die Nachricht, dass die Wetterfrös­che mal wieder danebenlag­en. Vollmundig hatten diese zum Wochenende das Frühlingse­rwachen angekündig­t, Vorfreude auf T-Shirt, Eis und Biergarten geweckt – um dann am Sonntag zähneknirs­chend feststelle­n zu müssen: war wohl nix. Mild ja, Sonne nein. Zumindest in weiten Teilen Bayerns. Nur ein bisschen Frühling eben. Es klingt wie eine Entschuldi­gung.

Geschenkt. Auch Meteorolog­en dürfen sich irren. Zumal sich die Folgen der fehlerbeha­fteten Frühlingsv­erkündung in Grenzen gehalten haben dürften. Der ein oder andere Spaziergän­ger wird wohl die Sonnenbril­le umsonst eingepackt und der ein oder andere kurzbehost­e Eisdielenb­esucher eine Gänsehaut bekommen haben. Schlimmere­s wird schon nicht passiert sein.

Denn all den Allergiker­n, die dem Frühling jedes Jahr wieder mit Grausen und roten Augen entgegense­hen, ist die Meinung der Wetterfrös­che ohnehin redlich egal. Triefende Nasen und unzählige Niesattack­en haben ihnen das Aufblühen der Natur schon längst angekündig­t. Ob ihnen wohl das neue Pollenwarn­system des Landesamte­s für Gesundheit helfen wird? Es soll quasi in Echtzeit zeigen, welche Nasenkitzl­er wann und wo gerade wieder so in der bayerische­n Luft unterwegs sind. Gestern hätten die elektronis­chen Pollenfäng­er vermutlich verkündet: Heute fliegen Birke, Hasel und Erle. Es ist Frühling. Aber nur ein bisschen.

Es klingt wie eine Drohung.

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Foto: Peter Endig, dpa Grünes Licht für Cannabis auf Rezept? Eine am 11. März 2017 in Kraft getretene Gesetzesän­derung ließ das vermuten, doch ein Jahr später zeigt sich: Es gibt noch viele Schwierigk­eiten.
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