Des einen Leid, des andern Freud?
Spätestens morgen gibt Ministerpräsident Markus Söder sein neues Kabinett bekannt. Welche Posten bereits sicher sind, wer noch hofft und wer um sein Amt bangen muss
München „Größerer Wurf“– was heißt das genau? Seit der frischgebackene bayerische Ministerpräsident Markus Söder am Sonntagabend erstmals öffentlich angedeutet hat, dass er bei der Bildung seines Kabinetts doch etwas mehr tun will, als das frei gewordene Finanzministerium neu zu besetzen, herrscht in der CSU-Landtagsfraktion höchste Anspannung. Die Zahl der bisherigen Kabinettsmitglieder, die sich Sorgen um ihren Minister- oder Staatssekretärsposten machen, ist ebenso gewachsen wie die Zahl der Abgeordneten, die von einem Regierungsamt träumen. Des einen Leid wird des andern Freud sein. So viel steht fest.
Fest steht auch, dass zu guter Letzt nur insgesamt 17 Männer und Frauen zum Zuge kommen können, weil die Verfassung die Zahl der Kabinettsmitglieder auf 18 begrenzt. Der Chefposten ist schon vergeben. Nun liegt es an Söder, bis morgen Mittag 17 Minister und Staatssekretäre zu benennen. Er steht dabei mächtig unter Druck. Eine „kleine Lösung“, wie sie noch vor wenigen Wochen favorisiert wurde, gilt in der CSU nach der wenig spektakulären Regierungsbildung in Berlin nicht mehr als erfolgversprechend.
Söder brauche, so tönt es aus der Partei, für die bayerische Landtagswahl im Oktober ein „Signal des Aufbruchs“. Anders sei die absolute Mehrheit der CSU im Landtag nicht zu verteidigen. Und er müsse einen Kontrapunkt setzen zur Berufung von drei Männern als CSU-Bundesminister. Er brauche Frauen, am besten junge Frauen. Dass nebenbei auch noch alle Regionen Bayerns berücksichtigt und inhaltliche Schwerpunkte gesetzt werden sollen, macht die Sache nicht einfacher. Gesucht wird, so formulierte es gestern ein alter Parteistratege, „ein echter Knaller“.
Eine spektakuläre Neubesetzung eines Ministeriums wäre so ein Knaller. Aber danach sieht es nicht aus, weil Söder schlicht das spektakuläre Nachwuchspersonal dafür Deshalb wird seit einigen Tagen verstärkt darüber spekuliert, ob er nicht versuchen könnte, mit neuen, zukunftsweisenden Ressorts zu punkten – zum Beispiel einem eigenen Ministerium für Digitalisierung. Bisher sind die Zuständigkeiten dafür auf das Finanz- und Wirtschaftsministerium verteilt. Möglich wäre auch, um ein Signal in der Wohnungspolitik zu setzen, ein eigenständiges Bauministerium. Über die erneute Trennung des Bildungsund Wissenschaftsressorts wird schon länger diskutiert. Die Freiheit, die Zahl der Ministerien zu erhöhen oder die Aufgaben neu zu verteilen, hat der Ministerpräsident. Im Kabinett dürfen theoretisch 17 Minister mit eigenen Ressorts sitzen. Bisher gibt es elf Minister und sechs Staatssekretäre. Zudem wird in München gemunkelt, Söder wolle, um mehr als 17 Kollegen einzubinden, auf einen Trick zurückgreifen, den er von der Bundeskanzlerin abgeschaut hat: die Ernennung von Beauftragten der Staatsregierung.
Eine neue Verteilung der Aufgaben hätte auch Konsequenzen für die Besetzung der Ressorts. Dass Innenminister Joachim Herrmann und Wirtschaftsministerin Ilse Aigner auch im neuen Kabinett eine herausragende Rolle spielen werden, gilt als sicher. Herrmann will Innenminister bleiben. Diesen Wunsch kann ihm Söder nach seinem Engafehlt. gement als CSU-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl nicht abschlagen. Ob Herrmann allerdings die Zuständigkeit für Bau und Verkehr behält, ist offen. Aigner wird als Chefin des größten CSU-Bezirksverbandes Oberbayern als heiße Kandidatin für das Finanzministerium gehandelt. Nachdem die Oberbayern mit Horst Seehofer ihren wichtigsten Mann im Kabinett verloren haben, drängt der CSUBezirksverband auf Kompensation.
Bisher saßen neben Aigner und Seehofer noch zwei weitere Oberbayern im Kabinett: Staatskanzleichef Marcel Huber (Mühldorf) und Umweltministerin Ulrike Scharf (Erding). Neu hinzukommen könnte die bisherige Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Kerstin Schreyer (Unterhaching). Sie gilt als Favoritin für die Nachfolge von Sozialministerin Emilia Müller (Oberpfalz), die bereits angekündigt hat, nicht mehr für den Landtag zu kandidieren. Wenn dann noch das Wirtschaftsministerium aufgewertet würde, indem es die Zuständigkeit für den Verkehr zurückbekommt, könnte Aigner Wirtschaftsministerin bleiben und Söder das Finanzressort seinem bisherigen Staatssekretär Albert Füracker aus der Oberpfalz geben, womit dann auch die Oberpfälzer ausreichend im Kabinett vertreten wären.
Wie Schwaben im nächsten Kabinett vertreten sein wird, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Ein Wechsel von Aigner ins Finanzressort könnte ihrem Staatssekretär Franz Josef Pschierer (Mindelheim) die Chance eröffnen, Wirtschaftsminister zu werden. Einer Weiterbeschäftigung von Europaministerin Beate Merk (Neu-Ulm) und Sozialstaatssekretär Johannes Hintersberger (Augsburg) stünde das vermutlich nicht im Weg – zumindest dann nicht, wenn alles andere passt.
Sicher fühlen freilich können sich in der angespannten Situation wahrscheinlich nur noch Justizminister Winfried Bausback (Unterfranken) und Gesundheitsministerin Melanie Huml (Oberfranken). Alle anderen stehen zur Disposition.
Dass es im Bayerischen Landtag manchmal zugeht wie an einem Stammtisch, ist schlechterdings nicht zu bestreiten. Es wird palavert, es wird gestritten, es wird verzichtbarer Unsinn verzapft, es wird gelacht und abends, nach getaner Arbeit, soll es im Hohen Haus schon mal vorgekommen sein, dass ordentlich gesoffen wird. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, wenn sich ein Stammtischbruder denkt: Ich könnte doch auch in den Landtag wechseln.
Dass es hier nicht um irgendeinen Stammtischbruder geht, das dürfte klar sein. Es geht um Helmut Markwort, der Sonntag für Sonntag zum Stammtisch im Bayerischen Fernsehen einlädt, um mit Wolfgang Heckl, dem Direktor des Deutschen Museums, und weiteren illustren Gästen beim Weißbier über Gott und die Welt zu plaudern.
Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde Markwort als zupackender Chefredakteur des Focus, der nicht nur eine Schar von Redakteurinnen und Redakteuren dirigierte, sondern sich auch noch als Frontmann für die Werbung in eigener Sache ins Zeug schmiss. Sein legendärer Aufruf lautete: „Fakten, Fakten, Fakten. Und immer an die Leser denken.“(Ob das immer in die Tat umgesetzt wurde, sei den Lesern des Focus überlassen).
Jetzt also will Markwort im Alter von 81 Jahren für die FDP in den Landtag. Wie zupackend man in diesem Alter noch sein kann, hängt von der individuellen Konstitution ab. Markwort ist es zuzutrauen, dass er es sich selbst zutraut. Horst Seehofer hat dereinst alle über 60-Jährigen aus dem Kabinett verbannt, denkt aber jetzt, im Alter von 68, auch anders.
Fakten, Fakten, Fakten können im Landtag nicht schaden. Aber bitte: Immer an die Wähler denken!
Ein „echter Knaller“ist nicht in Sicht Wer vertritt Schwaben im neuen Kabinett?