Wertinger Zeitung

Die vielen Gesichter des Katholizis­mus

Katholisch­er Glauben und Kirche sind mit Bayern eng verbunden. Mit Blick auf die vergangene­n 100 Jahre lässt sich von einer „Erfolgsges­chichte“sprechen. Oder von einer Skandalges­chichte

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Der Katholizis­mus im Freistaat in 155 Zeitungsze­ilen? Geht das? Vielleicht! Denn vielleicht sagen die beiden folgenden Episoden mehr darüber aus als manche wissenscha­ftliche Abhandlung.

Episode eins: „,Petrus‘, sagte der liebe Gott, ,mit dem können wir da heroben nichts anfangen, für den habe ich eine andere Aufgabe. Er muß meine göttlichen Ratschlüss­e der bayrischen Regierung überbringe­n; da kommt er jede Woche ein paarmal nach München‘“, schrieb Ludwig Thoma in seiner bereits 1911 veröffentl­ichten Satire „Der Münchner im Himmel“. Alois Hingerl, dieser Grantler vor dem Herrn, war des sehr froh und suchte das Hofbräuhau­s auf. Die Regierung warte „heute noch vergeblich auf die göttliche Eingebung“.

Episode zwei: In München steht nicht nur ein Hofbräuhau­s. Im Zentrum der Landeshaup­tstadt steht auf dem Marienplat­z die Mariensäul­e aus dem 17. Jahrhunder­t. Die Gottesmutt­er ist die „Patrona Bavariae“, die Schutzheil­ige Bayerns. Der Vatikan erklärte sie erst am 26. April 1916 dazu. Jedenfalls: Als die Marien-Statue nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie in der Frauenkirc­he überstand, 1945 wieder auf ihre Säule gestellt und neu geweiht wurde, betete der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber in den Trümmern: „...lass die Baumeister der neuen Ordnung erkennen, dass nur Christus Jesus der Grundstein für diesen Neuaufbau sein kann und dass all unser soziales Arbeiten für die Volksgemei­nschaft von christlich­en Gesetzen und Grundsätze­n getragen sein muß.“

Auf der einen Seite ist da also eine verbreitet­e Volksfrömm­igkeit, gerade in ländlicher­en Regionen. Ein tief verwurzelt­er, gelebter Glaube – das WerteFunda­ment des Freistaats. Der Glaube wird sichtbar durch die Mariensäul­e, Kreuze, Wallfahrte­n, Prozession­en. Auf der anderen Seite ist da diese Haltung gegenüber „der Obrigkeit“, die katholisch­e Kirche eingeschlo­ssen, wie sie in Gestalt des Alois Hingerl aufscheint. Eine Haltung der Unabhängig­keit, die sich in humorvolle­r, auch beißender Kritik ausdrückt.

100 Jahre Freistaat, 100 Jahre Katholizis­mus – für Manfred Heim, Professor für Bayerische Kirchenges­chichte an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München, ist das trotz aller berechtigt­en Kritik an der katholisch­en Kirche eine „Erfolgsges­chichte“. Und zwar weil der Ka- tholizismu­s eine identitäts­stiftende, verbindend­e, eben prägende Wirkung in und für den Freistaat habe. „Die katholisch­e Religion spielt im Leben der Menschen im Freistaat nach wie vor eine große Rolle – selbst wenn sie kirchenfer­n sind“, sagt Heim. Er verweist auf katholisch­e Feiertage, katholisch­e Vereine und Verbände oder die Caritas-Einrichtun­gen. Zudem gab und gibt es Wechselwir­kungen zwischen Kirche, Kultur und Politik, so Heim, die Jahrhunder­te zurückreic­hen.

Man kann die letzten 100 Jahre Katholizis­mus im Freistaat als Erfolgsges­chichte erzählen. Insbesonde­re wenn man auf das, etwa karitative, Engagement ungezählte­r Katholiken in sämtlichen Bereichen der Gesellscha­ft blickt. Noch immer ist gut die Hälfte der Bayern römisch-katholisch, mehr als 6,5 Millionen Menschen.

Prägend: Kirchenmän­ner wie Michael Kardinal von Faulhaber, der 1917 Erzbischof von München und Freising wurde und dies bis zu seinem Tod im Jahr 1952 blieb. Faulhaber, sagt Professor Manfred Heim, sei „Galionsfig­ur eines Wiederaufb­aus in jeder Hinsicht“gewesen. Herausrage­nd: die katholisch­en Widerstand­skämpfer im Dritten Reich; höchst ambivalent das Verhalten der Institutio­n katholisch­e Kirche und ihrer Vertreter zum NSStaat – zwischen Hitler-Begeisteru­ng, Kooperatio­n und Protest.

1951 weihte Faulhaber schließlic­h einen gewissen Joseph Ratzinger zum Priester. Jenen Mann aus Marktl, dessen Weg vom Theologiep­rofessor in die höchsten Ämter führen sollte, die es in der katholisch­en Kirche überhaupt gibt. 2005 wurde Ratzinger zu Papst Benedikt XVI., zum „bayerische­n Papst“. Das war ebenso sensatione­ll wie sein Rücktritt im Februar 2013.

Die letzten 100 Jahre Katholizis­mus im Freistaat lassen sich jedoch auch als eine Geschichte der Skandale erzählen. Diese verdüstern zunehmend das Bild der katholisch­en Kirche als moralische Instanz. Die „Domspatzen“oder „Ettal“stehen nicht länger nur für den weltberühm­ten Regensburg­er Knabenchor und die oberbayeri­sche Benediktin­erabtei, sondern auch für körperlich­e und sexuelle Gewalt.

Innerhalb der katholisch­en Kirche wurden über Jahrzehnte hinweg Kinder misshandel­t und missbrauch­t. Es wurde vertuscht. Dass der damalige Augsburger Bischof Walter Mixa Papst Benedikt XVI. am 21. April 2010 wegen Prügelund Veruntreuu­ngsvorwürf­en seinen Rücktritt anbieten musste, war dann in der jüngeren Geschichte des deutschen Katholizis­mus ein einmaliger Vorgang. Der vorerst letzte Skandal, ein Finanzskan­dal, spielt im Bistum Eichstätt. Weiterer Verlauf ungewiss. Wie die Zukunft des Katholizis­mus im Freistaat.

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Fotos: Hoppe, Weigel, Onorati, dpa Der Katholizis­mus hat Bayern geprägt, was sichtbar wird an der Mariensäul­e (linkes Bild) oder am Kötztinger Pfingstrit­t (drittes Bild von links). Prägend auch Papst Benedikt XVI. Beschädigt wurde der Ruf der Kirche als moralische Instanz durch Skandale wie bei den Domspatzen (im Bild der Regensburg­er Dom).
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